Mehr Anstand im CSU-Wahlkampf "Ich halte das für einen großen Witz"
15.09.2018, 06:57 Uhr
Einen Monat vor der Landtagswahl in Bayern steckt die CSU tief in der Umfragekrise: Im Gespräch mit n-tv.de erklärt Parteienforscher Heinrich Oberreuter, warum Markus Söder den Wahlkampf nun "bundespolitisch entkernen" will - und einen moderateren Ton anschlägt.
n-tv.de: Herr Oberreuter, laut aktuellem Bayerntrend liegt die CSU knapp einen Monat vor der Landtagswahl bei historisch schlechten 35 Prozent. Sollte Markus Söder langsam nervös werden?
Heinrich Oberreuter: Er muss sich darauf einstellen, dass er eine Koalitionsregierung bilden muss. Das ist eigentlich normal. Weil die CSU in Bayern aber seit Jahrzehnten allein regiert - abgesehen von der vorletzten Wahlperiode, ist es in diesem Fall außergewöhnlich. Aber das gehört nun einmal zum demokratischen Geschäft. Und Koalitionspartner sind vielleicht gar nicht so schlecht.
Woran liegt's denn? Hat Söder im Wahlkampf die falschen Themen gesetzt?

Der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter war Direktor der Akademie für Politische Bildung in Tutzing. Er ist CSU-Mitglied.
(Foto: picture alliance / dpa)
Das wäre zu kurz gedacht. In erster Linie liegt es daran, dass sich gesellschaftliche Strukturen, Werte, soziale Gefüge verändert haben. Das Modell der Volkspartei erodiert. Und der Freistaat Bayern ist da keine Ausnahme. Durch die Flüchtlingspolitik wurde dieser Prozess für die CSU noch negativ beschleunigt. Auf der einen Seite ist es der Partei nicht gelungen, den Leuten zu vermitteln, dass sie ihre Positionen erfolgreich im Bund durchsetzt. Auf der anderen Seite sind die Christsozialen von Angela Merkel immer wieder eingefangen worden. Dass die CSU Merkel im Wahlkampf erst bekämpft und sich dann vor der Wahl wieder zum politischen Schmusen mit ihr auf die Couch begeben hat: Das gab den Leuten das Gefühl, die CSU sei nicht verlässlich. Und durch die Rigidität ihres Auftretens - auch der Wortwahl - hat sie dann noch weitere Wähler verloren.
Zu rigide und zu opportunistisch: Schließt sich das nicht eigentlich aus?
Nein, weil es eben unterschiedliche Bevölkerungsschichten und Wählergruppen gibt. Die CSU hätte vielleicht noch ein oder zwei Wahlperioden gehabt, wo sie locker ihre 40 Prozent erreicht hätte. Aber wenn sie unter diesen gewandelten Bedingungen auch in Zukunft Wahlergebnisse zwischen 35 und 38 Prozent kriegt, wird sie deshalb noch Kerzen in Altötting stiften. In dieser differenzierten gesellschaftlichen Lage sind das einfach außergewöhnlich gute Wahlergebnisse.
Was würde denn eine Wahlschlappe für Markus Söder bedeuten?
Relativ wenig, weil es in der CSU keine sichtbare personelle Konkurrenz gibt. Ich könnte Ihnen zwar ein paar Leute aufzählen, die vielleicht gern an Söders Stelle wären. Aber keiner von denen, die noch eine Zukunft innerhalb der Partei haben, wird einen Putsch gegen Söder versuchen. Die haben ihn erst in den Sattel gehoben.
Söder selbst sagt, das sei "kein bayerisches Ergebnis". Welchen Anteil hat Innenminister Seehofer am Umfragetief?
Sicher ist Seehofer mitschuldig. Allerdings war seine Inszenierung gegen Merkel und die riskante Strategie, die Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU in Frage zu stellen, von Söder gebilligt. In der Flüchtlingspolitik gab es zwischen Seehofer und Söder zunächst keine sichtbare Differenz. Als aber klar wurde, dass der Versuch, Brandmauern gegen die AfD zu bauen, gescheitert ist, hat Söder auf einmal die Anständigkeit entdeckt. Ich halte das für einen großen Witz. Denn die Leute erwarten von der Politik sowieso, dass sie sich mit Anstand aufführt. Seit ein paar Wochen gibt es nun einen Strategiewechsel - und die Argumentation lautet: Aus Berlin kommt kein Rückenwind. Berlin ist schuld. Und wir müssen jetzt bayerisch auftreten.
Seehofer klagte mehrmals, gegen ihn werde eine Kampagne geführt. Stimmt das?
Wenn Leute Seehofer die Verantwortung dafür zuschieben, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken, dann ist das schon starker Tobak. (Solche Vorwürfe hatte es sowohl von Ex-Familienministerin Renate Schmidt als auch von Seenotrettern gegeben, Anm.d.Red.) Diese Leute sind moralisch nicht sehr viel höher anzusiedeln als mancher AfD-Mensch mit seinen merkwürdigen Argumenten.
Was könnte Söder denn tun, um das Ruder vor der Wahl noch rumzureißen?
Viel kann er nicht mehr tun. Was er im Augenblick versucht, ist eine bundespolitische Entkernung des Wahlkampfes. Eine chemisch reine Bajuwarisierung sozusagen. Bei Landstagswahlen drängt sich das zwar ohnehin auf, ist aber nie so gewesen. Es hat immer bundespolitische Einflüsse gegeben. Diese Einflüsse will Söder aber - weil er sie zu Recht für negativ hält - vermindern. Das ist auch ein Vorwurf an Angela Merkel und ihre Flüchtlingspolitik.
Also eher keine Wahlkampfhilfe mehr von der Kanzlerin …
Man kann sich auch der Lächerlichkeit preisgeben, indem man irgendwelche symbolischen Maßnahmen inszeniert. Söder hält Merkel ja eher für das Gewicht, das ihn nach unten zieht.
Offenbar setzt er stattdessen auf die Unentschlossenen. Mehrmals verwies Söder auf die 45 Prozent der Wähler, die sich noch nicht auf eine Partei festgelegt haben. Ein gutes Argument?
Nein, das ist ein übliches Argument, wenn Verunsicherung herrscht. Die Erfahrung lehrt uns aber, dass sich die Spätentscheider in etwa genauso entscheiden wie diejenigen, die sich schon festgelegt haben. Dass aus einer 35-Prozent-Umfrage ein 45-Prozent-Ergebnis werden soll, halte ich für unlogisch.
Seehofer will über mögliche Koalitionen aber erst gar nicht reden. "Wir kämpfen um den Sieg", sagt er …
Das kann er ruhig sagen. Wenn ich Parteiführer wäre in dieser Situation, würde ich mich auch nicht hinstellen und verkünden: Unsere Zeit ist vorbei. "Wir kämpfen um den Sieg", das ist doch eine gute Formulierung! Ob es nun 28 Prozent gibt oder 35: Solange die zweitstärkste Partei nur auf 17 Prozent kommt, ist es immer ein Sieg. Nur nicht mehr der Komfortsieg, den man gewöhnt war.
Lassen Sie uns trotzdem mal spekulieren: Laut Umfrage wäre nur noch eine Zweierkoalition mit den Grünen möglich. Wie wahrscheinlich ist das?
Erinnern Sie sich an die Koalitionsverhandlungen in Berlin: Was da alles ging und nicht ging - oder fast gegangen wäre! Es wird eine Koalition geschlossen werden, die in den Sondierungsgesprächen Aussicht auf Erfolg verspricht. Und die ideologischen Positionen beiderseits werden in diesen Verhandlungen keine grundsätzlich prohibitive Wirkung haben. Die bayerischen Grünen sind Realos geworden. Sie wären mit Sicherheit ein tolerabler Koalitionspartner. Logischer wäre allerdings ein Bündnis mit der FDP und den Freien Wählern. Zumindest die CSU würde das auf jeden Fall bevorzugen.
Mit Heinrich Oberreuter sprach Judith Görs
Quelle: ntv.de