Typ "Bombe" oder "Flucht"? Wie Streiten der Beziehung guttun kann


Streiten kann man lernen.
(Foto: IMAGO/imagebroker)
Eine Liebesbeziehung ganz ohne Streit, das ist vermutlich unmöglich. Und auch nicht erstrebenswert, sagen die berühmten Paartherapeuten Julie Schwartz Gottman und John Gottman. Aber wie trägt man Konflikte aus, ohne der Beziehung zu schaden?
Es gibt unzählige Gründe für Streit in einer Beziehung, herumliegende Socken, vermutete Untreue oder ob man einen Hund will. Und es gibt ebenso viele Möglichkeiten, über diese Dinge zu streiten. Viele Paare fürchten diese Auseinandersetzungen, unter anderem, weil sich hartnäckig das Vorurteil hält, dass wahre Liebe keinen Streit kennt.
An dieser Stelle kommen Julie Schwartz Gottman und John Gottman ins Spiel, vermutlich zwei der bekanntesten Paartherapeuten der Welt und seit 37 Jahren miteinander verheiratet. Ihr neuestes Buch "5 Konflikte, die jedem Paar begegnen … und wie die Liebe daran wachsen kann" haben sie dem Streiten gewidmet. Dass sie Fans einer guten Auseinandersetzung sind, ist nicht zu übersehen.
"Konflikte sind ein normaler Teil einer jeden menschlichen Beziehung. Und sie sind ein notwendiger Teil jeder menschlichen Beziehung. Wir tendieren dazu, eine geringe Konfliktneigung mit Glück gleichzusetzen, aber das stimmt einfach nicht." Nicht ob Paare streiten, entscheidet demnach über eine glückliche Beziehung, sondern wie sie es tun.
Streiten ohne Lösung
Die Gottmans haben im Laufe der Jahre in ihrem "Love Lab" das Verhalten Tausender verheirateter Paare untersucht. Dabei sind sie unter anderem Verhaltensweisen auf die Spur gekommen, die mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zur Scheidung führen. Eines ihrer Erfolgsgeheimnisse ist vermutlich, dass sie den nur allzu vertrauten Mechanismen von Paar-Beziehungen bildhafte und greifbare Namen geben. Im Fall der Scheidungsrisiken waren es die "fünf apokalyptischen Reiter" destruktive Kritik, Verteidigung, Verachtung, Rückzug und Machtdemonstration.
Auch bei den Konflikten finden sie starke Bilder für die eher unguten Konfliktgewohnheiten. Der oft unvermittelte und harte Beginn einer Auseinandersetzung, bei dem es innerhalb von Sekunden laut und heftig wird, heißt bei Julie und John Gottmann die "Bombe". Diese harten Einstiege sind nicht nur unschön und stressig, sondern auch selten zielführend. Denn die Forschung zeigt, dass diese Strategie so gut wie nie zur Lösung eines Konfliktes führt.
Ebenso wenig wie die "Flut", bei der es zunächst danach aussieht, als ob ein konkretes Problem besprochen wird, dann aber sehr schnell alles aus dem Ruder zu laufen scheint. In dieser "Überflutungssituation" ist ein konstruktiver Streit praktisch unmöglich. Das merkt man daran, wenn man schwitzend und mit klopfendem Herzen dem Partner oder der Partnerin gegenübersteht, voller Emotionen und mit dem Gefühl, sich in einem Kampf oder auf der Flucht zu befinden. So ist es unmöglich, zuzuhören, nachzudenken oder gar Lösungen zu entwickeln.
Ganz nebenher räumen die Paartherapeuten auch mit der Vorstellung auf, man dürfe nicht im Streit schlafen gehen oder die Wohnung verlassen. Aus ihrer Sicht spricht nichts gegen Pausen von 30 Minuten bis zu 24 Stunden. Danach sollte man jedoch das Problem nicht totschweigen, sondern konstruktiv ansprechen.
Chance, sich kennenzulernen
Die "Untiefe" steht für das Problem, in Streitgesprächen immer an der Oberfläche zu bleiben, anstelle die tieferliegenden Differenzen anzugehen, die sich immer wieder in verschiedenen Kleinigkeiten äußern. Die Falle, aus jedem Streit eine Konkurrenzsituation zu machen, in der es Gewinner und Verlierer geben muss, nennen die Gottmans die "Pattsituation". Und die "Kluft" ist ihr Oberbegriff für Konflikte, die nicht ausgetragen werden und so im Laufe der Zeit zu immer größerer Entfremdung führen.
In diesen Mustern können sich Lesende wiederfinden. Mehr als die Typisierung dürften aber die Strategien von Interesse sein, wie man diesen Konfliktfallen nicht nur entgeht, sondern daraus sogar mehr Verbindung in der Beziehung gewinnt. Denn, und das ist die gute Nachricht vor allem für alle Konfliktscheuen: Auch die Konfrontation kann die Bindung von Paaren stärken. Denn Konflikte seien Möglichkeiten, mehr über den anderen oder die andere zu erfahren, sagen die Paartherapeuten.
Vor allem die immer wiederkehrenden Konflikte haben demnach entweder einen Moment von Abwendung oder Ablehnung oder einen Hintergrund aus Wertvorstellungen, Idealen oder Träumen, bei denen Kompromisse nur schwer möglich scheinen. Es geht also selten um herumliegende Socken, sondern zumeist um Persönlichkeitsunterschiede und Lebensstilpräferenzen, und über die sollte man in einer Partnerschaft ohnehin immer wieder sprechen.
Besser streiten
"Die konflikthaften Momente, in denen man nicht im Gleichklang ist, sind letztlich Chancen, unsere Partner im Laufe der Zeit besser kennenzulernen", schreiben die Gottmans am Ende ihres Buches. Ohnehin sei es eine Illusion zu glauben, alle Differenzen ließen sich endgültig ausräumen. 69 Prozent aller Konflikte in Paarbeziehungen sind vielmehr den Gottmans zufolge "ewige Konflikte", also Probleme, die nie verschwinden. "Sie stellen die Themen dar, über die wir immer wieder und wieder streiten, weil sie sich aus den tieferen Unterschieden zwischen uns speisen: Unterschieden in der Persönlichkeit, den Prioritäten, den Werten und Überzeugungen."
Umso wichtiger ist es, gut streiten zu können. Dafür liefern die Paartherapeuten eine Kurzanleitung.
1. Weich einsteigen, dabei von sich und über die Situation sprechen und ein positives Bedürfnis formulieren.
2. Nicht gleich rechtfertigen, sondern aktiv zuhören und sich um Verstehen bemühen.
3. Bei Überflutung oder Polarisierung eine Pause einlegen oder sich auf positive Interaktionen konzentrieren.
4. Herausfinden, worüber wirklich gestritten wird und was man selbst zum Kompromiss beitragen kann.
5. Frühere Konflikte verarbeiten
"Unter dem Strich ist es so, dass sich alle Paare streiten, jeder sagt manchmal etwas zu hart. Was erfolgreiche Paare den anderen voraushaben, ist, dass sie während eines Streits versöhnliche Gesten machen", schreiben die Gottmans. Wer sich vom Ideal verabschieden kann, keine Konflikte zu haben oder immer eine Lösung zu finden, kann sich leichter auch von Sieger-Verlierer-Vorstellungen lösen und in gegenseitiges Verständnis investieren.
Quelle: ntv.de