Politik

Wird mit der Ampel Hasch legal? Experte: "Cannabis darf nicht salonfähig werden"

"Kiffen ist unschädlich" - laut Experte Rüther stimmt das so nicht.

"Kiffen ist unschädlich" - laut Experte Rüther stimmt das so nicht.

(Foto: imago images/Westend61)

Ab Montag wird in Berlin die Ampelkoalition sondiert, da werden die Verhandler dicke Bretter bohren. Ein Thema, von dem viele erwarten, dass es schnell beschlossen und abgehakt werden könnte, ist die Legalisierung von Cannabis. Grüne und FDP fordern diesen Schritt schon länger, die SPD ist inzwischen auch offen dafür. Doch wäre das eine gute Nachricht? Tobias Rüther ist Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin und Psychiater und Suchtmediziner am LMU Klinikum München. Er hofft auf das Ende der Strafverfolgung bei Drogenabhängigen. Doch eine Legalisierung birgt aus seiner Sicht auch Risiken.

ntv.de: Nach Jahrzehnten der Diskussion könnte Cannabis von der neuen Regierung womöglich bald legalisiert werden. Gleichzeitig erscheint Haschisch heute viel gefährlicher als vor 30, 40 Jahren. Passt das zusammen?

Der Suchtmediziner Tobias Rüther ist Vorstand der Deutschern Gesellschaft für Suchtmedizin und Psychiater am LMU Klinikum München.

Der Suchtmediziner Tobias Rüther ist Vorstand der Deutschern Gesellschaft für Suchtmedizin und Psychiater am LMU Klinikum München.

Tobias Rüther: Eine Sache, die ich in der Suchtmedizin gelernt habe: Wer Drogen haben will, der kriegt sie auch. Heute ist das einfacher denn je, Sie können sich per Telegram ihr Haschisch bestellen, das wird nach Hause geliefert wie Pizza. Obwohl Drogenverkauf und Drogenbesitz verboten sind. Die Kriminalisierung ist also der falsche Ansatz und muss aufhören.

Warum ist die Kriminalisierung aus Ihrer Sicht so schädlich?

Aus Studien weiß man, dass etwa 30 Prozent der Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren Haschisch schon mal probiert haben. Diese 30 Prozent sind also alle schon straffällig geworden. Sehr viele meiner Patienten, die Drogen verwenden und dann irgendwann abhängig sind, die haben folgendes Problem: Sie sind körperlich krank, sie verlieren unter Umständen ihre Arbeit, ihre Beziehung geht kaputt. Und dann haben sie auch noch eine Vorstrafe, womöglich eine Gefängnisstrafe, weil das ja illegal ist, wenn sie Drogen nehmen. Da kann ich aus meiner medizinischen Erfahrung sagen: Das bringt niemandem etwas. Das kostet die Gesellschaft enorm viel Geld, macht Strafrichtern wahnsinnig viel Arbeit und nützt überhaupt nichts.

Die Kriminalisierung soll abschreckend wirken.

Sie führt aber nicht zu einem Rückgang des Konsums, die Abschreckung wirkt nicht. Im Iran spritzen Menschen Heroin, obwohl darauf die Todesstrafe steht. Aber die Leute sind nicht dumm, sie sind meistens drogenkrank und oft nicht gut informiert. Wir brauchen aufgeklärte Konsumenten.

Worüber möchten Sie am dringendsten aufklären?

Vor 20 Jahren hat man gedacht: Kiffen ist unschädlich. Das stimmt nicht. Die Wissenschaftsmeinung hat sich klar gewandelt: Beim Erwachsenen aber vor allem im unreifen Gehirn, also bei Heranwachsenden bis 23 Jahren, kann Cannabis massive Schäden anrichten. Es behindert das Zellwachstum, es schädigt Bereiche, die zum Beispiel für Entscheidungen nötig sind, für Planung und Bewertung, auch die Emotionalität kann gestört werden. Solche Defizite im reifenden Hirn, die kriegen Sie im Leben nicht mehr weg.

Sehen Sie diese Schäden in der Klinik?

Ja, ein großes Problem bei Jugendlichen, die häufiger Cannabis rauchen, ist zum Beispiel das "amotivationale Syndrom", der Klassiker. Keinen Bock auf gar nichts. Normal wäre: Um etwas Gutes zu erreichen, strenge ich mich an, tue auch Unangenehmes. Als Beispiel: Ich will eine gute Note bekommen, also lerne ich für die Klassenarbeit. Ich will meine Freunde draußen treffen, also ziehe ich mich an, mache mich zurecht. Ein junger Kiffer schafft das nicht mehr.

Wie ist es bei Erwachsenen?

Früher hat man gesagt: Vom Kiffen wird man nicht abhängig. Wir sehen es aber auf unseren Stationen: Es gibt die psychische und die körperliche Abhängigkeit, auch mit Entzugserscheinungen, wenn die auch weniger heftig sind als zum Beispiel beim Alkohol oder beim Rauchen. Bei einigen Konsumenten erzeugt die Droge schwere psychische Erkrankungen. Jedes Jahr sterben in Deutschland über 120.000 Leute am Rauchen. Das ist jeden Tag ein Jumbojet, der abstürzt, voll mit Rauchern. Im Vergleich dazu ist die Zahl der Drogentoten mit 6000 pro Jahr sehr viel geringer. Aber dennoch: Cannabis ist keine Droge, die man jeden Tag konsumieren sollte, das würde ich niemandem raten.

Trotzdem unterstützen Sie die Legalisierung.

Ja, aber nicht, um Cannabis salonfähig zu machen. Das wäre sehr gefährlich. Es dürfte keinen öffentlichen Konsum in Gaststätten geben. Es dürfte nicht einfach zu beschaffen sein, kein Haschisch an jeder Straßenecke, sondern am besten mit Warnhinweis auf der Packung, Information beim Kauf, vielleicht sogar Beratungsgespräch und natürlich erst ab 18 Jahren. Es müsste teuer sein, und es dürfte nicht dafür geworben werden. Die Haltung müsste sein: Wenn Du das unbedingt brauchst, dann kannst Du es Dir kaufen und wirst nicht bestraft. Aber Drogen sind gefährlich, zerstören eventuell Dein Leben..

Sie sind heute auch gefährlicher als vor 30 Jahren, heißt es?

Die Dosierungen sind oft sehr viel stärker, also die Pflanze selbst ist so gezüchtet, dass mehr Tetrahydrocannabiol (THC) enthalten ist, das ist die psychoaktive Substanz. Entsprechend ist dann die Wirkung um ein Vielfaches stärker als noch vor 30 Jahren. Oder aber: Die Pflanze hat überhaupt kein THC, so gezüchtet kann sie nämlich überall verkauft werden. Der Drogenhändler kauft die billige Hanfpflanze ohne THC und sprüht synthetisch hergestelltes THC oben drauf. Das kann bis zu zehn Mal stärker wirken als herkömmlicher Cannabis.

Kann man die Dosierung irgendwie erkennen?

Nein, und das macht den Status Quo so gefährlich: Sie können zwischen herkömmlichem Gras und solchem, auf das synthtisches THC aufgesprüht ist, überhaupt nicht selbst unterscheiden. Das ist nur im Labor möglich. Aber dadurch, dass ja alles im Illegalen stattfindet, gibt es keine Regulierung und keine Kontrolle. Der Konsument kauft beim Dealer Gras und weiß überhaupt nicht, was er da kriegt, wie stark das wirkt. Wäre der Konsum aber erlaubt, der Handel reguliert, dann wäre das einschätzbarer.

In Thüringen wird seit kurzem Drug Checking getestet - mobile Labore, die vor Clubs stehen und eine Schnell-Analyse für gekaufte Partydrogen anbieten. Sinnvoll?

Wunderbare Sache, ich bin total dafür, und zwar gleich aus zwei Gründen: Als Konsument erfahre ich so, was ich gekauft habe, es reduziert mein Risiko, durch eine zu hohe Dosierung oder eine falsche Substanz Gesundheitsschäden davonzutragen. Und: Ich bekomme eine Beratung dazu, die mich darüber aufklärt, auf was ich mich einlasse, wie gefährlich das ist. Ich kenne Kollegen in Zürich, die das schon länger machen. Die kommen beim Drug Checking mit Leuten ins Gespräch, die sie sonst nie erreichen würden. Die quatschen zusammen und können den Jugendlichen sagen: Hüte dich vor Crystal Meth. Das nimmst Du einmal, und dein Gehirn verändert sich sofort. Für immer.

Wir fassen Ihre Empfehlung zusammen: Legalisieren ja, aber mit klaren Einschränkungen und kluger, offensiver Aufklärungspolitik?

Ja, Tabak ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie effektiv die richtige Politik sein kann. Es gibt Warnhinweise auf den Packungen, Rauchverbot in Restaurants und vielen Bars. Werbung ist nur noch ganz stark eingeschränkt möglich. Das Ergebnis: Nur noch neun Prozent der Jugendlichen heutzutage rauchen. Zu meiner Zeit waren es 30 Prozent. Das müssen wir mit Alkohol und Cannabis genauso machen.

Mit Tobias Rüther sprach Frauke Niemeyer

Quelle: ntv.de

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