Kämpferische Parteitagsrede Eines kann man Lindner nicht vorwerfen


Auf dem FDP-Parteitag in Berlin trifft der Vorsitzende Lindner den Nerv der Delegierten. Er dekliniert durch, was die Liberalen wollen. Spitzen in Richtung SPD und Grüne spart er sich weitgehend. Die braucht es aber auch gar nicht.
Minutenlanger Applaus am Ende, strahlende Gesichter und Kommentare wie "die beste Rede seit langem": FDP-Chef Christian Lindner traf auf dem Parteitag seiner Liberalen den Ton. Das war allerdings wenig überraschend, denn er streichelte die Seele der Partei, stimmte das liberale Lieblingslied von Eigenverantwortung, niedrigen Steuern und einem sich zurückhaltenden Staat an.
Dabei konzentrierte er sich auf die Forderung nach einer "Wirtschaftswende" und die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit. Er deklinierte aber auch das jüngste Zwölf-Punkte-Papier durch - am vergangenen Montag hatte der Bundesvorstand das beschlossen und darin einige Pläne untergebracht, die für die Koalitionspartner SPD und Grüne nicht akzeptabel sind. Dazu zählen eine Reform des Bürgergeldes, eine Abschaffung der Rente mit 63, die Abschaffung des Solidaritätszuschlags oder auch ein Ende der Förderung von Erneuerbaren Energien.
Dieses Papier liest sich wie eine Kampfansage an die Ampelpartner - vielleicht verzichtete Lindner deshalb an diesem Mittag auf Frontalattacken gegen Robert Habeck oder Olaf Scholz. Er erwähnte sie kaum. Ansagen wie: "Wenn das und das nicht passiert, dann ist es aus mit der Ampel", waren nicht zu hören. Nicht einmal ansatzweise. Andererseits: Nicht einmal ansatzweise gab Lindner etwas ab, das auch nur entfernt an ein flammendes Bekenntnis zur Koalition erinnerte.
Eher teilte er gegen die CDU aus. Vor allem gegen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, aber auch Berlins Regierenden Bürgermeister Kai Wegner. Dass der für bis zu 250 Millionen Euro ein 29-Euro-Ticket für Busse und Bahnen einführe und zugleich die Schuldenbremse lockern wolle, ginge nicht zusammen, wetterte Lindner.
Wirtschaft nicht schlechtreden, nicht gesund beten
Thema Nummer 1 war für Lindner die Wirtschaft. Man solle die Lage nicht schlechtreden, sagte der FDP-Chef. Man dürfe aber auch die "Weckrufe" nicht überhören. Ein solcher könnte die Überlegung des Sägen-Herstellers Stihl sein, die Produktion in die Schweiz zu verlegen. "Ein Unternehmen aus Baden-Württemberg muss erwägen in der Schweiz zu produzieren!", echauffierte er sich. Das liege nicht an der Höhe der Löhne, sagte er. Nein, in der Schweiz werden pro Jahr 375 Stunden mehr gearbeitet.
Lindner zählte Punkt für Punkt die Vorteile auf, die seine Pläne aus seiner Sicht haben. Geopolitisch helfe mehr Wachstum Deutschland, weil der deutsche Einfluss letzten Endes auf der Wirtschaftskraft beruhe. Sozialpolitisch sei mehr Wachstum erforderlich, weil es Aufstieg ermögliche - in einer "stagnierenden Gesellschaft" gebe es stattdessen Verteilungskämpfe. Des einen Gewinn sei des anderen Verlust.
Aber auch für die Demokratie brauche es Wachstum. Wer sozialen Abstieg fürchten müsse, frage sich, warum die Demokratie ihm nicht mehr biete. Deshalb sei wirtschaftliches Wachstum das "beste Demokratiefördergesetz, das man haben kann", rief Lindner. Eine Spitze gegen die Grünen, die ein gleichnamiges Gesetz beschließen wollen. Die FDP lehnt das als zu teuer und nicht zielführend ab.
Konkret sagte Lindner wenig Neues - das meiste hat er in den vergangenen Wochen und Monaten in anderen Reden oder Interviews bereits gesagt. Der Solidaritätszuschlag soll abgeschafft werden, weil er vor allem von Unternehmen gezahlt werde - und die müssten entlastet werden. Die Schuldenbremse soll nicht gelockert werden. Das Bürgergeld dürfe nicht zu einem bedingungslosen Grundeinkommen werden.
Bürokratie müsse abgebaut werden. Dabei gab es Breitseiten gegen Brüssel - man könne gar nicht so viel Bürokratie abbauen, wie von dort nachkomme. Verantwortlich dafür sei Ursula von der Leyen. "Es hat einen Grund, dass die CDU ihre Spitzenkandidatin auf ihren Plakaten für die Europawahl verbirgt", sagte Lindner. Die Bürokratie habe einen Vornamen: "Ursula" - ein mittlerweile viel gehörter FDP-Spruch im Wahlkampf zur Europawahl am 9. Juni.
Wie soll das noch mit Grünen und SPD zusammenpassen?
Lindner zählte die Errungenschaften der FDP auf, bezeichnete sie aber nur als "Bausteine", denen weitere folgen müssten. Das Wachstumschancengesetz, das Fachkräfteeinwanderungsgesetz oder auch das vergangene Woche beschlossene Klimaschutzgesetz. Dabei ging er auch auf die Kindergrundsicherung ein. Der habe die FDP nur unter zwei Bedingungen gestimmt - es dürfe keine neue Bürokratie geben und keine Anreize, nicht zu arbeiten. Genau das sei aber der Fall. Bis zu 5000 neue Beamte müssten dafür eingestellt werden - dass die Grünen sich in diesem Punkt kompromissbereit zeigen, ließ er unerwähnt. Ob es nicht besser wäre, die für die Kindergrundsicherung geplanten Milliarden stattdessen in die Kinderbetreuung zu stecken, fragte Lindner. Wer in Teilzeit arbeite, könne dann in Vollzeit wechseln.
Eines kann man Lindner nicht vorwerfen: Dass er nicht versuchen würde, Antworten auf drängende Probleme zu geben. Die Lage der Wirtschaft ist heikel. Angesichts von Null-Wachstum, ausbleibenden Investitionen und hoher Bürokratielast besteht Handlungsbedarf. Dass die FDP dagegen etwas tun will, entspricht ihrem Selbstverständnis. Doch je mehr Argumente Lindner aufzählte, desto mehr stellte sich die Frage, wie das eigentlich noch zu den Wünschen von SPD und Grünen passen soll.
Es ist daher nun die Frage, was aus dieser Rede folgt. Eine Kampfansage an die Koalition war sie nicht. Einfach zur Tagesordnung übergehen kann Lindner nun aber auch nicht. Wer so ein Programm mit Verve vorträgt, kann das nicht ab kommender Woche vergessen. Es muss jetzt etwas kommen, die Pläne müssen sich im Regierungshandeln wiederfinden. Und wenn nicht? Dann kracht es wieder, so viel dürfte sicher sein.
Quelle: ntv.de