Politik

Angst vor tanzenden Fanatikern Ausgerechnet Netanjahu ist ihre zentrale Hoffnung

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Vor der Residenz des israelischen Ministerpräsidenten in Jerusalem hat ein Demonstrant "Die Zeit läuft ab" auf seine Hände geschrieben.

Vor der Residenz des israelischen Ministerpräsidenten in Jerusalem hat ein Demonstrant "Die Zeit läuft ab" auf seine Hände geschrieben.

(Foto: REUTERS)

Während rechtsextreme Minister in Israel Pläne zu einer Rückkehr in den blutig umkämpften Gazastreifen feiern, bangen Angehörige um das Leben der Geiseln. Sie hoffen, dass Regierungschef Netanjahu trotz der Fanatiker im eigenen Kabinett einen Deal mit der Hamas schließt.

Für Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und seine Regierung hat niemand hier ein gutes Wort übrig. Und doch sind rund ein Dutzend Demonstranten heute Morgen zur offiziellen Residenz des israelischen Regierungschefs in Jerusalem gekommen, "um ihm den Rücken zu stärken", erklärt Udi Goren, einer von ihnen. Goren und die anderen Demonstranten gehören zum Forum der Familien der Geiseln und Vermissten, in dem sich Angehörige der Opfer des Hamas-Terrorangriffs vom 7. Oktober organisiert haben. Seit diesem Tag machen sie Druck auf die Regierung, der Rettung der Verschleppten oberste Priorität einzuräumen - auch wenn das bedeutet, Zugeständnisse an die Terroristen machen zu müssen.

Sympathien für Netanjahu hat Udi Goren nicht. Gegen seine rechtsradikalen Koalitionspartner will er ihm trotzdem den Rücken stärken.

Sympathien für Netanjahu hat Udi Goren nicht. Gegen seine rechtsradikalen Koalitionspartner will er ihm trotzdem den Rücken stärken.

(Foto: Max Borowski)

Derzeit wird genau darüber mithilfe internationaler Vermittler verhandelt: einen möglichen Waffenstillstand im Gegenzug zur Freilassung der Geiseln. Dabei bekommt Netanjahu in Israel Druck allerdings auch von einer anderen Seite, unter anderem von seinen nationalistischen und rechtsreligiösen Koalitionspartnern. Auch die betonen zwar immer wieder, wie sehr ihnen das Schicksal der Geiseln am Herzen liege. Noch wichtiger ist ihnen jedoch, den militärischen Kampf gegen die Hamas fortzusetzen und den ganzen Gazastreifen zu erobern. "Die sind bereit, die Geiseln zu opfern", sagt Goren.

Derzeit sind geschätzt noch mehr als 130 Geiseln in der Hand der Hamas und anderer Terrorgruppen im Gazastreifen. Ihre Familien gehören unterschiedlichen politischen Lagern an, ihre Forderungen unterscheiden sich teils. Doch in einem seien sie alle einig, sagt Goren: "Wir räumen dem Leben oberste Priorität ein. Das ist doch, was uns von unseren Feinden unterscheidet, die bereit sind, über Leichen zu gehen."

"Die feiern diesen Krieg sogar"

Sicherheitsminister Itamar Ben Gvir (M.) tanzt auf einer Konferenz, die den Bau jüdischer Siedlungen im Gazastreifen fordert. Bislang ist dies nicht das Ziel der israelischen Regierung.

Sicherheitsminister Itamar Ben Gvir (M.) tanzt auf einer Konferenz, die den Bau jüdischer Siedlungen im Gazastreifen fordert. Bislang ist dies nicht das Ziel der israelischen Regierung.

(Foto: REUTERS)

Wo die Prioritäten von Netanjahus Regierungsmitgliedern liegen, wurde kürzlich hier in Jerusalem deutlich. Einige von ihnen sehen im Krieg die Chance, ihren Traum von einer jüdischen Besiedlung und Vertreibung der Palästinenser aus dem Gazastreifen zu verwirklichen. Unter anderem die rechtsextremen Sicherheitsminister Itamar Ben Gvir und Finanzminister Bezalel Smotrich sowie auch Vertreter von Netanjahus Likud-Partei nahmen an einer Konferenz zur Wiederbesiedlung des derzeit blutig umkämpften Gazastreifens teil. Udi Goren ist sichtlich empört: "Die feiern diesen Krieg sogar, während Hunderttausende Israelis derzeit aus Sicherheitsgründen nicht in ihre Häuser können. Mit ihrer Rhetorik gefährden sie das Leben der Geiseln", sagt Goren. Die Bilder von den tanzenden Fanatikern seien wie ein Schlag ins Gesicht der Angehörigen der Hamas-Opfer.

Für Gorens eigenen Cousin kommt jede Hilfe zu spät. Vor einem Monat, nach Wochen des Bangens, erfuhr die Familie, dass Tal Haimi tot ist. Er wurde bereits am 7. Oktober in seinem Haus im Kibbuz Nir Yitzhak in der Nähe des Gazastreifens ermordet, sein Leichnam von den Terroristen verschleppt. Udi Goren kämpft nicht nur dafür, dass sein Cousin würdig bestattet werden kann, sondern vor allem darum, dass die noch lebenden Geiseln gerettet werden.

Dem Druck der Radikalen auf Netanjahu, den Krieg bis zur vollständigen Eroberung Gazas fortzusetzen, wollen die Angehörigen der Hamas-Opfer ihre Position von der Priorität des Lebens entgegensetzen. Der Regierungschef soll sie unbedingt selbst sehen. Keiner hier kann Netanjahu leiden, politische Unterstützer findet man hier nicht. Dennoch wollen sie jede Chance nutzen, um dem Regierungschef in dieser Frage Rückhalt zu geben.

Als die Polizei die Straße vor der Residenz kurz absperrt, eilen die Demonstranten mit ihren Schildern und Postern der Geiseln zum Tor. Ob Netanjahu tatsächlich in dem Konvoi sitzt, der kurz darauf die Einfahrt in einiger Entfernung passiert, ist nicht zu erkennen. Unklar ist, ob er heute überhaupt in der Residenz oder in einem seiner Privathäuser in Jerusalem übernachtet hat. Das wäre allerdings nicht so schlimm: "Auch an seinen anderen möglichen Aufenthaltsorten demonstrieren gerade einige von uns", erklärt Goren.

Quelle: ntv.de

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