Ukrainische Flüchtlinge in Polen Auch Rechtsradikale erhalten Geld aus Warschau
24.04.2022, 12:11 Uhr
Robert Bąkiewicz beim "Unabhängigkeitsmarsch" in Warschau am 11. November 2021.
(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)
In kein anderes Land kommen so viele ukrainische Kriegsflüchtlinge wie nach Polen. Nicht alle Hilfsorganisationen werden vom polnischen Staat finanziert. Die in Polen regierenden Nationalkonservativen dotieren Stiftungen und Vereine, die ihnen politisch genehm sind. Einer der größten Profiteure ist ein landesweit bekannter Rechtsradikaler.
Was in Polen derzeit passiert, hätten viele Westeuropäer, wohl aber auch viele Polen, nach den Erfahrungen von 2015 und der Krise an der polnisch-belarussichen Grenze im vergangenen Jahr wahrscheinlich nicht für möglich gehalten. Das Land an der Weichsel, das sich in den vergangenen Jahren gegen die Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Nahen und Mittleren Osten wehrte, das an der Grenze zu Belarus zum Schutz vor illegalen Migranten für Unsummen einen meterhohen Zaun fast fertiggestellt hat, entdeckt und zelebriert seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar die Willkommenskultur.
Fast drei Millionen ukrainische Kriegsflüchtlinge haben bisher die polnisch-ukrainische Grenze überschritten, von denen die Mehrheit auch in Polen bleibt. Allein in der Hauptstadt Warschau mit ihren 1,8 Millionen Einwohnern sind es derzeit 300.000 ukrainische Flüchtlinge, was laut der Stadtverwaltung einen Bevölkerungszuwachs von 17 Prozent bedeutet. Sowohl in absoluten Zahlen und erst Recht pro Kopf sind heute deutlich mehr Flüchtlinge in Polen als vor sieben Jahren in Deutschland.
Dass die Aufnahme und Versorgung der Flüchtlinge funktioniert, ist vor allem ein Verdienst der polnischen Zivilgesellschaft. Dies beginnt mit der Erstversorgung der Ankommenden durch Freiwillige und NGOs und reicht bis zur Unterbringung in vielen polnischen Haushalten. Für viele Polen ist dies ein Zeichen ihrer Solidarität mit ihren Nachbarn. Der polnische Staat selbst handelt unbürokratisch bei der Registrierung der ukrainischen Flüchtlinge, die dadurch Zugang zum Gesundheits- und Bildungswesen sowie zum Arbeitsmarkt bekommen. Zusätzlich unterstützt er Personen, die zum Beispiel Ukrainer aufgenommen haben, und NGOs finanziell.
Staatliche Fördermittel für konservative Organisationen
Für die in Polen regierenden Nationalkonservativen scheint dies allerdings auch ein Weg zu sein, um Stiftungen, Vereinen und Organisationen Gelder zukommen zu lassen, die ihnen politisch nahestehen. Was seit dem Regierungsantritt der PiS 2015 nicht ungewöhnlich ist. Egal ob Projekte der nationalkatholischen Juristenvereinigung "Ordo Iuris", die unter anderem Kommunen bei der Schaffung von "LGBT-Ideologie-freien Zonen" unterstützt hat, oder von regierungsnahen Journalisten gegründete Stiftungen wie die von Paweł Lisicki. Der Chefredakteur des nationalkonservativen Wochenmagazins "Do Rzeczy" ist Vorsitzender von mittlerweile vier Stiftungen, die teilweise mit öffentlichen Mitteln finanziert werden und sich ebenfalls im "Kampf gegen LGBT" sehen.
Auch auf der Liste der 130 Stiftungen und Vereine, die aus öffentlichen Mitteln für ihre Ukraine-Hilfe unterstützt werden, scheint ideologische Nähe eine wichtige Rolle gespielt zu haben. Denn neben vielen Stiftungen, die einen christlichen Hintergrund haben, findet man hier auch die "Stiftung Leben". Die in Lodz beheimatete Anti-Abtreibungsorganisation, deren Vorsitzender keinen Hehl aus seinen Sympathien für die PiS macht, sorgte noch Anfang des Jahres für Schlagzeilen, weil sie Fördermittel des Justizministeriums von fast 2,5 Millionen Euro nicht adäquat benutzt haben soll. Nun wird sie für ihre Ukraine-Hilfe mit fast 50.000 Euro unterstützt.
Ein Rechtsradikaler als Flüchtlingshelfer
Doch der überraschendste Name auf der Liste der 130 vom Staat unterstützten Organisationen ist der "Verein Nationale Wache". Mit 264.000 Zloty, umgerechnet rund 65.000 Euro, ist er auch einer der größten Nutznießer. Dotiert wurde der Verein für seinen Antrag "Humanitäre Hilfe für vom Kriegskonflikt betroffene ukrainische Staatsbürger". Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine harmlose patriotische Organisation. Gründer und Vorsitzender ist Robert Bąkiewicz, der als Mitorganisator des jährlich am 11. November stattfindenden "Unabhängigkeitsmarsches" in Warschau zu den bekanntesten Rechtsradikalen des Landes gehört. Zu der Veranstaltung reisen Rechte aus ganz Europa an, sie findet jedes Jahr unter einem anderen Motto statt. 2015 war es beispielsweise "Polen den Polen, Polen für Polen", 2020 "Unsere Zivilisation, unsere Bedingungen", im letzten Jahr "Die Unabhängigkeit steht nicht zum Verkauf".
Noch bekannter wurde Bąkiewicz im Herbst 2020, als in Polen landesweite Proteste gegen ein Urteil des Verfassungsgerichts stattfanden, mit dem das in Polen eh schon strikte Abtreibungsrecht weiter verschärft wurde. Damals gab er die Gründung der "Nationalen Wache" bekannt, um die katholischen Kirchen des Landes, die damals oft ein Ziel der Demonstranten wurden, zu schützen. Während der Migrationskrise an der polnisch-belarussischen Grenze im vergangenen Jahr organisierte die "Nationale Wache" dort eine Art Bürgerwehr.
Gegen Arbeitsmigranten aus der Ukraine
Diese Aktivitäten gefielen den in Polen regierenden Nationalkonservativen offenbar gut. Obwohl Bąkiewicz, der Mitglied des Nationalradikalen Lagers ist, einer rechtsradikalen Gruppierung mit Wurzeln in der Zwischenkriegszeit, die in der Vergangenheit die Demokratie als "eines der dümmsten Systeme, die der Mensch geschaffen hat" bezeichnete, bekamen die von ihm geführten Vereine im vergangenen Jahr Fördermittel in Höhe von fast einer Million Euro. Allein seine "Nationale Wache" erhielt rund 500.000 Euro, die sie für den Kauf von Fahrzeugen und Immobilien verwendete. In diesen Immobilien sind nun ukrainische Kriegsflüchtlinge untergebracht.
Ob Bąkiewicz diese Hilfe aus Nächstenliebe leistet, wie er jüngst in einem Interview mit dem nationalkatholischen "Radio Maryja" bekundete, darf bezweifelt werden. In der Vergangenheit warnte er vor ukrainischen Arbeitsmigranten in Polen, weil die "Ukrainer ihre nationale Identität auf einem Verbrechen gegen die Polen aufbauen". Damit spielte Bąkiewicz auf das Massaker von Wolhynien an, bei dem die Ukrainische Aufständische Armee (UPA) zwischen Februar 1943 und April 1944 laut Schätzungen 100.000 dort lebende polnische Zivilisten umgebracht hat. Ein Verbrechen, das Bąkiewicz offenbar auch noch heute nicht verzeihen kann. Mitte April mahnte er, dass man der Ukraine helfen, aber das Massaker von Wolhynien nicht vergessen soll. Für die meisten Polen spielt diese Tragödie in den polnisch-ukrainischen Beziehungen aktuell überhaupt keine Rolle. Ihre Solidarität mit ihren östlichen Nachbarn ist größer.
Quelle: ntv.de