Politik

Als die USA zum Folterer wurden "Es war die blanke Angst"

Niemand wurde bislang für die Folterungen vor Gericht zur Rechenschaft gezogen.

Niemand wurde bislang für die Folterungen vor Gericht zur Rechenschaft gezogen.

(Foto: imago images/ZUMA Wire)

Heute vor 20 Jahren kamen die ersten Gefangenen nach Guantánamo, wurden unmenschlich gequält und entrechtet - mit Billigung des US-Präsidenten. Wie die USA zum Folterer wurden und warum sie es bis heute nicht schaffen, sich vom Lager zu befreien.

13 Millionen Dollar pro Häftling pro Jahr - das ist die einfache Antwort auf die Frage, welchen Preis es fordert, dass die USA es in 20 Jahren nicht geschafft haben, ihr Gefangenenlager Guantánamo zu schließen. 540 Millionen kostete es 2018 nach Berechnungen der "New York Times", das Lager mit inzwischen noch 39 Insassen auf Kuba zu betreiben, wo am 11. Januar 2002 die ersten Gefangenen aus dem Krieg in Afghanistan ankamen.

Es waren Männer, die der amerikanische Geheimdienst verdächtigte, an 9/11, dem Anschlag auf das New Yorker World Trade Center 2001, beteiligt gewesen zu sein oder anderweitig Terror gegen die USA zu planen. Manche von ihnen waren als Verdächtige entführt und dann an Geheimdienst oder Militär übergeben worden. Auf die Ergreifung von islamistischen Terroristen war eine Belohnung ausgesetzt.

"Kriegsgefangene" waren diejenigen, die nach Guantánamo kamen, nicht, denn dieser Status hätte ihnen gemäß der Genfer Konventionen Rechte beschert, die ihnen die USA nicht gewähren wollten. Das Recht darauf, nicht bedroht zu werden zum Beispiel. Medizinische Experimente sind laut Artikel III der Konvention streng verboten, Erniedrigungen, Gewalt und Folter - eigentlich alles, was die Sondereinheit für "enhanced interrogations", also erweiterte Verhörmaßnahmen, den Insassen von Guantánamo in den folgenden Jahren antat.

"Es ist Folter", sagt der Mann, der sich in Guantanámo "Mister X" nannte und eine Zeit lang für die Ausführung des Sondervernehmungsplans zuständig war. Seine Zuständigkeit übte er in der Regel nachts aus, das Gesicht hinter einer Sturmmaske und einer verspiegelten Sonnenbrille verborgen. Im Repertoire der "erweiterten Verhörmaßnahmen" seiner Einheit: Beschallen mit Lärm, tagelanger Schlafentzug, Zwang zur Nacktheit, mal Stehverbot, mal Sitzverbot, Sack über den Kopf, extreme Kälte oder Hitze, Isolation in Finsternis, Zwang zum Urinieren in die eigene Kleidung, Waterboarding, Herumführen an einer Hundeleine, Zwang zu Hundekunststücken, Scheinhinrichtungen.

Die Wahrheit lässt ihn nicht los

"Ich glaube, er hat gedacht, dass er umgebracht wird", sagt Mister X 17 Jahre später über den Insassen Mohammedou Ould Slahi, für den er sich immer wieder neue Formen der Entwürdigung einfallen ließ, weil der Geheimdienst den Verdacht hatte, Slahi habe die Attentäter des 11. September rekrutiert. Geweint habe der nicht, erinnert sich sein Peiniger, "über diesen Punkt war er wohl schon hinaus. Es war die blanke Angst". Seit 17 Jahren lebe er mit dieser hässlichen Wahrheit, sagt Mister X in die Kamera des Filmemachers John Goetz. Sie lasse ihn nicht los. 15 Sekunden lang ringt der bärtige, tätowierte Hüne von Mann mit sich, bevor er die Kraft aufbringt, diese hässliche Wahrheit zu benennen: "Yeah, I mean, it's torture." Folter.

Jene 15 Sekunden, dokumentiert in dem Film "Slahi und seine Folterer", lassen erahnen, dass die USA noch einen anderen Preis gezahlt haben, neben den immens hohen Kosten, die der Betrieb des Militärgefängnisses außerhalb der USA jedes Jahr verursacht hat und noch verursacht.

Dabei geht es um die Frage, was die Bereitschaft zu Folter, Entrechtung, Menschenrechtsverletzungen und dem Bruch mit den Genfer Konventionen für eine Nation bedeuten, die sich rühmen durfte, mit der 1791 ratifizierten "Bill of Rights" schon sehr früh Grundrechte in die eigene Verfassung integriert zu haben. Mit dieser ersten einklagbaren Grundrechteordnung wurde das junge Amerika neben England zu einem Vorreiter auf diesem Gebiet.

Die Foltermethoden, die man mehr als 200 Jahre später gegen die Häftlinge in Guantánamo anwendete, waren keineswegs Skandale und Ausraster von Militärs mit zu viel Macht über andere. Es waren von allerhöchster Stelle erlaubte und goutierte Methoden. Auch wenn unwahrscheinlich ist, dass sich der damalige US-Präsident George W. Bush das bevorstehende Grauen im Detail erläutern ließ, als er vier Tage vor der Erstbelegung Guantánamos ein Rechtsgutachten unterschrieb, mit der Bestätigung, dass die Inhaftierten nicht als Kriegsgefangene betrachtet werden würden und entsprechend auch kein Schutz durch die Genfer Konvention bestehe.

Auf den Punkt gebracht hieß das: Die Menschen, für die Guantánamo bereitstand, würden vollkommen rechtlos sein, "unlawful combattants" - unrechtmäßige Kämpfer, lautete die dafür angewandte Bezeichnung. Eine Kategorie für Personen, die sich weder auf den Schutz durch amerikanische Gesetze berufen konnten - darum wurden sie außerhalb der USA festgehalten - noch auf völkerrechtliche Prinzipien. Es wurde zu einer rechtlichen Kategorie für Menschen, die man zwingen darf, an einer Hundeleine zu krabbeln.

Selbstmord als "PR-Schachzug"

Als sich im Jahr 2006 drei Gefangene kurz hintereinander das Leben nahmen, nannte der damalige Kommandant ihren Suizid laut Amnesty International einen "Akt der asymmetrischen Kriegsführung". Gemäß der Aussage einer Mitarbeiterin des Außenministeriums in leitender Funktion handelte es sich um einen "guten PR-Schachzug".

Seit die Menschenrechtsverletzungen in Guantánamo bekannt wurden, gab es immer wieder Stimmen in den USA, die mahnten, das Land dürfe im Kampf gegen Terrorismus nicht seine eigenen Prinzipien aufgeben. Doch "nach 9/11 war ein großer Teil des amerikanischen Volkes für lange Zeit bereit, auch Folter als legitime nationale Selbstverteidigung zu billigen", sagt Manfred Berg, Professor für Amerikanische Geschichte an der Universität Heidelberg.

Auf den Republikaner Bush folgte der Demokrat Obama im Weißen Haus. Ein Präsident, der Guantánamo als ein Symbol für ein Amerika betrachtete, das "die Herrschaft des Rechts verspotte". Doch in zwei Amtszeiten gelang es dem damaligen Regierungschef der Vereinigten Staaten nicht, das Lager zu schließen.

Zu stark war der Widerstand - nicht nur der republikanischen Opposition, sondern auch all derer, die Angst hatten, wenn den Terrorverdächtigen auf amerikanischem Boden ein fairer Prozess gemacht würde, könnte der eine oder andere am Ende freigelassen werden. Man würde sich also den möglichen Feind ins eigene Land holen. Kein gangbarer Weg auch für viele liberalere US-Bürger. "Im Zweifelsfall", sagt Experte Berg, "genießt nationale Sicherheit in den USA immer Vorrang".

Zwar wurden im Laufe der Zeit die allermeisten der insgesamt knapp 800 Insassen freigelassen. Aber oft erst nach Jahren der Haft und quälenden Ungewissheit. Auch Barack Obamas Bemühungen, unschuldig Inhaftierte in andere Länder auszufliegen, scheiterten oft. Viele Staaten weigerten sich, ihre Landsleute aufzunehmen. Manche Häftlinge, beispielsweise Uiguren, konnte man nicht in die Heimat zurückbringen. In China hätte ihnen Verfolgung gedroht.

Playstations, aber keine Perspektive

Mit dem Republikaner Donald Trump im Weißen Haus verfolgten die USA dann gar nicht mehr das Ziel, das Lager zu schließen. Joe Biden hat nach seiner Amtsübernahme vor knapp einem Jahr nun wieder angekündigt, Guantánamo dichtzumachen. Doch es wird immer unwahrscheinlicher, dass die politischen Kräfteverhältnisse das hergeben. Auch hat die Gesellschaft für die Menschen, die in Guantánamo festgehalten wurden und werden, nur wenig Sympathien. Mit dem Ansinnen, das Lager zu schließen, wird sich der Demokrat Biden Ärger einhandeln. Gelingt es ihm dennoch, kann er beim Wahlvolk kaum damit punkten.

Die heute noch 39 Insassen werden von 1800 Soldaten bewacht und betreut. Ihnen stehen laut "New York Times" Sportgeräte, Nachrichtenkanäle und Playstations zur Verfügung. Viele dürfen gemeinsam essen und beten, manche nehmen an Kunstprojekten teil oder an Gartenbaukursen. Einen rechtsstaatlichen Prozess hatte keiner von ihnen. Das haben sie mit den damals Verantwortlichen für Guantánamo gemein. Niemand wurde bislang für die Folterungen vor Gericht zur Rechenschaft gezogen.

Quelle: ntv.de

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