Politik

Streit bei Anne Will "Elterngeld abzuschaffen ist falsche Maßnahme"

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Ministerin Lisa Paus verteidigte bei Anne Will ihre Pläne zur Elterngeld-Kürzung für Besserverdienende.

Ministerin Lisa Paus verteidigte bei Anne Will ihre Pläne zur Elterngeld-Kürzung für Besserverdienende.

(Foto: NDR/Wolfgang Borrs)

Bundesfamilienministerin Paus will Besserverdienenden kein Elterngeld mehr zahlen. Die FDP ist dagegen. Über den neuen Streit in der Ampelkoalition diskutieren am Sonntagabend die Gäste bei Anne Will.

Der Streit in der Ampelkoalition über das Heizungsgesetz scheint vorbei zu sein. Und schon gibt es neuen Ärger. Diesmal geht es um das Elterngeld und die Kindergrundsicherung. Am Sonntagabend diskutiert Anne Will in der ARD in ihrer letzten Sendung vor der Sommerpause über beide Themen, wobei für die Kindergrundsicherung nur ein paar Minuten am Ende der Sendung bleiben.

Kein Wunder: Seit Januar arbeitet Familienministerin Lisa Paus von den Grünen daran, aber ein richtiges Konzept liegt noch nicht vor. Dazu hat die Ministerin bis Ende August Zeit. Was sie schon weiß, erklärt sie in der Sendung: "Das Konzept leistet drei Punkte: Dass es ärmeren Kindern besser geht, dass verdeckte Armut erkannt wird und wir etwas dagegen tun."

Die Idee: Paus will fünf finanzielle Leistungen für Kinder kombinieren, eben zur Kindergrundsicherung. Die soll in Zukunft an einer Stelle beantragt und ausgezahlt werden, und zwar von der Kindergrundsicherungs-Stelle. Familien sollen die Anträge digital stellen können. Außerdem sollen Familien mit wenig Geld über ihren Anspruch auf die Leistung informiert werden.

Paus spricht sich zudem dafür aus, dass die Leistungen erhöht werden. "Die bisherigen Sätze reichen nicht aus", sagt sie. Dazu braucht sie Geld aus dem Bundeshaushalt, wie viel, kann sie noch nicht sagen. Insgesamt hatte bis sie vor einigen Wochen noch 12 Milliarden Euro gefordert. In einem Interview mit dem "Spiegel" spricht sie von zwei bis sieben Milliarden, Bundesfinanzminister Lindner will zwei Milliarden zahlen.

Darauf komme es gar nicht an, meint der FDP-Vizevorsitzende Johannes Vogel. Viel wichtiger seien die Ziele, die mit der Kindergrundsicherung erreicht werden sollen: "Dass alle Familien das kriegen, was ihnen zusteht, dass wir die Bildungschancen besser verteilen und dass wir Aufstiegschancen unabhängiger von der Familienherkunft schaffen." 80 Prozent der Familien, denen Leistungen wie das Teilhabepaket oder der Kinderzuschlag zustehen, nutzen sie laut Vogel nicht. "Es geht nicht darum, die Summe zu erhöhen, sondern dafür zu sorgen, dass der Sozialstaat einfacher wird, dass die Familien sich nicht im bürokratischen Dickicht verlieren und dass die Familien kriegen, was ihnen zusteht."

Elterngeld bei 25.000 Euro Monatseinkommen?

Seit der vergangenen Woche gibt es Streit ums Elterngeld. Das wird im Moment an Familien mit einem zu versteuernden Einkommen von bis zu 300.000 Euro im Jahr oder 25.000 Euro im Monat gezahlt. Familienministerin Paus will es nur noch an Familien mit einem zu versteuernden Höchsteinkommen von 150.000 Euro jährlich oder 12.500 Euro im Monat zahlen.

Das zu versteuernde Einkommen berechnet das Finanzamt. Dabei schaut es sich die insgesamt zu versteuernden Einnahmen an, also Gehalt, Mieteinnahmen usw. Dann zieht es davon wieder Vorsorgeaufwendungen oder außergewöhnliche Belastungen ab. Es geht also nicht um das Bruttogehalt. Das dürfte bei Familien, die das Elterngeld im Moment bekommen, im Durchschnitt bei höchstens 30.000 Euro monatlich liegen. Das ist knapp das Dreifache von dem, was ein Bundestagsabgeordneter verdient.

"Ich hatte einen Einsparbeitrag zu leisten", begründet Familienministerin Paus ihre Entscheidung bei Anne Will. "Ich habe das lange abgewogen und mich jetzt dafür entschieden. Aber ich bin offen für bessere Vorschläge."

Einen solchen Vorschlag hat Johannes Vogel. Er plädiert dafür, das Elterngeld besser aufzuteilen, sodass jeder der beiden Ehepartner die Hälfte bekommt. Der Einspareffekt sei jedoch gleich null, so die Ministerin. Menschen mit einem Bruttogehalt von mehr als 180.000 Euro im Jahr brauchten das Elterngeld nicht wirklich. Das ist die Meinung aller Gäste. Doch der regierende Bürgermeister von Berlin ist trotzdem gegen dessen Kappung. Das Elterngeld sei keine Sozialleistung, erklärt Kai Wegner von der CDU. "Es soll jungen Akademikern die Möglichkeit geben, sich auch wirklich für Kinder zu entscheiden. Sie legen die Axt an diese Familienförderung an, wenn Sie so massiv kürzen. Ja, das sind mehr Besserverdienende. Wir müssen auch diesen Menschen helfen, Karriere und Familie zusammenzubringen. Das Elterngeld jetzt abzuschaffen, halte ich für den falschen Schritt." "Ich werde das Elterngeld natürlich nicht abschaffen", antwortet die Ministerin, "Wir legen nicht die Axt an." An den Leistungen selber ändere sich nichts.

Wenn 100 Euro für den Friseur fehlen

Das dürfte auch FAZ-Parlamentskorrespondentin Helene Bubrowski klar sein. Dennoch sagt sie: "Ich finde, das ist kein guter Schritt." Deutschland habe in den letzten Jahrzehnten familienpolitisch nicht allzu viel hinbekommen und auch zu wenig für die Gleichstellung von Frauen getan. Dann lobt sie: "Das Elterngeld war ein großer familienpolitischer Schritt." Zudem habe der Anspruch auf einen Kitaplatz im ersten Jahr dazu geführt, dass sehr viel mehr Frauen wieder ins Berufsleben zurückgekehrt seien. Sie fürchtet: "Wenn wir das Elterngeld für die reicheren Familien abschaffen, kommen wir wieder in eine Zeit zurück, wo man seinen Ehemann fragen muss, ob man mal 100 Euro für einen Friseurbesuch haben kann. Wir kommen dahin zurück, wo eine Frau kein eigenes Geld mehr hat, wenn sie nicht gespart hat. Und ich finde, wir sollten da nicht mehr stehen."

Das sieht Filmemacherin Julia Friedrichs ganz anders. Sie hat mehrere Dokus über Kinder gemacht, die an der Armutsgrenze leben und kann die Diskussion ums Elterngeld nicht verstehen. "Wir sprechen hier von den zwei Prozent Topverdienenden, die froh sein können, dass sie den Staat nicht brauchen." Dass das Elterngeld wie jetzt nach dem Gießkannenprinzip ausgeschüttet werde, habe dazu geführt, dass der Staat nicht denen helfe, denen er helfen müsse. "Das ist doch krass: Jemand, der 180.000 Euro brutto hat, bekommt Hilfe vom Staat, um das erste Jahr mit der Familie zu lösen. Der braucht doch eher gute Kitaplätze und eine funktionierende Infrastruktur, aber der braucht doch keine 1.800 Euro zusätzlich im Monat."

Dieser Streit könnte noch geraume Zeit weitergehen. Geht es nach der Ampelkoalition, wird sich der Bundestag im Herbst mit dem Elterngeld beschäftigen.

Quelle: ntv.de

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