Politik

"Trauerspiel" Wahlrechtsreform Habeck liest der Großen Koalition die Leviten

"Politiker müssen zeigen, dass sie auch für sich selbst Dinge ändern": Grünen-Chef Habeck stellt in Sachen Wahlrechtsreform SPD und Union ein Armutszeugnis aus.

"Politiker müssen zeigen, dass sie auch für sich selbst Dinge ändern": Grünen-Chef Habeck stellt in Sachen Wahlrechtsreform SPD und Union ein Armutszeugnis aus.

(Foto: picture alliance/dpa)

Wie kann der Bundestag kleiner werden, ohne dass sich die großen Parteien etwas vergeben? Ein parteiübergreifender Vorschlag von Grünen, FDP und Linken hängt. Grünen-Chef Habeck spricht von einem Trauerspiel, die FDP von "bayerischen Extrawürsten für die CSU". Doch die Zeit drängt.

Im Streit um eine Wahlrechtsreform für einen kleineren Bundestag werfen die Grünen Union und SPD Planlosigkeit vor. Es sei ein "Trauerspiel", dass SPD und CSU sich nicht zu dem Thema verhielten, sagte Parteichef Robert Habeck in Berlin. Der gemeinsame Vorschlag von Grünen, FDP und Linken für eine Reduzierung der Wahlkreise zeige, dass eine Verständigung über Parteien hinweg möglich sei. "Unser Problem ist, dass die anderen nicht gesprächsfähig sind. Wir suchen das Gespräch, aber die haben ja nichts zu verhandeln im Moment."

Es gehe dabei um die Leistungsfähigkeit der Demokratie und die Glaubwürdigkeit der Politik, sagte Habeck. Denn Politiker müssten zeigen, dass sie nicht nur für andere Menschen Dinge änderten, sondern auch für sich selbst. Das Argument, die Zahl der derzeit 299 Wahlkreise und damit der direkt gewählten Abgeordneten zu reduzieren, sei "undemokratisch", ließ Habeck nicht gelten. Die Zahl der Wahlkreise sei eine "gegriffene Zahl", die nach dieser Logik erhöht werden müsse, um mehr Demokratie zu erreichen.

Habeck argumentierte, das Bundesverfassungsgericht poche darauf, dass die Verhältnisse der Zweitstimme in den Parlamenten abgebildet sein müssten. Wahlkreise würden heute mit geringeren Stimmanteilen gewonnen als früher, sagte er, damit sei das Mandat schwächer. Die "logische Konsequenz" sei, ihre Zahl zu verringern.

CSU will an 299 Wahlkreisen festhalten

CSU-Chef Markus Söder sprach sich dagegen aus, die Zahl der direkt gewählten Abgeordneten im Bundestag zu verringern. Es sei undemokratisch und nicht akzeptabel, wenn ein gewonnener Wahlkreis nicht zugeteilt werde, sagte der bayerische Ministerpräsident nach Angaben von Teilnehmern im CSU-Vorstand in München. Dabei betonte Söder, dass die CSU nicht generell dagegen sei, die Zahl der Bundestagsmandate zu verringern. Söder betonte, dass einzig das von seiner Partei vorgelegte Modell mit einer Höchstgrenze von 650 Mandaten unter Beibehaltung der 299 Wahlkreise akzeptabel sei. Auch Landesgruppenchef Alexander Dobrindt verteidigte in der Sitzung nach Teilnehmerangaben das CSU-Modell als einzigen Vorschlag, der dauerhaft die Gesamtgröße des Bundestags begrenze.

Über eine Reform des Bundestagswahlrechts wird schon lange in Berlin gestritten. Zuletzt hatte sich auch die CDU-Spitze nach Angaben von CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer mit dem Thema befasst, sich aber noch nicht auf eine Linie festgelegt. "Wir sind im Moment noch nicht in einer Situation, dass wir schon konkret auch eine Festlegung im Präsidium getroffen hätten", sagte sie am Samstag in Hamburg. Teilnehmer einer Präsidiumssitzung hatten zuvor berichtet, die CDU-Spitze sei offen für eine Verringerung der Zahl der 299 Wahlkreise, beispielsweise um zehn Prozent.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Marco Buschmann, kritisierte die Haltung der Union: "Es ist bedauerlich, dass die CSU jeden Fortschritt beim Wahlrecht verweigert." Der Gesetzesentwurf von Grünen, FDP und Linken erfülle alle Anforderungen des Verfassungsgerichts und verteile "die Verringerung der Mandate angemessen auf alle Fraktionen". Er warf Söder vor, "eine bayerische Extrawurst für die CSU" erpressen zu wollen.

SPD: Zeitlich nicht mehr zu schaffen

Auch die SPD tut sich bislang schwer mit einer Positionierung. Als Volkspartei haben die Sozialdemokraten lange von den Direktmandaten profitiert, allerdings schwächte sich dieser Effekt mit den schlechteren Wahlergebnissen der jüngsten Vergangenheit ab. Skepsis gegenüber einer Verringerung der Wahlkreis-Zahl gibt es trotzdem bei der SPD: Das sei bis zur nächsten Wahl zeitlich gar nicht mehr zu schaffen, argumentierte kürzlich  Parlamentsgeschäftsführer Carsten Schneider.

Wegen zahlreicher Überhang- und Ausgleichsmandate war das Parlament bei der jüngsten Wahl auf die Rekordgröße von 709 Abgeordneten angewachsen. Das Bundeswahlgesetz sieht eigentlich eine Anzahl von 598 Abgeordneten vor. Weil aber zum Beispiel die Union sehr viele Wahlkreise gewinnt, gibt es viele sogenannte Überhangmandate. Sie sollen sicherstellen, dass zwar jeder über die Erststimmen direkt gewählte Abgeordnete im Bundestag sitzt. Damit aber das Kräfteverhältnis bei den Zweitstimmen - mit denen man eine Partei wählt - trotzdem stimmt, sind dann wieder Ausgleichsmandate nötig.

Dabei drängt die Zeit: Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble drückt aufs Tempo: Er habe von allen Fraktionen die Zusage, dass es noch in diesem Monat eine Entscheidung geben müsse, sagte er. Das ist eine Woche her.

Quelle: ntv.de, mau/dpa/AFP

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