Politik

"Roe v. Wade" galt fast 50 Jahre Die Geschichte des gekippten US-Abtreibungsurteils

Norma McCormey (l.) und ihre Anwältin erstritten 1973 vor dem Obersten Gericht der USA das Recht auf Abtreibung.

Norma McCormey (l.) und ihre Anwältin erstritten 1973 vor dem Obersten Gericht der USA das Recht auf Abtreibung.

(Foto: picture alliance / J. Scott Applewhite/AP/dpa)

Knapp ein halbes Jahrhundert garantiert "Roe v. Wade" in den USA ein Recht auf Abtreibungen. Das Grundsatzurteil ist nun gekippt, begleitet von heftigen Protesten. Die gibt es auch schon Anfang der 70er - obwohl es damals vordergründig nur um das Schicksal einer einzigen Frau geht.

1973 verankerte der Oberste Gerichtshof der USA mit seinem Grundsatzurteil "Roe v. Wade" ein verfassungsmäßiges Recht auf Abtreibungen. Nach fast 50 Jahren hat der Supreme Court dieses Urteil jetzt gekippt - es ist eine historische Zäsur. Ein Blick auf die Geschichte von "Roe v. Wade":

Die Vorgeschichte

Das Urteil ist nach Jane Roe benannt - ein Pseudonym für Norma McCorvey, die damals zunächst anonym bleiben wollte. Die alleinstehende Mutter war 1969 zum dritten Mal schwanger geworden und wollte abtreiben. Im US-Bundesstaat Texas, wo McCorvey lebte, waren damals aber Schwangerschaftsabbrüche verboten. Ausnahmen gab es nur, wenn das Leben der Mutter gefährdet war.

McCorvey zog deswegen 1970 vor Gericht. Konkret verklagten ihre Anwältinnen Linda Coffee und Sarah Weddington den Staatsanwalt von Dallas, Henry Wade. Die Anwältinnen argumentierten, dass das texanische Recht gegen die US-Verfassung verstoße. Der Fall landete schließlich vor dem Supreme Court.

Das Urteil

Nach zwei Anhörungen gab der Supreme Court am 22. Januar 1973 das Urteil "Roe v. Wade" (für "Roe versus Wade", "Roe gegen Wade", häufig kurz "Roe") bekannt. Mit einer Mehrheit von sieben zu zwei Richtern erklärte der Gerichtshof das texanische Abtreibungsrecht für verfassungswidrig und legalisierte zugleich landesweit Schwangerschaftsabbrüche.

Verfassungsrichter Harry Blackmun, der das Urteil schrieb, begründete die Entscheidung mit einem "Recht auf Privatsphäre", das er aus der US-Verfassung ableitete. Dieses Recht sei "weit genug gefasst, um die Entscheidung einer Frau zu umfassen, ob sie ihre Schwangerschaft beenden will oder nicht".

Dieses Recht sei aber "nicht absolut", sondern unterliege "Beschränkungen", heißt es in dem Urteil. "An einem gewissen Punkt überwiegt das Interesse des Staates zum Schutz von Gesundheit, medizinischen Standards und ungeborenem Leben." Als Richtlinie wurde festgehalten, dass Abtreibungen grundsätzlich so lange erlaubt sind, bis der Fötus außerhalb des Mutterleibs lebensfähig wäre. Das ist etwa nach 24 Schwangerschaftswochen der Fall.

Die Folgen

Die Verfassungsrichter schrieben schon in ihrem Urteil, sie seien sich bewusst, wie "heikel und emotional" das Thema Abtreibung sei. Es gebe "heftige gegensätzliche Ansichten" und "tiefgehende und anscheinend absolute Überzeugungen". Tatsächlich blieb das Abtreibungsrecht in den USA eines der umstrittensten gesellschaftspolitischen Themen. Konservative Politiker und Abtreibungsgegner setzten sich zum Ziel, "Roe" rückgängig zu machen.

Das Urteil wurde vom Supreme Court aber mehrfach im Grundsatz bestätigt, unter anderem mit dem Urteil "Planned Parenthood v. Casey" aus dem Jahr 1992. Schon damals wäre "Roe" beinahe gekippt worden, ein konservativer Verfassungsrichter wechselte aber letztlich die Seite und trug damit zum Erhalt des Grundsatzurteils bei.

Die rechtliche Auseinandersetzung um ein 2018 beschlossenes Abtreibungsgesetz aus dem Bundesstaat Mississippi, das Schwangerschaftsabbrüche nach der 15. Woche verbietet, führte jetzt zum Ende für "Roe": Es ist dieser Fall, in dem der Supreme Court das fast 50 Jahre alte Grundsatzurteil aufhob.

Das bewegte Leben von Norma McCorvey

McCorvey setzte zwar mit ihrer Klage ein Grundrecht auf Abtreibungen durch - ihr Kind brachte sie aber während des damaligen Rechtsstreits zur Welt und gab es dann zur Adoption frei. Sie machte nach Verkündung des Urteils ihre Identität öffentlich, arbeitete später in einer Abtreibungsklinik und hielt Reden bei Veranstaltungen von Befürwortern des Rechts auf Schwangerschaftsabbrüche.

In den 1990er-Jahren vollzog sie dann eine spektakuläre Kehrtwende: Sie schloss sich christlichen Gruppen an und trat als Abtreibungsgegnerin auf. Kurz vor ihrem Tod 2017 sagte sie in einem Interview, ihr angeblicher Gesinnungswandel habe in Wirklichkeit finanzielle Gründe gehabt - sie sei von Abtreibungsgegnern bezahlt worden. "Ich habe ihr Geld genommen und sie haben mich vor die Kamera gestellt und mir gesagt, was ich sagen soll. Und das habe ich dann gesagt."

Quelle: ntv.de, Fabian Erik Schlüter, AFP

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