Politik

Räumung von besetztem Haus Berlin macht sich auf Chaos-Tage gefasst

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Demonstration vor dem Haus in der Liebigstraße 34

(Foto: picture alliance/dpa)

In der geplanten Räumung eines linken Wohnprojekts in Berlin sieht Deutschlands linksradikale Szene einen Anlass zum großen Aufstand. Die Polizei bereitet sich mit Tausenden Einsatzkräften auf die Räumung am Freitag vor. Der rot-rot-grüne Senat tut sich im Umgang mit dem Konflikt schwer.

Als die Tage des Chaos vorbei sind, ist in der gerade erst wiedervereinten Hauptstadt nichts mehr wie vorher: Hunderte Menschen waren zumindest vorübergehend in Haft, Dutzende wurden verletzt, und der rot-grüne Senat platzte im Streit über Polizeigewalt. Die tagelangen Straßenschlachten zwischen Polizei und Hausbesetzern rund um die Mainzer Straße im Bezirk Friedrichshain im Spätherbst 1990 haben in der Stadt Narben hinterlassen. 30 Jahre später könnte sich das Drama im Kleinen wiederholen. Ein vorzeitiges Aus des rot-rot-grünen Senats ein Jahr vor der nächsten Wahl scheint zwar ausgeschlossen. An der Frage nach dem Umgang mit den Hausbesetzern aber scheiden sich die Koalitionsgeister.

Nur wenige hundert Meter von der seit langem durchsanierten, heute eher schicken Mainzer Straße entfernt soll am Freitag ein Haus geräumt werden. Das will die links-autonome Szene verhindern, ihr Schlagwort lautet "Chaos statt Räumung". Gekämpft wird um die Liebigstraße 34, ein nach eigener Beschreibung anarcha-queer-feministisches Wohnprojekt. Linksradikale und Extremisten haben sich nach Einschätzung der Behörden aus verschiedenen Städten Deutschlands und mehreren Ländern Europas auf den Weg gemacht, um diesen Kampf zu unterstützen. "Räumt uns und ihr fangt euch 'nen Pflasterstein. L34 bleibt", schrieben Dresdener Linksaktivisten in einer Solidaritätsadresse via Twitter.

Ein möglichst hoher Preis

Auch die Polizei mobilisiert nach Kräften: Am Donnerstag und Freitag wird in dem als linke Hochburg geltenden Nordkiez großräumig abgesperrt. Am Donnerstag sollen dann nach einem Bericht des Berliner "Tagesspiegel" neben 2500 eigenen Kräften mehrere Hundertschaften aus anderen Bundesländern zum Einsatz kommen. Von dort seien auch vier Wasserwerfer, Höhenretter und Spezialeinsatzkräfte (SEK) angefordert worden.

"Man kann davon ausgehen, dass dort eben auch Fallen aufgebaut wurden wie etwa Fallstricke, zudem wurde dort in den letzten Wochen Zement herangefahren", sagt der für Sicherheits- und Verfassungsschutzthemen zuständige Berliner SPD-Abgeordnete Tom Schreiber über die Liebig34. "Die Szene will das Haus verbarrikadieren, mit dem Ziel, den Einsatz derart zu erschweren, dass er abgebrochen wird." Der Preis für die Räumung solle so hoch wie möglich getrieben werden.

Die Bewohner sehen den Rechtsstreit um das Haus als nicht abgeschlossen an. Der gerichtlich erwirkte Räumungstitel des Berlin-weit tätigen Immobilieninvestors Gijora Padovicz richte sich gegen einen Verein, der die Räumlichkeiten nicht mehr nutze. Da gebe es nun einen anderen Verein, gegen den kein Urteil vorliege. Und überhaupt: Dass ein Mietvertrag ausläuft wie in diesem Fall 2018, geht nach Meinung des Rechtsanwalts Moritz Heusinger nur bei Gewerbeimmobilien, nicht bei Wohnraum. Da habe sich das Gericht geirrt. Umstritten ist zwischen den Lagern, inwiefern es faire Angebote vom grün-regierten Bezirk und den Eigentümern gab, den Konflikt einvernehmlich zu lösen.

Kriminelle oder "Nebelkerzen"?

Schreiber hingegen betont, die Bewohner hätten "zwei Jahre überhaupt nichts bezahlt und das Haus ist in einem Zustand, den man als katastrophal empfinden kann". Der Rechtsstreit weist Parallelen zu einem anderen, nur einen - Achtung: Wortwitz - Steinwurf entfernten Haus auf: der Rigaer Straße 94, die als eine Hochburg der linksradikalen Szene gilt und in deren Umfeld es seit Jahren auch immer wieder zu Akten von Gewalt und Zerstörung kommt.

Bei der Rigaer94 scheiterte eine Räumung bislang am Streit darum, wer der eigentliche Eigentümer ist, der sich hinter einer in England gemeldeten Firma versteckt. Die Unterstützer der Rigaer94 vermuten dubiose bis kriminelle Absichten. "Nebelkerzen", seien solche Behauptungen, sagt SPD-Mann Schreiber, der die Eigentümer beider Immobilien nach eigenen Angaben persönlich kennt.

Sympathisanten und Eingeschüchterte

Es ist anzunehmen, dass der Streit um die letzten paar besetzten Immobilien der Hauptstadt ohne die angespannte Wohnungslage Berlins weit weniger Aufsehen erregen würde. So aber ist den Wohnprojekten die Sympathie vieler gewiss, die seit Jahren gegen die vielen Miethaie, Luxussanierer und Hedgefonds auf dem Immobilienmarkt kämpfen oder die einfach nur unter ihrer hohen Mietlast leiden.

Ein Hausbesitzer, der sich hinter einer britischen Limited versteckt, und Padovicz, dessen Vermieter-Gebaren seit Jahren in der Kritik steht, die gemeinsam das letzte bisschen alternatives Leben plattmachen wollen im einst so bunten Berlin: Die Liebig34 und die Rigaer94 sind auch Projektionsflächen eines viel größeren sozialen Problems. Die Hausbesetzer verweisen deshalb gerne auf die große Unterstützung in ihrem Kiez; von vielen Balkonen hängen solidarische Transparente.

Hunderte beschädigte Pkw

Schreiber widerspricht: Viele Anwohner, die sich selbst politisch als links oder grün verorten, hätten "es schlichtweg satt, bedroht und bepöbelt zu werden, Angst haben und sich rechtfertigen zu müssen, dass sie dort wohnen". Wer laut Kritik am Verhalten einzelner Besetzer äußert, gerät demnach schnell in deren Visier. "Im persönlichen Gespräch äußern sich Nachbarn auch kritisch, aber nicht, wenn die Kamera läuft", berichtet die Journalistin Kathrin Gräbener von ihrer Reportage aus dem Kiez, die das RTL Nachtjournal an diesem Donnerstag zeigt.

Fälle von Einschüchterung sind dokumentiert, meist durch Sachbeschädigungen an Autos, Fenstern, Fassaden, Grafitti-Sprüche gegen Gentrifizierung und das große Kapital. 330 private Pkw und 48 Polizeiautos seien in den vergangen vier Jahren nahe der beiden Häuser beschädigt worden, berichtet der "Spiegel" unter Berufung auf die Innenverwaltung.

Dass Innensenator Andreas Geisel von der SPD die Polizeiaktion absagt, ist unwahrscheinlich. Auch, wenn die Jugendorganisationen der in Berlin mitregierenden Grünen und Linken genau das von Geisel fordern. Am Mittwoch erklärte sich der Linke-Landesverband mit der Liebig34 solidarisch und forderte Geisel und die Polizei auf, "abzurüsten". Ein "Einsatz vergleichbar mit G20 in Hamburg ist inakzeptabel", heißt es in dem Text, der die Räumung als "Niederlage für alle politisch Linken in der Stadt" wertet. "Linke und Grüne reden sich das schön, weil man glaubt, den Kampf der Gerechten dort zu führen", kritisiert Schreiber. Einer wachsenden und immer militanteren linken Szene sei es gelungen, über die Themen Gentrifizierung und Polizeigewalt Anschluss an diese Parteien zu finden.

Senat ist uneins

Tatsächlich tun sich zwei der drei Berliner Regierungsparteien schwer im Umgang mit der aus sehr unterschiedlichen Gruppen zusammengesetzten linksradikalen Szene. Von den 2000 bis 3000 Menschen, die am vergangenen Samstag für die Liebig34 demonstrierten, sind die meisten eben nicht gewaltbereit. Aus ihren Reihen meldete die Polizei aber verschiedene Übergriffe gegen Beamte. Die Sympathisanten der radikalen Systemkritiker dienen so als Schutzschild militanter Aktivisten. Rund 940 gewaltbereite Linksextremisten zählte Berlins Landesamt für Verfassungsschutz 2019.

Die SPD hingegen kann bei ihrer Klientel mit dem Einsatz für Rechtsstaatlichkeit und Ordnung punkten, will aber auch nicht als verlängerter Arm der Immobilienunternehmer wahrgenommen werden. "Man sitzt das Problem lieber aus, weil man Angst hat, dass da was passiert", klagt Schreiber über die Berliner Politik - ganz gleich, wer gerade den Innensenator stellt.

Diesmal aber scheint eine Konfrontation nicht länger vermeidbar. Die Behörden erwarten laut "Tagesspiegel" die größten Auseinandersetzungen seit dem Kampf um die Mainzer Straße vor 30 Jahren. Im ganzen Stadtgebiet könnte die Polizei mit Aktionen wie Scheinbesetzungen, brennenden Autos und kleinen Anschlägen gegen Objekte in Atem gehalten werden. Bereits am Montag verursachte ein Kabelbrand am Berliner S-Bahn-Ring weiträumige Betriebsstörungen. In einem Bekennerschreiben reklamierten radikale Linke die Tat für sich und bezogen sich explizit auf die anstehende Räumung der Liebig34. Der Staatsschutz ermittelt in dem Fall - und könnte schon bald noch mehr zu tun bekommen.

Quelle: ntv.de

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