"Rechtlich vergewaltigt" Ungarn und Polen blockieren Erklärung zur Migration
06.10.2023, 18:49 Uhr Artikel anhören
Eingeladen in Granada waren die Staats- und Regierungschefinnen und -chefs der EU-Mitgliedsstaaten sowie auch welche aus europäischen Drittstaaten.
(Foto: picture alliance/dpa)
Auf dem informellen EU-Gipfel in Spanien ist eines der Hauptthemen die gemeinsame Migrationspolitik der Mitgliedstaaten. Da sich Polen und Ungarn offenbar nicht gehört fühlen, blockieren sie eine gemeinsame Erklärung und kritisieren die EU scharf. Bundeskanzler Scholz kontert.
Polen und Ungarn haben beim EU-Gipfel im spanischen Granada eine geplante Erklärung zur Migrationspolitik und anderen strategisch wichtigen Themen blockiert. Das sagten mehrere EU-Diplomaten gegenüber Medienleuten. Der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki kündigte via X (früher Twitter) an: "Ich habe beschlossen, gegen den Teil über die Migration mein Veto einzulegen."
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban kündigte weiteren Widerstand gegen Pläne für eine EU-Asylreform an, die eine Pflicht zur Solidarität mit besonders stark von Migration betroffenen Staaten vorsieht. Aus seiner Sicht gebe es keinerlei Chance mehr auf Kompromisse und Vereinbarungen, nachdem Ungarn und Polen "rechtlich vergewaltigt" worden seien.
Orban spielte darauf an, dass wichtige Entscheidungen für die geplante Reform des europäischen Asylsystems jüngst gegen den Willen von Ungarn und Polen per Mehrheitsentscheidung getroffen wurden. Die beiden Länder sind ungeachtet anderslautender juristischer Analysen der Meinung, dass dies nur im Konsens, also ohne Gegenstimmen, hätte geschehen können.
Mehr Flüchtlinge oder Ausgleichszahlungen
Sie verweisen dabei auf EU-Gipfel-Erklärungen in den Jahren 2016, 2018 und 2019. So heißt es in einem Text der Staats- und Regierungschefs aus dem Juni 2019: "Es muss ein Konsens für eine Reform der Dublin-Verordnung auf der Grundlage eines ausgewogenen Verhältnisses von Verantwortung und Solidarität gefunden werden." Ungarn und Polen interpretieren dies so, dass in der gesamten Asylpolitik nur noch mit Konsens entschieden werden soll.
Sie wehren sich insbesondere dagegen, dass den Plänen zufolge stark belasteten Staaten wie Italien und Griechenland künftig ein Teil der Asylsuchenden abgenommen werden soll. Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, würden zu Ausgleichszahlungen gezwungen werden.
Bundeskanzler Scholz reagierte gelassen auf die Kritik Orbans an der Europäischen Union. "Die Töne, die man ab und zu hört, sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass es faktisch immer gelungen ist, die notwendige Einigkeit herzustellen", sagte Scholz in Granada. Er verwies darauf, dass die Asylbeschlüsse nicht von einzelnen Ländern blockiert werden können, da das Einstimmigkeitsprinzip hier nicht greift - und zeigte sich damit zuversichtlich, dass die geplante EU-Asylreform trotz Widerstands Polens und Ungarns bis zur nächsten Europawahl im Juni 2024 endgültig beschlossen wird.
Scholz warf Staaten wie Polen und Ungarn in Granada seinerseits eine widersprüchliche Position in der Flüchtlingspolitik vorgeworfen. Es könne nicht sein, dass ausgerechnet Länder, die in der EU-Asyldebatte für eine harte Linien stünden, "diejenigen, die bei ihnen ankommen, durchwinken, damit sie in Deutschland ankommen", sagte er, ohne beide Länder ausdrücklich zu nennen.
Quelle: ntv.de, mpe/dpa/rts/AFP