Von Sotschi bis Petersburg Die Drohne, mit der die Ukraine russische Öl-Anlagen attackiert


Im Mai 2023 war klar, dass "Ljutyj" ein Erfolg wird.
(Foto: x.com)
Mit einer selbst entwickelten Drohne greift die Ukraine immer wieder Raffinerien und Öldepots tief im russischen Hinterland an. Dabei fing die Geschichte von "Ljutyj" mit einem kolossalen Scheitern an.
Beim ersten Praxistest vor einem Jahr geht schief, was nur schiefgehen kann: Im April 2023 wird eine von der Ukraine entwickelte flugzeugartige Drohne Richtung Schlangeninsel im Schwarzen Meer geschickt. Es ist eine Übung, kein Kampfeinsatz.
Dennoch ist die Drohne mit Sprengstoff ausgestattet. Das Gerät detoniert jedoch nicht wie geplant auf der Insel, sondern es kehrt um - und steuert nun seinen Ausgangspunkt in Odessa an: den Ort, an dem Vertreter der ukrainischen Militärführung den Praxistest verfolgen, darunter der Kommandeur der Luftwaffe, Mykola Oleschtschuk.
Der Grund für die Fehlfunktion ist banal: Der eingebaute Autopilot hatte die Drohne nicht auf der Schlangeninsel abstürzen lassen. Sie erreichte zwar die angepeilte Höhe, flog dann aber zurück zu dem Ort, der als "Zuhause" einprogrammiert war, wie das ukrainische Online-Medium Ukrajinska Prawda in seiner großen Reportage über die Entwicklung der Drohne "Ljutyj" berichtet.
Zu groß, zu sichtbar - und dann greift sie das eigene Kommando an
Luftalarm auszulösen, war in diesem Moment keine Option; die Übung war streng geheim wie das ganze Projekt. Bis heute gibt es keine offiziellen Fotos von "Ljutyj". Oleschtschuk lässt daher Kampfflugzeuge aufsteigen, um die Drohne abzuschießen. Rund 30 Kilometer vor Odessa können die Drohnenpiloten "Ljutyj" aber wieder unter Kontrolle bringen.
"Schon vorher hatte niemand wirklich an diese Drohne geglaubt - zu groß, sichtbar auf allen Radaren", sagt ein Mitglied des Verteidigungsausschusses im ukrainischen Parlament der Ukrajinska Prawda. "Nachdem sie fast das eigene Kommando attackiert hätte, wurde die Idee von vielen gänzlich aufgegeben."
Dass es anders kam, hat vor allem mit den nicht näher genannten Entwicklern zu tun, die nicht aufgeben wollten, nachdem sie ihr eigenes Geld für Prototypen ausgegeben und ziemlich genau gewusst hatten, wo das Problem lag. Schon wenige Wochen später, im Mai 2023, brennt plötzlich ein Öldepot in der Nähe der russischen Stadt Sotschi am Schwarzen Meer. Zum ersten Mal in diesem Krieg wurde der Beweis geliefert, dass die Ukrainer Ziele auf eine Entfernung von mehr als 1000 Kilometer treffen können. Weitere fertige "Ljutyj"-Drohnen gab es zu diesem Zeitpunkt nicht, auch keine Produktionsverträge. Dennoch war klar, dass "Ljutyj" ein Erfolg wird.
Erst Sotschi im Süden, dann St. Petersburg hoch im Norden
Die Idee einer ukrainischen Langstreckendrohne war spätestens seit dem Herbst 2022 auf der Tagesordnung, als die Russen in ihrer ersten Welle der Angriffe auf die Energieinfrastruktur der Ukraine Ziele im tiefsten Hinterland erreichten. Wie die Idee umgesetzt werden sollte, war jedoch vollkommen unklar: Welche Fähigkeiten sollte sie haben? Wo sollten die Einzelteile herkommen? Vor dem 24. Februar 2022 hätten manche Teile in der Ukraine produziert werden können - aber von Fabriken, die sich nun entweder unter Besatzung oder viel zu nah an der Frontlinie befanden.
Am Ende wurde einiges gekauft, anderes selbst entwickelt, darunter die Software, um die Flugbahn zu berechnen. Ende August 2023 war die erste Produktionsserie fertig. Am 28. August folgte ein ukrainischer Drohnenangriff auf zwei russische Stützpunkte auf der besetzten Krim. Die ukrainischen Spezialkräfte veröffentlichten anschließend ein unscharfes Bild. Bis heute ist es das letzte publizierte Foto der Drohne.
Im September erfolgten mehrere erfolgreiche Angriffe auf die Gegend um Sotschi, während kurz darauf ein Angriff auf ein Öldepot in St. Petersburg ein weiteres völlig neues Zeichen im Krieg setzte. "Als Sotschi getroffen wurde, dachten die Russen, dass der Beschuss von einem Schiff oder vielleicht aus Georgien, aus den Bergen kam. Als dann St. Petersburg getroffen wurde, eine völlig andere Ecke des Landes. Das war für sie ein ordentlicher Schock", zitiert die Ukrajinska Prawda einen, der an den Angriffen beteiligt war.
"Ljutyj" ging in die Massenproduktion und wird aktuell von vielen ukrainischen Strukturen, von Spezialeinsatzkräften bis hin zum Militärgeheimdienst HUR, bedient. Der Name der Drohne bedeutet sowohl "Februar" als auch "der Zornige": beides eine Anspielung auf den Überfall Russlands vor mehr als zwei Jahren. "Ljutyj" kann Ziele angreifen, die mehr als 1000 Kilometer entfernt sind. Mittlerweile gibt es mit "Ninja" eine Drohne, die noch weiter fliegen kann. Mit ihr wurde am 9. Mai eine Gazprom-Raffinerie in der russischen Republik Baschkortostan angegriffen. Die 1500 Kilometer, die "Ninja" dafür zurücklegte, sind der bisherige Rekord.
Was allerdings die Kombination aus Preis, Qualität, Reichweite und Genauigkeit angeht, hat "Ljutyj" keine Konkurrenz. Deswegen ist es nicht verwunderlich, dass diese Drohne für bis zu 80 Prozent der ukrainischen Treffer gegen russische Ölraffinerien verantwortlich ist.
Quelle: ntv.de