Friedrich Merz im Interview "Energieversorgung ist eine politische Frage"
29.06.2022, 14:36 Uhr
Merz: "Man wird nicht alle Nachteile ausgleichen können, die durch die Inflation entstehen."
Eine längere Laufzeit der Atomkraftwerke würde zehn Millionen Haushalte versorgen. Deutsches Fracking-Gas würde jahrelange Eigenständigkeit garantieren. Für CDU-Chef Merz zeigt dies, dass alle Optionen diskutiert werden müssen. Kritisch äußert er sich außerdem zu den Entlastungen der Ampel, verweist aber auch auf Grenzen der Möglichkeiten.
Eine längere Laufzeit der Atomkraftwerke würde zehn Millionen Haushalte versorgen. Deutsches Fracking-Gas würde jahrelange Eigenständigkeit garantieren. Für CDU-Chef Friedrich Merz zeigt dies, dass alle Optionen diskutiert werden müssen. Kritisch äußert er sich im ntv-Interview außerdem zu den Entlastungen der Ampel, verweist aber auch auf Grenzen der Möglichkeiten.
ntv: Friedrich Merz, die NATO will die Zahl der Soldaten ihrer schnellen Eingreiftruppe erhöhen, von 40.000 auf 300.000. Die Zeitenwende wird also offenbar konkret. Ist die Bundeswehr darauf vorbereitet?
Friedrich Merz: Wir haben gemeinsam mit der Koalition vor einigen Wochen die Bundeswehr finanziell neu ausgestattet, indem wir 100 Milliarden Euro eines Sondervermögens mit neuen Schulden finanzieren, um auf diese Weise die Bundeswehr auszurüsten und aufzurüsten. Ich vermute, dass die Wehrbeauftragte trotzdem recht hat. Wir werden das dauerhaft tun müssen. Wir werden auch den Verteidigungsetat dauerhaft aufstocken müssen, um diesen Anforderungen gerecht zu werden. Die Anforderungen sind richtig, aber die Bundeswehr muss es auch leisten können, und dafür werden wir uns weiter einsetzen müssen.
Also weiter einsetzen heißt: Zurzeit ist die Bundeswehr nur bedingt abwehrbereit?
Wir wissen, dass die Bundeswehr in keinem besonders guten Zustand ist. Dafür tragen viele Verantwortung. Wir auch, aber nicht nur. Deswegen haben wir auch diese gemeinsame Kraftanstrengung unternommen. Wir haben aber von vornherein darauf hingewiesen, dass einmal 100 Milliarden Euro nicht ausreichen, um die jahrzehntelangen Defizite auszugleichen. Insofern reden wir jetzt über einen sehr langen Zeitraum einer sehr langen, soliden Finanzierung und Ausstattung der Bundeswehr. Und darüber wird man auch im Rahmen der sogenannten mittelfristigen Finanzplanung reden müssen, die über diesen Zeitraum der 100 Milliarden dann auch hinausreichen muss.
Deutschland war Gastgeber des G7-Gipfels in Elmau. Es ging ein Signal der Geschlossenheit von dort aus. Was glauben Sie, welche Rolle spielt Deutschland derzeit auf dem internationalen Parkett? Macht die Bundesregierung derzeit alles richtig?
Dieser Gipfel war notwendig und richtig, trotz aller Kritik, die daran geübt worden ist. Nun muss man allerdings sagen, diese Gipfel, die ja 1975 von Helmut Schmidt ins Leben gerufen worden sind, repräsentieren nicht mehr wie damals die Mehrheit der Wirtschaftsleistung auf diesem Globus. Nur um mal die Zahl zu nennen: 1975 waren das zwei Drittel. Heute ist es noch ein Drittel. Das heißt, die Gewichte auf der Welt haben sich verschoben. Deswegen war es richtig, einige Staaten als Gäste einzuladen. Aber ich hätte mir schon vorstellen können, dass es ein gemeinsames Abschluss-Kommuniqué auch mit den Gästen gibt. Das hat es leider nicht gegeben und bedauerlicherweise eben auch nicht mit Indien. Indien ist ein Schlüsselland und der Bundeskanzler hat es zu Recht gesagt, als Anfang Mai der Premierminister in Deutschland war. Es hätte vielleicht ein bisschen mehr Kraftanstrengung gebraucht, um Indien einzubeziehen, zum Beispiel in ein gemeinsames Abschluss-Kommuniqué bei diesem G7-Gipfel.
Indien sehen wir spätestens beim G20-Gipfel im Herbst in Indonesien wieder. Die G20 gibt es auch aus dem Grund, weil die G7 nicht mehr die Welt repräsentieren können. Russlands Präsident Wladimir Putin hat angekündigt, an diesem Gipfel teilnehmen zu wollen. Der Bundeskanzler hat offengelassen, ob er hinfährt. Wahrscheinlich wird er hinfahren. Würden Sie das machen? Und was würden Sie Putin eigentlich sagen wollen?
Ich kann es mir nicht vorstellen und ich will es mir auch nicht vorstellen, dass diese Formate - G7 oder G20 - jetzt in der Weise zur Tagesordnung übergehen, dass man Putin dort wiedersieht. Bei G7 ist er förmlich ausgeschlossen worden nach der Besetzung der Krim. Es war ja mal G8. Jetzt G20 stattfinden zu lassen und Putin sitzt da als einer von 20 Staats- und Regierungschefs mit am Tisch - ich halte es für unvorstellbar.
Aber bei G20 sind auch andere Vertreter mit am Tisch, die nicht gerade zu den lupenreinen Demokratien zählen. Denken wir an China oder Saudi-Arabien. So haben wir bald einen kleinen Kreis.
Es gibt aber einen Unterschied zwischen nicht Demokratie zu sein und einen aggressiven, völkerrechtswidrigen Angriffskrieg in Europa zu führen gegen ein großes demokratisches Land. Insofern nochmal: Ich kann mir nicht vorstellen, dass Putin mit am Verhandlungstisch sitzt.
Sie würden also dafür plädieren, Russland auszuschließen? Und falls Putin zum G20-Gipfel kommt, sollte Olaf Scholz nicht hinfahren?
Es gibt Signale des Gastgeberlandes, das gesagt hat: Russland ja, Putin nein. Vielleicht einigt man sich auf eine solche salvatorische Klausel oder auf eine solche kluge Formulierung. Nochmal: Ich halte es für unvorstellbar, dass er dort sitzt.
Von Putin zur Energieunabhängigkeit in Deutschland ist der Weg nicht weit. Russland kann den Gaszufluss jederzeit stoppen. Dennoch, in Deutschland bleibt die Bundesregierung dabei: Die Atomkraftwerke sollen pünktlich zum Jahresende abgeschaltet werden, und Fracking-Gas wird in Deutschland auch nicht gefördert. Ist das der richtige, der nachvollziehbare Kurs?
Ich will bei meiner Einschätzung bleiben: Wir sollten im Augenblick angesichts der sich zuspitzenden Energie-Versorgungslage auf keine Option verzichten. Man kann die Kernkraftwerke weiterlaufen lassen. Wir wissen alle, dass sie nur einen kleinen Beitrag zur Stromversorgung in Deutschland leisten. Aber immerhin es sind zehn Millionen Haushalte, die dadurch versorgt werden können. Fracking in Deutschland ist zurzeit nicht erlaubt. Aber wir hätten in Deutschland Gas in einem Umfang, der uns für viele Jahre eigenständig sein lassen würde. Die Frage ist, ob man das gesellschaftspolitisch hinbekommt. Das kann man nicht gegen die Gesellschaft machen. Aber wir importieren Fracking-Gas aus Amerika und aus Kanada und richten dafür sogar LNG-Terminals ein. Also die Diskussion ist ganz am Anfang und lange noch nicht am Ende. Wir werden darüber diskutieren müssen. Noch einmal: Wir brauchen im Prinzip alle Optionen, um die Energieversorgung unseres Landes zu gewährleisten.
Der Chef von RWE, Markus Krebber, hält nicht allzu viel davon, die Kraftwerke länger laufen zu lassen.
Das kann ich völlig verstehen. Er ist betriebswirtschaftlich für sein Unternehmen verantwortlich. Die Kraftwerke befinden sich im Abschalt-Modus, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben neue Jobs. Aber die Frage ist ja nicht, ob wir betriebswirtschaftlich richtig entscheiden, sondern politisch müssen wir volkswirtschaftlich richtig entscheiden. Und wenn es eine Möglichkeit gäbe, diese Kraftwerke am Laufen zu lassen, technisch und juristisch, dann sollte man es zumindest ernsthaft prüfen. Ich wäre dafür. Sie decken immerhin zehn Millionen Haushalte in Deutschland zuverlässig ab mit der Energieversorgung.
Ein großes Thema ist auch die Inflation. Die Bundesregierung spricht jetzt über eine steuerfreie Einmalzahlung. Halten Sie solch ein Modell für eine gute Idee?
Das soll offensichtlich mit den Tarifvertragsparteien vereinbart werden. Ich höre von beiden Seiten, von den Arbeitgebern wie von den Arbeitnehmervertretern, dass sie diese Idee nicht besonders gut finden. Zumal es daraus erhebliche Ausfälle für den Steuerhaushalt und auch für die Sozialversicherungssysteme gäbe. Das ist allenfalls eine Idee. Ob die wirklich gut ist, muss man dann in der Ausprägung sehen. Aber man wird auch nicht alle Nachteile ausgleichen können, die durch die Inflation entstehen. Es ist im Übrigen auch nur ein Kurieren an Symptomen. Besser wäre, die Ursache zu beseitigen. Die Zentralbanken müssen handeln, die haben viel zu lange gewartet, und der Staat darf nicht weiter mehr Schulden machen. Die Schulden treiben die Inflation, und da liegt eine der Ursachen.
Es gibt bereits verschiedene Entlastungspakete, etwa Tank-Rabatt oder das 9-Euro-Ticket. Ist der Staat überhaupt in der Lage, wirklich alle Folgen der Inflation abzufedern?
Er kann es nicht. Das haben einige Mitglieder der Bundesregierung, wenn auch nicht alle, bisher auch zugestanden. Aber wenn er den Versuch unternimmt, wenigstens Teile der Nachteile auszugleichen, dann sollte er nicht einzelne Gruppen unserer Gesellschaft einfach vergessen. Wie zum Beispiel die Rentner oder die Studenten, die im gleichem Umfang Anspruch darauf hätten, entlastet zu werden.
Mit Friedrich Merz sprach Christian Wilp
Quelle: ntv.de