Fleisch für die Welt Der Amazonas brennt stärker als vor einem Jahr
15.08.2020, 07:07 Uhr
Verbrannte Waldflächen im brasilianischen Labrea, im Süden des Bundesstaates Amazonas.
(Foto: dpa)
Eigentlich wollte Brasiliens Umweltminister die Corona-Krise nutzen, um Brandrodungen im Amazonas-Regenwald zu erleichtern. Doch Wirtschaft und Investoren fürchten um ihr Geld. Ein weiteres Katastrophenjahr kündigt sich an.
In Brasilien tobt nicht nur seit Monaten das Coronavirus, eine weitere Katastrophe setzt sich fort: Der Amazonas schrumpft. Vieles deutet darauf hin, dass das Gesamtjahr 2020 schlimmer wird als das vergangene. Noch nie wurde so viel Regenwald in Brasilien gerodet wie in der ersten Hälfte dieses Jahres, gebilligt von der Regierung. Seit 13 Jahren gab es nicht mehr so viele Waldbrände im Amazonas wie im Juni. Im Juli waren es fast 30 Prozent mehr als 2019. Allein im tropischen Feuchtgebiet Pantanal, eines der größten der Erde, wurden bereits dreimal so viele Feuer gezählt. Dabei hat die von Juli bis November dauernde Trockenzeit grade erst begonnen.
Im vergangenen Jahr ging angesichts der Bedeutung des Regenwalds für das Klima ein Aufschrei der Entrüstung um die Welt. Die Brände lösten diplomatische Konflikte aus, weil sich Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro einem "kolonialistischen Komplott" gegenüber sah. Nun sind die Zahlen da. Von August 2019 bis Ende Juli gingen durch Abholzung und Brände 9125 Quadratkilometer Wald verloren, das war ein Drittel mehr als im Vorjahreszeitraum. Diese Angaben sind vorläufig. Die voraussichtlich im November endgültigen, korrigierten Angaben erhöhen sich meist nochmals um rund 30 Prozent.
Die meisten Feuer werden von Menschenhand gelegt. Es sind Holzfäller, Bauern, Viehhalter, Goldschürfer; jene, die davon zu profitieren glauben oder sonst keine Möglichkeit sehen, sich und ihre Familie zu ernähren. Meist wird das Land für die Fleischproduktion genutzt. Bei Unternehmern und Investoren herrscht Angst vor einem noch größeren Katastrophenjahr 2020 und einem globalen Stimmungsumschwung, der einen Boykott brasilianischer Produkte und damit finanzielle Verluste nach sich ziehen könnte. Wegen des Coronavirus ist die Wirtschaft ohnehin schon in der Krise.
Also wandten sich im Juni internationale Fonds mit einer theoretischen Investitionsstärke von 3,5 Billionen Euro an Bolsonaro. In einem offenen Brief hieß es: Wird die Zerstörung der Gebiete nicht gebremst, ziehen wir notfalls unser Geld ab. Im Juli folgten Dutzende brasilianische Unternehmen mit einem eigenen kritischen Schreiben. Sie sehen auch das Handelsabkommen zwischen EU und Mercosur gefährdet. Die Freihandelszone zwischen dem südamerikanischen Handelsblock und Europa muss noch von den einzelnen nationalen Parlamenten ratifiziert werden. Das könnte schwierig werden. Mehrere Länder, darunter Österreich und Frankreich, haben signalisiert, dass sie dem Abkommen nicht zustimmen wollen. Brasilien braucht also gute Nachrichten.
Dürre im Feuchtgebiet
"Sie wollen Ergebnisse sehen, eine Reduzierung der Abholzung", sagte Brasiliens Vizepräsident Hamilton Mourão nach einem Gespräch mit den einflussreichen Kritikern. Der Druck wirkte, Brasiliens Regierung lenkte ein und verbot Mitte Juli die üblichen Brandrodungen im Amazonas und dem Pantanal für 120 Tage. Bereits im vergangenen Jahr ging Bolsonaro nach viel medialem Getöse so vor. Viel gebracht hat es offensichtlich nichts. Diesmal soll das Militär das Moratorium durchsetzen und ist bereits seit Mai aktiv. Einen Lichtblick gibt es: Im bisherigen August ist die Anzahl der Feuer bislang geringer als zur gleichen Zeit des vergangenen Jahres.
Die Feuer breiten sich jedoch längst aus, sind auf Nasa-Satellitenbildern und in den Daten des brasilianischen Weltrauminstituts INPE zu sehen. Im bisherigen Kalenderjahr haben bereits mehr als dreimal so viele Brände wie 2019 gewütet. Mehr als 1,2 Millionen Hektar sollen schon verloren gegangen sein. Laut der Umweltorganisation WWF ist die Situation seit Monaten "kritisch". Die brasilianische NGO "Instituto Centro de Vida", die sich für nachhaltige Land- und Forstwirtschaft einsetzt, nennt die Lage "katastrophal".
Im September brannte es in früheren Jahren besonders weitflächig. Durch den Klimawandel und die bereits weltweit um rund 1,5 Grad gestiegene Temperatur ist der Regenwald trockener und entzündet sich leichter. Zwischen Oktober und November bricht auch im zentralen Amazonasbecken die Trockenzeit an, dann könnte sich die Zahl der Brände weiter erhöhen. Die Brandstifter gehen ohnehin mittelfristig vor: Erst fällen sie den Wald, transportieren das Holz ab und zünden den Rest Monate später an. Laut brasilianischen Umweltschutzinstitut Ipam waren es im Juni 4500 Quadratkilometer gerodeter Amazonaswald, die noch nicht in Flammen aufgegangen sind.
In Feuchtgebieten wie dem Pantanal fressen sich Brände meist durch den Torfboden, halten länger vor und sind schwieriger zu löschen als die offenen Flammen im Amazonas-Regenwald. Grund dafür ist in diesem Jahr eine anhaltende Dürre. Im Pantanal regnet es normalerweise von Dezember bis März, Brandrodungen sind dann erlaubt. Doch 2020 gab es so wenig Niederschlag wie seit fast einem halben Jahrhundert nicht. Die Brände gerieten deshalb außer Kontrolle und fraßen sich schon im Januar und Februar, den sonst nassesten Monaten des Jahres, durch das 200.000 Quadratkilometer große Gebiet, das sich bis nach Bolivien und Paraguay erstreckt.
Schwer zugängliche Gebiete
Im April hatte Umweltminister Ricardo Salles hinter verschlossenen Türen noch getönt, die aktuelle globale mediale Aufmerksamkeit für das Coronavirus sei doch eine prima Gelegenheit, unbemerkt "alle Regeln" der Umweltschutzmaßnahmen für den Regenwald zu ändern und "die Rinderherde durch den Amazonas zu treiben". Bereits im vergangenen Jahr hatte Salles sein eigenes Ressort und das zugehörige Umweltschutzinstitut Ibama mit Personalrochaden und Budgetkürzungen auf Linie gebracht: Seit zwei Jahrzehnten hat das Ibama nicht mehr so wenige Geldstrafen wegen illegaler Abholzung verhängt. Dabei sehen Wissenschaftler den schrumpfenden Regenwald mindestens kurz vor dem "Kipppunkt", ab dem er sich nicht mehr selbst regenerieren kann, langsam austrocknet und sich die Klimaerwärmung deshalb beschleunigt.
Aus dem Umweltinstitut Ibama heißt es, die meisten betroffenen Gebiete seien nur per Hubschrauber erreichbar, zudem scherten sich die Brandstifter wenig um Verbote. "Die Maßnahmen haben wenig Wirkung", wird ein Ibama-Mitarbeiter vom Umweltmagazin "Mongabay" zitiert: "Es ist eher eine Antwort auf die öffentliche Stimmung. Die Gesellschaft fordert mehr Aufmerksamkeit und die Regierung hat das Verbot eingeführt." Gekürzte Finanzmittel machen laut Umweltschützern weitere Schwierigkeiten: "Es ist ineffektiv, wenn es ein Gesetz gibt, aber keine Mittel, es umzusetzen", kritisiert der WWF. Zudem widerspricht Bolsonaro den eigenen Experten. "Es ist eine Lüge", sagte er im Juli: "Unser Wald ist feucht, er fängt kein Feuer. Er brennt an den Rändern und die meisten Brände werden von Ureinwohnern und anderen verarmten Menschen gelegt."
Warum also das Brandrodungsverbot? Es ist vor allem ein Signal guten Willens an die Investoren sowie Konsumenten und Regierungen im Ausland. Brasiliens Agrarindustrie verdient prächtig am Export. Größte Abnehmer des Fleischs sind China und Hongkong, dann folgt die EU. Tritt deren Handelsabkommen mit dem Mercosur in Kraft, hofft Brasilien auf 90 Milliarden Dollar zusätzlicher Einnahmen in den ersten 15 Jahren. Etwa ein Fünftel der jährlichen Fleisch- und Sojaexporte in die EU werden laut "Science" derzeit auf illegal gerodetem Urwaldgrund produziert. Dies wäre gar nicht nötig, beschwichtigte Brasiliens Landwirtschaftsministerin Tereza Cristina nach der Kritik von Unternehmen und Investoren. Aber, sagte Vizepräsident Mourão, ein solch riesiges Territorium, das sei eben nicht kontrollierbar.
Quelle: ntv.de