Politik

"Auswärtiges Amt ignorierte uns" Ex-Botschafter in Kabul erhebt schwere Vorwürfe

Das deutsche Botschaftspersonal in Kabul floh in die US-Botschaft, vom dortigen Dach wurde es per Hubschrauber zum Flughafen gebracht.

Das deutsche Botschaftspersonal in Kabul floh in die US-Botschaft, vom dortigen Dach wurde es per Hubschrauber zum Flughafen gebracht.

(Foto: picture alliance/dpa/AP)

Der Abzug der westlichen Einheiten aus Afghanistan vor einem Jahr verläuft chaotisch. Deutsche Diplomaten betonieren Waffen ein und vernichten Dokumente. Nun klagt der frühere dortige Interims-Botschafter, die Bundesregierung habe die Ratschläge der eigenen Diplomaten in den Wind geschlagen.

Der frühere Interims-Chef der deutschen Botschaft in Kabul, Jan Hendrik van Thiel, erhebt schwere Vorwürfe gegen die Bundesregierung in Zusammenhang mit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan vor rund einem Jahr. Der Diplomat hatte in den Wochen vor dem Einmarsch der Taliban in Kabul am 15. August 2021 immer wieder angemahnt, die Botschaft solle evakuiert werden, wie der "Spiegel" berichtete. Auch sprach sich van Thiel demnach dafür aus, die afghanischen Ortskräfte deutscher Institutionen deutlich schneller aus Afghanistan herauszubringen als geplant.

"Das Auswärtige Amt hat uns allein gelassen und in den Wochen vor der Evakuierung unsere Einschätzungen und operativen Vorschläge weitgehend ignoriert", wird van Thiel zitiert. Der Diplomat war damals stellvertretender Botschafter in Afghanistan und führte in der Botschaft die Geschäfte. Der "Spiegel" zitierte auch aus einer E-Mail des Diplomaten an das Auswärtige Amt vom 12. August 2021, in der er vor dem Zerfall der afghanischen Regierung gewarnt habe. "Es zieht sich zu", schrieb van Thiel demnach. "Blitz und Donner für die nächsten Tage erwartet."

Im Krisenstab der Bundesregierung habe van Thiel eindringlich die Schließung der Botschaft gefordert. "Wir haben nicht mehr sehr viel Zeit, wir müssen uns evakuierungsbereit machen", warnte er dem Bericht zufolge in der geheim tagenden Runde, die am Freitag vor dem Fall von Kabul stattfand. Trotzdem habe die Runde damals nicht beschlossen, die Botschaft zu schließen.

Evakuierung auf eigene Faust vorbereitet

Stattdessen habe van Thiel ganz andere Signale bekommen, schrieb das Magazin weiter: Noch am Samstag vor dem Einmarsch der Taliban habe der damalige Afghanistan-Sonderbeauftragte Markus Potzel ihm geraten, in der Botschaft zu bleiben. Die Taliban würden nicht so schnell nach Kabul kommen; selbst bei einem Einmarsch würden sie die Deutschen in Ruhe lassen. Van Thiel habe den Vorschlag abgelehnt. "Dass die Taliban uns nichts tun wollen, ist nichts als eine unbewiesene Annahme", schrieb er dem Bericht zufolge an Potzel.

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Letztlich hätten van Thiel und der Sicherheitsbeauftragte der Botschaft, ein Mitarbeiter der Bundespolizei, schon vor der entsprechenden Weisung aus Berlin damit begonnen, in Vorbereitung der Evakuierung sensibles Material zu zerstören und Waffen in einem Brunnen einzubetonieren, berichtete der "Spiegel" weiter. Erst am Sonntag, dem 15. August, verließ van Thiel mit weiteren Diplomaten sowie Sicherheitsleuten die Botschaft.

Über Unzufriedenheit van Thiels mit dem Gebaren des Auswärtigen Amtes hatte es schon früher mehrfach Berichte gegeben. Zu den chaotischen und späten deutschen Evakuierungsaktionen erst inmitten der Machtübernahme der radikalislamischen Taliban wurde Anfang Juli ein Untersuchungsausschuss des Bundestags eingesetzt.

Quelle: ntv.de, rpe/AFP

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