
Verbündete der Türkei sichern den Berg Bursayah, ein strategisch wichtiger Punkt in Syrien.
(Foto: AP)
Afrin gilt schon seit Jahren als weitgehend abgeschlossen von der Außenwelt. Mit der türkischen Offensive in der Region im Nordwesten Syriens verschärft sich die Situation weiter. Der letzte Torwächter macht dicht.
Kobani und Mursitpinar liegen nicht weit entfernt. Als die syrischen Kurden Kobani 2014 vom selbsternannten Islamischen Staat (IS) verteidigten, waren im türkischen Mursitpinar die Explosionen zu hören, die Schüsse, die Schreie.
Türkische Medien berichten nun, dass wieder Schreie herüberhallen. Diesmal nach Blutspenden. "Angesichts steigender Opferzahlen der Kurden durch die Afrin-Operation sind aus Kobani Rufe nach Blutkonserven zu hören", heißt es in der türkischen Zeitung "Yeni Safak". Der Hilfsappell für "die Terroristen" werde mit Lautsprechern durch die Stadt posaunt. Steht es schon so schlecht um die Kurden in Afrin?
Idriss Nassan, früher stellvertretender Außenminister von Kobani, spricht beim Lesen des Berichts von Propaganda. "Wir rufen hier regelmäßig zu Blutspenden auf", sagt er n-tv.de. "Das passiert andauernd." Mit der Offensive auf Afrin habe das nichts zu tun.
Die Geschichte von den Blutspenden macht, unabhängig davon, ob es sich tatsächlich um reine türkische Propaganda handelt, aber das eigentliche Drama um Afrin deutlich. Denn selbst wenn die Kurden in Kobani ihre Kameraden im rund 150 Kilometer weiter westlichen gelegenen Afrin stärker unterstützen wollten, würde das eine gewaltige Herausforderung darstellen.
Das syrische Regime entscheidet, was in Afrin ankommt
Seit langem ist es ein Ziel der syrischen Kurden, das Kanton Afrin im Nordwesten Syriens mit dem Kanton Kobani im Norden und Cizire im Nordosten territorial und logistisch zu verbinden. Doch davon sind die Kurden dieser Tage weiter entfernt denn je.
Lange vor der "Operation Olivenzweig", wie der Angriff auf Afrin genannt wird, wusste das türkische Militär diese Versuche zu verhindern, indem es mit Waffengewalt einen Keil auf syrischem Terrain bis nach Al-Bab schlug. Verbündete Rebellengruppen halten diesen Keil nun.
Afrin gilt seit langem als weitgehend von der Außenwelt abgeschnitten. "Die Menschen sind auf ihre lokalen Ressourcen angewiesen", sagt Nassan. Der einzige Weg, sie von außen zu versorgen, sei mittlerweile ein rund zwei Kilometer breiter Korridor, der vom syrischen Regime gehalten wird. "Ob jemand durchkommt, hängt von der Laune in Damaskus ab." Die Laune war zuletzt nicht gut.
15.000 Menschen auf der Flucht
Das Verhältnis von Damaskus und den Kurden war bisher durch eine gewisse Duldung geprägt. Die Kurden nutzten den Bürgerkrieg, um sich eine weitgehende Autonomie in Gebieten zu sichern, in denen die Regierung von Baschar al-Assad die Kontrolle aufgab. Untereinander ließen sich die Kämpfer beider Seiten weitgehend in Ruhe. Deshalb blieb Afrin auch von Angriffen des Regimes mit Fassbomben verschont, wie es sie auf Aleppo gab.
Nachdem Damaskus wieder klar die Oberhand in Syrien hatte, forderte Russland, engster Verbündeter Assads, die Kurden dann auf, einige militärische Stellungen in der Region wieder dem Regime zu übergeben. Die Kurden weigerten sich. Die Reaktion Moskaus: der Abzug von eigenem Personal aus der Region, der wiederum ein Signal an die Türkei darstellte, dass Russland einer Offensive im Nordwesten nicht im Wege stehen würde.
Dazu passte dann auch das Verhalten des stellvertretenden syrischen Außenministers, Faisal Mekdad. Der kündigte erst an, dass seine Luftabwehr türkische Jets abschießen würde, sollten diese in die Region Afrin eindringen. Als sie es dann doch taten, passierte aber nichts.
Es klang wie ein Hilferuf, als der Co-Vorsitzende des Exekutivrats von Afrin, Othman al-Scheich Issa, daraufhin sagte: "Wir rufen den syrischen Staat auf, seinen Verpflichtungen nachzukommen und die Armee zu entsenden, um die Grenze mit der Türkei gegen Angriffe der türkischen Besatzer zu schützen." Die Regierung von Assad müsse sich "dieser Aggression entgegenstellen und klarmachen, dass sie keine türkischen Flugzeuge im syrischen Luftraum duldet." Die erhoffte Reaktion auf diesen Appell blieb bis heute aus.
Nach Angaben der Vereinten Nationen unterbindet das syrische Regime bereits seit November 2017 selbst Hilfslieferungen durch Nichtregierungsorganisationen im gesamten Land. Allein in der Region Afrin seien nun 15.000 Menschen auf der Flucht. Nur wohin?
Die Blockade Afrins, so scheint es, wird immer undurchdringlicher. Kamal Sido, Nahostreferent der Gesellschaft für bedrohte Völker, warnte in einem Interview mit n-tv.de schon kurz vor der Offensive vor einer humanitären Katastrophe: "Etwa eine Millionen Menschen, die Hälfte sind Flüchtlinge aus Aleppo und anderen Regionen Syriens, sind betroffen", sagte er. Mittlerweile ist von ihm zu hören, dass er kaum noch Kontakt in die Region aufbauen kann, in der auch seine Familie lebt. Die Türkei würde, sagte er in einem Interview mit dem Deutschlandfunk, auch immer häufiger Telefonleitungen und das Internet kappen. Die Belagerung umfasst selbst die Kommunikation.
Quelle: ntv.de