Leidenschaft und Gier Fußball-Ultras und Mafia passen gut zusammen


Anfang September wurde Fabrizio Bellocco getötet, der zu einer mächtigen Mafia-Familie gehörte.
(Foto: picture alliance / ROPI)
Im Stadion geht es um Fußball, das ist auch in Italien so. Zumindest wollen das viele Fans glauben. Doch ein Mord und eine Razzia lassen dieses Bild bröckeln. Denn längst hat die Mafia die Finger im Spiel.
Fußball als Leidenschaft, das war einmal, heute geht es vor allem um Geld, viel Geld, legales und illegales. Und wo es um Geld geht, geht es in Italien nicht selten um die Mafia, vor allem um die kalabrische 'Ndrangheta. Diese nistet sich ein, wo immer sie lukrative Geschäfte wittert. Auch im Fußball.
Bei einer Razzia am 30. September wurden 19 Ultras der Fanklubs der Mailänder Fußballmannschaften Inter und Milan wegen Korruption und Mafia-Machenschaften festgenommen. Bei den Ultras handelt es sich um die vorderste Front der Fanklubs, die Schlägereien noch immer nicht verschmäht, mittlerweile aber weitaus mehr daran interessiert ist, Geld zu verdienen. Die Meldung über die Razzia sorgte auch international für Aufsehen, vor allem weil die Mafia mit im Spiel ist.
Wobei diese Verstrickungen nicht wirklich neu sind. Man erinnere sich an den argentinischen Fußballspieler Diego Armando Maradona, der bis heute in Neapel vergöttert wird. Während seiner Zeit beim FC Neapel pflegte er engen Kontakt zu den lokalen Mafiosi. Die Camorristi lieferten ihm das Kokain und er ließ sich im Gegenzug mit ihnen sehen und fotografieren.
"Für die Mafia ist der gesellschaftliche Konsens äußerst wichtig, um Geschäfte zu machen", erklärt Pierpaolo Romani im Gespräch mit ntv.de. Romani ist Koordinator von Avviso Pubblico, einem Verband, in dem sich lokale Verwaltungen zusammengetan haben, um gemeinsam gegen Unterwanderungsversuche der Mafia zu kämpfen. Außerdem hat er schon vor zehn Jahren das Buch "Calcio Criminale" (übersetzt: "Krimineller Fußball") veröffentlicht.
Spieler, die Angst vor der Stadionkurve haben
Bei den jetzigen Ermittlungen, die vom Anti-Mafia-Staatsanwalt Giovanni Melillo geleitet werden, geht es um Korruption, aber auch um Einschüchterung. Immer wieder gab es in letzter Zeit Berichte über Spieler, die sich vor der Ultras-Kurve fürchteten oder von den Ultras eingeschüchtert worden waren, weil sie schlecht gespielt oder etwas gesagt hatten, das den Ultras missfallen hatte. Außerdem geht es um Gefälligkeiten, die die Klubs den Ultras machen oder, genauer gesagt, zu machen haben. Zum Beispiel, ihnen eine gewisse Zahl von Eintrittskarten zu einem Freundschaftspreis zu garantieren. Die Ultras verkaufen sie später für das Zehnfache.
Dass sich die Ultras gerne in Schlägereien gestürzt haben, ist bekannt. Doch wann wurden sie Handlanger der Mafia? Um diese Frage zu beantworten, stellt Romanis Buch ein ideales Nachschlagewerk dar.
Zunächst interessierte sich die Mafia vorrangig für die Fußballklubs in Süditalien. Der eine oder andere wurde auch gekauft. Zweck der Sache war, sich den gesellschaftlichen Rückhalt zu sichern, um mit diesem bei Politikern vorstellig zu werden und Wahlstimmen gegen Gefälligkeiten auszutauschen.
Früher kauften sich Unternehmer einen Fußballklub, wie zum Beispiel Silvio Berlusconi den FC Mailand. "Heute gehören sie Finanzfonds, und das macht die ganze Sache eher unübersichtlich. Besitzer sind schwer auszumachen", erklärt Romani.
Illegale Erträge in Millionenhöhe
Und es ging um ganz andere legale und illegale Beträge. Marco Bellinazzo, Journalist der italienischen Wirtschaftszeitung "Il Sole 24 Ore" schätzte unlängst den Wert der illegalen Geschäfte im Fußball, allein was Milan und Inter betrifft, auf zwei bis drei Millionen Euro im Jahr. Italienweit könnte es sich sogar um mehr als zehn Millionen Euro handeln.
Bellinazzo erwähnte auch den Drogenhandel und die Prostitution in den Stadien. "Seit die Sicherheitsvorkehrungen, die Kontrollen und Überwachungen an die Klubs outgesourct wurden und diese wiederum dafür Ordner anstellen, gibt es so etwas wie eine stille Abmachung, die eine gewisse Unordnung innerhalb der Stadien erlaubt."
Die Ultras waren nicht schon immer Verbündete der Mafia, sie sind es im Laufe der Zeit geworden. "Außerdem sind natürlich nicht alle Ultras Kriminelle. Trotzdem sind etliche der Ultras auch vorbestraft", so Romani. "Geändert hat sich alles, nachdem der Fußball ein sehr lukratives Geschäft wurde und sich die Leidenschaft in Gier verwandelte."
Für die Mafia ist Fußball die perfekte Geldwaschmaschine. Deswegen wandte man sich an die Ultras und bat sie um die eine oder andere Gefälligkeit. Zum Beispiel darum, den Drogenhandel im Stadion zu übernehmen. Natürlich gegen gute Bezahlung.
Lazio-Präsident unter Personenschutz
"Und wenn man auf diese Weise Tag für Tag Tausende von Euros in den Händen hält", hebt Romani hervor, "fragt man sich irgendwann: Warum soll ich für andere schuften, warum mache ich mich nicht selbstständig?" Das war wahrscheinlich auch der Auslöser zweier Morde in der Szene.
Der erste wurde im August 2019 in Rom am Anführer der Ultras des FC Lazio, Fabrizio Piscitelli, verübt. Der zweite vor etwas mehr als einem Monat in Mailand. Darin verwickelt waren zwei Inter-Ultras, die sich an den Kragen gingen. Es endete mit einem Toten, Fabrizio Bellocco. In beiden Fällen waren die Opfer vorbestraft und hatten enge Beziehungen zur organisierten Kriminalität, der eine zur Camorra, der andere zur 'Ndrangheta.
Vor diesem Hintergrund und angesichts der Tatsache, dass Claudio Lotito, der Präsident des FC Lazio, unter Personenschutz steht, weil er sich den Wünschen der Ultras des Lazio-Fanklubs nicht gebeugt hat, war Simone Inzaghis Gelassenheit fast schon verstörend. Der Trainer des FC Inter wurde unlängst im Rahmen der Ermittlungen über die Mailänder Fanklubs als "informierte Person" einbestellt. Führende Mitglieder der Ultras hatten sich auch an ihn gewandt und mehr Eintrittskarten für ein Spiel gefordert. Inzaghi versicherte den Ultras, sich sofort darum zu kümmern und die Forderung an die Chefetage des Klubs weiterzuleiten. "Ich habe mich persönlich nie bedroht gefühlt", wiederholte er auch vor den Medien.
Der Trainer war aber nicht der Einzige, der das Problem kleinzureden versuchte. Auch der Vizepräsident des FC Inter, Javier Zanetti, soll jeglichen Druck oder gar Erpressungsversuch seitens der Ultras bestritten haben.
Es gibt aber auch Positives, meint Romani. Die Antimafia-Kommission hat eine Arbeitsgruppe einberufen, die sich ausschließlich mit Fußball und Mafia befasst. Und zu guter Letzt sollten auch andere Länder darauf achten, was sich bei ihrem Fußball so tut. Vor allem die 'Ndrangheta hat sich schon seit Längerem auch anderswo, zum Beispiel in Deutschland, niedergelassen.
Quelle: ntv.de