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550.000 fehlende Sozialwohnungen Wohnungslos trotz Job - wenn Arbeit nicht zum Leben reicht

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Auf dem Wohnungsmarkt sind Betroffene oft mit Vorurteilen konfrontiert, was die Suche zusätzlich erschwert.

Auf dem Wohnungsmarkt sind Betroffene oft mit Vorurteilen konfrontiert, was die Suche zusätzlich erschwert.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die Zahl der Menschen, die sich trotz Vollzeitjob keine eigene Wohnung leisten können, hat sich innerhalb von zehn Jahren fast verdoppelt. Wer betroffen ist, was dahintersteckt – und welche Lösungen helfen können.

Eine 45-Stunden-Woche im Gartenlandschaftsbau, dazu am Wochenende ein Job in der Gastronomie. Und trotzdem reicht das Einkommen nicht, um eine eigene Wohnung zu finanzieren. Benedikt Rossiwal vom Katholischen Männerfürsorgeverein (KMFV) kennt viele solcher Schicksale. Er leitet ein Haus mit 55 Zimmern für wohnungslose Männer in München, die sich trotz Vollzeitjob in der teuren bayerischen Landeshauptstadt keine eigene Wohnung leisten können.

"Das sind in der Regel sehr, sehr fleißige Menschen", so Rossiwal im Gespräch mit ntv.de. Viele der Männer sind im Sicherheitsgewerbe tätig, andere in der Logistik. Dabei verdienen sie meist den Mindestlohn und arbeiten teilweise in prekären Verhältnissen. Das Problem sieht der Hausleiter aber in erster Linie am Mietmarkt: "Es scheitert meist daran, dass der Wohnraum knapp und entsprechend teuer ist."

Das betrifft nicht nur München, sondern ist längst deutschlandweit ein Problem. Um der Wohnungsnot etwas entgegenzusetzen, wollte die letzte Bundesregierung jährlich 400.000 Wohnungen bauen, darunter sollten 100.000 Sozialwohnungen sein. Ein Ziel, das mehrfach verfehlt wurde. Die zuständige Bundesbauministerin Klara Geywitz schlug in dem Zusammenhang vor, Menschen könnten stattdessen einfach ins bezahlbare Umland ziehen. An der Lebensrealität vieler Menschen geht dieser Lösungsansatz vorbei. Für sie wird die Wohnungssuche immer öfter zur Existenzkrise.

Doppelt so viele Erwerbstätige ohne Wohnung

Die Zahlen sprechen für sich: Die Quadratmeterpreise in München haben sich zwischen 2010 und 2020 um 68 Prozent erhöht, die Reallöhne dagegen sind nur um rund 12 Prozent gestiegen. Diese Lücke offenbart ein wachsendes Problem. Immer mehr Menschen haben Schwierigkeiten, eine eigene Wohnung zu finanzieren - trotz Job. Zwischen 2009 und 2019 hat sich die Zahl der erwerbstätigen Menschen, die wohnungslos sind, fast verdoppelt: von 6 Prozent auf 11,7 Prozent.

Es gebe unter den erwerbstätigen Wohnungslosen kein Stereotyp, erklärt Rossiwal, aber: "Was alle gemein haben, sind ihre oft sehr bewegten Lebensläufe." Ob Drogen, Inhaftierungen, Beziehungsabbrüche oder Familienkrisen - irgendwann hat es sie aus der Bahn geworfen. Dennoch eint sie eine wichtige Stärke: "Sie können Vollzeit arbeiten und eigentlich selbstständig für ihren Lebensunterhalt sorgen." Das ist im Milieu der Wohnungslosen nicht selbstverständlich, so Rossiwal.

Denn gerade an dieser Stelle entsteht oft eine Abwärtsspirale. Ohne eigene Wohnung ist es auf Dauer schwierig, erholt und gepflegt am Arbeitsplatz zu erscheinen, oft leidet die Leistungsfähigkeit. So bedingen sich Wohnungslosigkeit und Arbeitslosigkeit häufig gegenseitig. Das Risiko, den Job zu verlieren, steigt nach dem Verlust der eigenen Wohnung um bis zu 22 Prozent, wie eine US-Studie berichtet.

Bundesweit fehlen 550.000 Sozialwohnungen

Auf dem Wohnungsmarkt sind Betroffene mit Vorurteilen konfrontiert, was die Suche zusätzlich erschwert. Vermieter schlagen aus ihren Notlagen teils noch Kapital: Rossiwal erzählt von einem Bewohner, der zuvor in einem verschimmelten Keller wohnte. Der Teufelskreis aus strukturellen Barrieren, einem fehlenden sozialen Auffangnetz und gesellschaftlicher Stigmatisierung ist für Betroffene oft schwer zu durchbrechen.

Einen Ausweg bieten soziale Einrichtungen wie die des KMFV. Dort finden Männer für maximal zwei Jahre ein bezahlbares Zuhause und erhalten eine verpflichtende Beratung. Im Haus gelten klare Regeln, das Zusammenleben funktioniert laut Rossiwal sehr gut. Frauen kann die Einrichtung nicht aufnehmen, da das Konfliktpotenzial bei gemischten Einrichtungen deutlich höher ist. Für sie gibt es eigene Einrichtungen.

In München hilft das Haus seinen 55 Bewohnern dabei, langfristig auf eigenen Füßen zu stehen. Dennoch betont Rossiwal: Um das zugrunde liegende Problem zu lösen, brauche es in erster Linie bezahlbaren Wohnraum. Bundesweit fehlen in Deutschland aktuell 550.000 Sozialwohnungen, wie aus einer Studie des Pestel-Instituts hervorgeht. "Das Thema Wohnungslosigkeit kommt langsam in der Mitte der Gesellschaft an", warnt der Hausleiter.

Quelle: ntv.de

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