Politik

Libyen droht zu zerreißen Ein Land wird zum Truppenübungsplatz

Die Kämpfer der libyschen Regierung konnten zuletzt die Hauptstadt Tripolis wieder unter Kontrolle bringen.

Die Kämpfer der libyschen Regierung konnten zuletzt die Hauptstadt Tripolis wieder unter Kontrolle bringen.

(Foto: picture alliance/dpa)

Die Türkei, Russland, Ägypten, Katar, die Emirate, Jordanien - alle schicken Waffen, Geld, teilweise auch Söldnertruppen nach Libyen. Es geht um Islamismus und den Ausbau der eigenen Macht, nur scheinbar nicht um Frieden. Dabei ist Chaos in dem Land auch für Europa gefährlich.

"Niemand ist übrig", sagte der Bürgermeister des libyschen Küstenorts Sirte der Nachrichtenagentur dpa und meinte die siebenköpfige Familie, die in der vergangenen Woche bei Angriffen auf seine Stadt ums Leben gekommen ist. Nachdem die Milizen der Regierung Anfang Juni Libyens Hauptstadt Tripolis wieder unter ihre Kontrolle gebracht hatten, nahmen sie Sirte ins Visier, den Küstenort, in dem sich die bedeutendsten Ölterminals des Landes befinden.

Viele Bürger der Hafenstadt wird diese Entscheidung der international anerkannten libyschen Regierung von Premier Fayez al-Sarradsch ihr Leben kosten. Denn wenn auch die vielen Beteiligten an diesem verworrenen, zerstörerischen Krieg unterschiedlichste Interessen haben - das Interesse daran, Menschenleben zu schützen, hat noch keiner von ihnen in den vergangenen Jahren gezeigt.

Nicht das Emirat Katar, das den Krieg mitfinanziert, und nicht die türkische Regierung, die mit Kampfdrohnen, Panzerfahrzeugen, Luftabwehr und syrischen Söldnern, die direkt aus dem dortigen Kampf gegen den Diktator Baschar al-Assad kommen, den jüngsten Erfolg der Regierungsmilizen erst möglich gemacht haben.

Russische Kampfjets stehen bereit

Ebenso wenig Russland, das mit den Scharfschützen der auf 1200 Mann geschätzten Wagner-Gruppe, einer dem Kreml nahestehenden Söldner-Armee, den zwischenzeitigen Vormarsch des Regierungsgegners ermöglicht hatte. Mittlerweile sollen auch 14 russische Kampfjets im Land sein, bereit zum Einsatz. Im Verbund steht Russland mit den Vereinigten Arabischen Emiraten (haben Drohnen im Einsatz), Ägypten (fliegt Luftangriffe) und Jordanien (liefert Waffen) hinter dem abtrünnigen General Khalifa Haftar. Der will die Regierung stürzen, islamistische Kräfte zerstören und der nächste Diktator in Libyen werden. Vorübergehend hatte er bereits die Hauptstadt Tripolis weitgehend unter seine Kontrolle gebracht.

Doch zuletzt mussten Haftars Truppen schwere Gegenschläge hinnehmen. Die von Russland geschickten Söldner zogen sich aus dem Kampf um die Hauptstadt zurück, allein war Haftar den Milizen der Regierung nicht gewachsen. Seine Kämpfer verließen das Gebiet, offenbar fluchtartig, denn sie ließen allerlei Munition und Kampfgerät vor Ort zurück.

Nachdem die Regierung Tripolis nun offenbar wieder unter Kontrolle hat, will sie als nächstes Sirte vom Gegner zurückerobern. Der Angriff kann zugleich eine Antwort sein auf die Initiative des ägyptischen Staatschefs Abdel Fattah al-Sisi, der vor einer Woche eine Waffenruhe für Libyen gefordert hatte. Die Antwort würde dann ausgesprochen lauten: Waffenruhe? Ohne uns.

Warum es für al-Sisi Sinn ergibt, darauf zu drängen, dass im Nachbarland die Waffen erstmal ruhen? Sie könnte seinem Verbündeten Haftar Gelegenheit bieten, sich logistisch wieder neu aufzustellen, Kräfte zu sammeln, offenbar bestehende Nachschubprobleme zu lösen, um gemeinsam mit den russischen Kräften dann umso gewaltiger wieder vorzupreschen.

Eine ernstgemeinte Waffenruhe? Wohl kaum

Theoretisch könnte die geforderte Waffenruhe natürlich auch eine ernstgemeinte Initiative Richtung Entspannung und einem Ende des Krieges sein. Doch die Interessen und das bisherige Verhalten der Auslandsmächte lassen diese Annahme leider am wenigsten zu.

Denn Ägypten geht es vor allem darum, sich selbst an seiner 1200 Kilometer langen Grenze zu Libyen davor zu schützen, dass unbemerkt islamistische Terroristen ins Land sickern. Die Regierung von Sarradsch lässt sich von Islamisten unterstützen. Dass diese im Nachbarland so an Einfluss gewinnen, will al-Sisi nicht zulassen. Russland geht es wie auch in Syrien darum, seinen Einfluss in der Region auszudehnen. Und wie in Syrien erscheinen Staatschef Wladimir Putin Söldnertruppen und Kampfjets für diesen Zweck als probate Mittel.

Reccep Tayyip Erdogan, der türkische Präsident, möchte ebenso wie Katar eine islamistische Regierung in Libyen halten. Er hat etwas dagegen, dass Ägypten und die Emirate, zwei regionale Gegner Ankaras, die die Muslimbrüder bekämpfen, in Libyen zuviel Einfluss bekommen. Gemäß einer Ankündigung der Regierung wird die Türkei ihr Engagement im Krieg um Libyen noch verstärken.

Befreit von Gaddafi wurde Libyen im Stich gelassen

So wird das nordafrikanische Land unfreiwillig zum Lehrstück für die Erkenntnis, dass es nicht reicht, es als internationale Gemeinschaft militärisch zu ermöglichen, dass sich ein Land von einer Gewaltherrschaft befreit. So geschehen 2011 in Libyen, als oppositionelle Milizen nach 42 Jahren Herrschaft den libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi stürzten. Großbritannien, Frankreich und die USA halfen ihnen, legitimiert durch eine UN-Resolution, mit Luftangriffen, zogen sich jedoch nachdem Gaddafi ausgeschaltet war, zurück.

Das Land wurde von den Westmächten sich selbst überlassen, was dazu führte, dass die Milizen sich untereinander in Machtkämpfen verkeilten, die diversen Regionalmächte auf den Konflikt aufsprangen, worunter das Land inzwischen zu zerreißen droht. Die Terrorgruppe Islamischer Staat machte Libyen als günstigen, weil im Chaos versunkenen Unterschlupf aus und agiert dort im Untergrund, mehrfach auch schon mit Terroranschlägen.

Wenn sich die internationale Gemeinschaft, wie im Januar unter deutscher Federführung in Berlin, um eine friedliche Zukunft für das gebeutelte Land bemüht, so hat sie dabei nicht nur das Leben der Menschen dort im Blick, sondern auch sehr stark ihre eigene Sicherheit. Denn ein Land mit vielen islamistischen Umtrieben, mit Milizen, die auch vor Menschenhandel nicht zurückschrecken, das jeglicher Kontrolle entglitten zu sein scheint, birgt ein hohes Risiko, und das ganz in der Nähe Europas.

Quelle: ntv.de

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