Was Syrer in Deutschland denken "Letztendlich gehöre ich nach Syrien"
12.12.2024, 17:38 Uhr Artikel anhören
Imad Sabrin wollte nicht für Assad kämpfen und floh vor zwei Jahren nach Berlin. Seitdem hat er seine Kinder nicht mehr gesehen.
Assad ist weg - und nun? ntv.de hat mit Menschen aus Syrien gesprochen, die in Deutschland leben. Ihre Freude über Assads Verschwinden ist groß. Doch was das für die eigene Zukunft bedeutet, beantworten sie ganz unterschiedlich.
Feuer lodert zwischen den Kohlen im Grill des syrischen Restaurants Aldimashqui auf der Neuköllner Sonnenallee. Imad Sabrin und Logeen Faour Shana arbeiten beide hier. Sie beide haben den Sturz des syrischen Diktators Baschir al-Assad gefeiert. Aber sonst verbindet sie nicht viel. Shana spricht hervorragendes Deutsch, Sabrin nicht. Shana ist 24 Jahre alt, studiert Mathematik an der Technischen Universität Berlin. Sie floh 2015 als Kind mit ihrer Familie aus Syrien nach Deutschland. Sabrin ist Familienvater, 43 Jahre alt. Er floh vor zwei Jahren aus Angst, in die Armee eingezogen zu werden. Shana will eigentlich nur übersetzen für Sabrin, erst später erzählt sie von sich selbst.
Sabrins Kinder leben mit der Mutter und der Oma in Damaskus. Er habe in den letzten Tagen viel gefeiert, trotzdem sei er auch traurig, sagt Sabrin: In Gedanken ist er bei all den Menschen, die er in den letzten Jahren verloren hat. Acht Verwandte sind gestorben. Seine Kinder sind in Syrien, seine Brüder in Schweden - und er ist ganz allein hier in Berlin.
Sie sehe viele Bilder und Videos aus Syrien, erzählt Shana: "Sie feiern und tanzen die ganze Zeit auf der Straße." Auch wenn sie damals, vor ihrer Flucht, noch jung war, sie habe viele schlimme Dinge erlebt in Syrien: "Assad hat unser Leben geklaut, geopfert, unsere Familienmitglieder getötet. Es hat so lange gedauert, aber jetzt ist er endlich weg."
Der Gedanke an Freiheit sickert langsam ein
Ahmad Denno klingt müde am Telefon. Der 33-Jährige ist Geschäftsführer des Dachverbandes Deutsch-Syrischer Hilfsvereine. Drei Tage und Nächte habe er nicht geschlafen, nur geredet mit Freunden und Familie in Deutschland und Syrien. Mit seiner Cousine telefoniert, Nachrichten gesehen. "Es war wie ein Traum", sagt Denno. Er hält kurz inne, merkt, dass dieser Traum Wirklichkeit geworden ist und fügt, an: "Das war unser Traum. Seit 13 Jahren, neun Monaten und 23 Tagen."
Denno ist schon lange in Deutschland. Genau wie sein Freund Anas Albasha. Albasha ist Bauingenieur, errichtet Rohbauten in Berlin, kommt gerade von der Arbeit, als er mit ntv.de spricht. Er vergleicht den Sturz Assads mit dem Mauerfall. Da hätten die Menschen sich auch erstmal gefragt: "Gibt es die wirklich nicht mehr?" Genauso sei es jetzt mit dem syrischen Regime.
Denno sagt, die Menschen in Syrien, mit denen er telefoniert, müssten sich erst daran gewöhnen, offen reden zu können. "Das syrische Regime hat immer kontrolliert, was man am Telefon redet." Jetzt könnten seine Freunde und Verwandten frei erzählen: von der Freude über die Freiheit, von der Angst vor den neuen Machthabern und vom Strom, der wieder fließt. Unter Assad sei der Strom streng rationiert gewesen, auf eine Stunde pro Tag, sagt Denno. Jetzt gebe es in Aleppo wieder 20 Stunden Strom am Tag.
"Ich schäme mich als deutscher Bürger"
Albasha bestätigt das. Assad habe die Menschen in einem Hamsterrad gehalten. Die Sorge um Brot, Wasser und Strom habe die Menschen von der Politik ferngehalten. In all die Freude über Assads Flucht mischte sich bei Albasha schnell auch Bitterkeit: Jetzt zeige sich das ganze Ausmaß des Schreckens, die systematische Brutalität, sagt er. Das berüchtigte Foltergefängnis Saidnaja sei jetzt befreit, aber nun sei eben auch endgültig klar, wer von seinen Freunden und Universitätskollegen überlebt habe - und wer nicht. Albasha sagt, er sei mit ihnen damals in Syrien auf die Straße gegangen, selbst mehreren versuchten Festnahmen entgangen. Immer wieder komme ihm der Gedanke: "Ich könnte einer von denen sein."
Seine Entscheidung nach Deutschland zu fliehen, traf Albasha aus Perspektivlosigkeit. Die Reaktion Deutschlands auf das Ende der Terrorherrschaft schockiert ihn. "Ich schäme mich als deutscher Bürger, dass ein Tag nach dem Sturz Assads über Abschiebungen diskutiert wird." Er kritisiert, dass kein Interesse bestehe, erst einmal bessere Lebensumstände für Syrer zu schaffen. Albasha fordert, dass Europa und die USA erst einmal aktiv beim Aufbau einer demokrotischen Regierung unterstützen, Wahlen organisieren und den Übergang begleiten. Die Frage nach einer Rückkehr sei für ihn und viele andere noch zu früh: "Ich kann nicht mit meinen zwei Kindern nach Syrien reisen und abwarten, ob uns Israel bombardiert." In den letzten Tagen gab es über 300 israelische Luftangriffe auf Syrien.
"Dass Syrien frei ist, das ist die Hauptsache"
Für viele Syrer wie Ahmad Denno ist Deutschland inzwischen eine zweite Heimat geworden. Denno, Geschäftsführer des Dachverbandes Deutsch-Syrischer Hilfsvereine, erinnert sich an den ersten Gedanken, der ihm nach dem Sturz Assads kam: Ich will zurück nach Syrien! Doch nach diesem ersten Gefühl habe sein Verstand wieder übernommen: Das Haus der Familie in Aleppo ist zerbombt. Er hat seine Arbeit hier, seine Freunde hier bezeichnet er als Familie. Deutschland habe ihn geschützt. Er fühle sich inzwischen auch als Deutscher.
Auch Logeen Faour Shana, die als 15-Jährige nach Deutschland kam, hat sich hier ihr Leben aufgebaut. In den neun Jahren, die sie in Deutschland lebt, hat sie Abitur gemacht und studiert nun. Sie finanziert sich selbst - eine Herausforderung, wie sie sagt: "Das ist immer schwierig, Job und Studium. Vor allem Mathematik. Das ist kein normales Studium", fügt sie mit einem Lachen hinzu. Shana plant, nach ihrem Abschluss in Deutschland zu bleiben. Trotzdem träumt sie von einem besseren Syrien. Eine Regierung, die dem Volk dient, sei ihr größter Wunsch. "Assad war wie ein Gott für manche Menschen. Für uns nicht", betont sie. Was sie sich vor allem wünsche, sei garantierte Meinungsfreiheit. "Wer das umsetzt, ist mir nicht so wichtig, aber dass Syrien frei ist, das ist die Hauptsache."
Im Kopf bei den Kindern in Syrien
Während Shana in Deutschland eine Zukunft sucht, träumt ihr Kollege Sabrin von einer Rückkehr in sein Heimatland. Der 43-Jährige arbeitet als Barista, wie schon in Syrien. Für den Familienvater ist klar: Er will so schnell wie möglich zurück in sein Heimatland. Er weiß, dass er noch etwas abwarten muss, bis sich die Situation stabilisiert hat. Aber seinen Integrationskurs will er nicht anfangen. "Mein Kopf ist voll, ich bin bei meinen Kindern." Seit zwei Jahren hat er sie nicht mehr gesehen.
Sein größter Wunsch ist es, seine Kinder so schnell es geht wieder zu sehen. "Deutschland hat für uns Syrer so viel gemacht, aber letztendlich gehöre ich nach Syrien", übersetzt die junge Kollegin für ihn.
Albasha, der den politischen Wandel in Syrien genau verfolgt, betont, dass der Weg zu einem freien Syrien lang und komplex sein werde. Der Wunsch nach Mitbestimmung sei groß, doch fehle es an Wissen und Strukturen, um eine demokratische Regierung effektiv aufzubauen. Hier sieht Albasha die internationale Gemeinschaft in der Pflicht, nicht nur finanzielle, sondern auch logistische Unterstützung zu leisten. Die Vereinten Nationen, Europa und die USA könnten entscheidende Partner sein, um diesen Übergangsprozess zu begleiten. Darüber hinaus müssten auch die bestehenden Sanktionen überdacht werden. Der Kontakt zur vorübergehenden Regierung sei entscheidend, um zu verstehen, was diese konkret benötigt.
Doch darüber, so Albasha, rede niemand. Stattdessen scheine die internationale Gemeinschaft abzuwarten, ohne aktiv auf die Bedürfnisse der syrischen Übergangsstrukturen einzugehen. Der bisherige Umgang der siegreichen Rebellengruppe Hayat Tahrir al-Sham (HTS) mit Minderheiten und Institutionen zeige, dass sich Teile der Konfliktakteure um einen konstruktiveren Ansatz bemühen. Das, sagt Albasha, mache ihm ein wenig Hoffnung.
Quelle: ntv.de