Keine Putin-Show für Gorbatschow "Ich tippe auf eine kleine Beerdigung"
31.08.2022, 18:06 Uhr
Standen sich nie nahe: Michail Gorbatschow und Wladimir Putin.
(Foto: picture alliance/dpa)
Nach seinem Tod zollen etliche Menschen und Politiker auf der ganzen Welt Gorbatschow ihren Respekt - nur nicht in seinem Heimatland. Der Kreml zeigt sich unterkühlt, Zeitungen in Moskau nennen ihn den "Totengräber der Sowjetunion". Doch die Ambivalenz seines Vermächtnisses sollte auch in Deutschland mehr diskutiert werden, sagt der Historiker Wehowski ntv.de.
ntv.de: Gorbatschow gilt als Wegebner für das Ende der Sowjetunion. Wie reagieren die Menschen und die Presse in Russland auf seinem Tod?

Matthäus Wehowski ist Hisoriker und im Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung (HAIT) in Dresden tätig. Während des Studiums hat er zeitweise in Moskau gelebt.
Matthäus Wehowski: Große russische Zeitungen, zum Beispiel die "Komsomolskaja Prawda", eine der ganz großen Boulevardzeitungen, spricht von Gorbatschow als einem "der Totengräber der Sowjetunion". Sie vergleichen ihn in einem Artikel mit dem altägyptischen Pharao Echnaton, der seine absolute Macht einsetzte, um in Ägypten neue Götter einzuführen. Das habe Gorbatschow laut der Zeitung auf eine gewisse Art und Weise auch gemacht, als er versucht hätte, gegen den Willen der Bevölkerung einen neuen Glauben und die Demokratisierung durchzuführen. Andere Zeitungen wie zum Beispiel die "Nesawissimaja Gaseta" schreiben durchaus respektvoller über Gorbatschow und loben seine Menschlichkeit.
Spiegelt das auch die Wahrnehmung der Bevölkerung wider?
Was die russische Öffentlichkeit angeht, das zeigen Umfragen, hat eine deutliche Mehrheit der Bürger ein negatives Bild von Gorbatschow - so glauben 55 Prozent, dass er dem Land mehr Schaden als Nutzen gebracht hat. Seine Person wird sehr stark mit dem Zerfall der Sowjetunion in Verbindung gebracht. Dabei wird außen vor gelassen, dass es strukturelle ökonomische Gründe gab, warum die Sowjetunion zusammengebrochen ist. Doch die Russen weigern sich, sich mit den ökonomischen und politischen Defiziten der Sowjetunion zu beschäftigen und machen das stattdessen sehr stark an der Person Gorbatschow fest. Sie machen ihn für alles Negative verantwortlich, das nach 1989 passiert ist und sehen ihn daher als Totengräber.
Welche Rolle spielte Gorbatschow zuletzt in Russland?
In der Politik war er eher im Abseits. Man kann das nicht vergleichen mit Politikern wie Helmut Schmidt, die als "Elder Statesman" aufgetreten sind und hohen Respekt genossen haben. Den genoss Gorbatschow in Russland nicht. Eher im Ausland, vor allem in Deutschland und im Westen, aber in den postsozialistischen Nachbarstaaten Russlands auch nicht. Dort haben die Menschen ein sehr negatives Bild über Gorbatschow, gerade in Litauen, wo er für die Massaker an Demonstranten während seiner Herrschaft verantwortlich gemacht wurde. Er selbst war ab und zu mal öffentlich in Russland zu sehen und hat versucht, seine Reputation etwas aufzubessern. Eine richtige Respektsperson war er in den letzten Jahren aber nicht mehr.
Wie war der Blick von Putin auf Gorbatschow?
Das ist schwer einzuschätzen, weil es unmöglich ist, zu wissen, was Putin wirklich denkt. Wenn man aus seinem aktuellen Telegramm zitiert, das er vor ein paar Stunden erst publiziert hat, sieht man eine kühle Distanz zu Gorbatschow. Er schreibt, Gorbatschow sei ein Mann gewesen, der den "Lauf der Geschichte enorm verändert hat". Er hätte zudem "ein großes Bewusstsein für die Notwendigkeit von Reformen gezeigt". Das ist schon sehr ambivalent. Das kann man so oder so lesen. Es ist einerseits durchaus respektvoll ihm gegenüber und lobt beispielsweise auch seine humanitäre Tätigkeit der letzten Jahre. Aber man kann es auch anders lesen, und zwar, dass Gorbatschows Bewusstsein für viele Reformen und die Veränderung der Geschichte nicht als positiv wahrgenommen werden. Deswegen ist das ein sehr distanziertes Schreiben. So kann man wahrscheinlich auch Putins Blick auf Gorbatschow zusammenfassen. Putin hat diese Umbruchszeit ja selbst erlebt, in der auch seine eigene Karriere dann einen radikalen Wandel durchgemacht hat. Die Welt, die er kannte, ist zusammengebrochen und seine Generation gehört zu denjenigen, die Gorbatschow persönlich dafür verantwortlich machen. Viele aus der Generation Putins haben es verweigert, sich mit den Defiziten der Sowjetunion zu beschäftigen.
Wie könnte man die Beziehung zwischen Putin und Gorbatschow beschreiben?
Ich hatte während meines Studiums in Moskau Kontakt mit vielen Leuten aus der Gorbatschow-Stiftung und diese Frage kam - zumindest zwischen uns - nie wirklich auf. Gorbatschow hat Putin, seine autoritären Reformen und seinen autokratischen Führungsstil, der ja inzwischen mittlerweile wirklich so eine Art Neo-Stalinismus geworden ist, zuletzt vorsichtig verurteilt, stand aber auch nicht in wirklicher Opposition zu ihm.
Das hört sich so an, als ob Gorbatschow Putin und seiner Politik in den letzten Jahren sehr aus dem Weg gegangen ist.
Eher ja. Es gab weder eine Unterstützung noch eine wirkliche Verurteilung vonseiten Gorbatschows, aber ab und zu stichelte er ein bisschen in Richtung Westen. Er hat beispielsweise einmal angedeutet, ob die Annexion der Krim 2014 nicht doch die Schuld des Westens war. Solche Dinge kamen dann immer wieder auf, aber er hat versucht, sich nicht in aktuelle politische Debatten einzumischen.
Gorbatschow soll neben seiner Frau auf Moskaus berühmtem Prominenten-Friedhof am Jungfrauenkloster beerdigt werden. Wird es ein Staatsbegräbnis für ihn geben?
Ein großes, pompöses Staatsbegräbnis wird es aller Wahrscheinlichkeit nach nicht geben. Der Kreml sagt aktuell, dass es noch keine Entscheidung darüber gibt. Deshalb wird es wahrscheinlich auch keins geben. Der Vergleich zwischen Gorbatschows Beerdigung im Kontrast zu anderen prominenten Politikern, die in den letzten Monaten gestorben sind, wird aber durchaus interessant werden. Vor allem bei Wladimir Schirinowski, der ja ein neofaschistischer Politiker war und zeitweise im System Putin integriert wurde. Ein ultranationalistischer Scharfmacher, der im April dieses Jahres gestorben ist. Schirinowski hat wirklich eine sehr große Beerdigung bekommen mit vielen prominenten Vertretern von Staat und Kirche. Auch Putin und der Moskauer Patriarch Kyrill waren anwesend. Das kann ich mir bei Gorbatschow nicht vorstellen. Ich tippe eher auf eine stille, kleine Beerdigung im engeren Familienkreis.
Was wird von Gorbatschow bleiben?
Am Beispiel Gorbatschows kann man sehen, dass es durchaus möglich ist, dass ein Mann aus dem System heraus zu einem Reformer und einem Hoffnungsträger werden kann. Das war Gorbatschow, trotz aller Probleme und Schwierigkeiten. Er war jemand, der immer autoritär geblieben ist, der seine eigene Machtposition immer versucht hat zu festigen und der die Demokratisierung von oben runter durchsetzen wollte, was im Endeffekt deswegen auch nicht geklappt hat. Eventuell könnte es auch eine solche Person in dem System Putins geben, wer weiß. Zum anderen sieht man bei ihm auch diese Ambivalenz historischer Persönlichkeiten. Auch in Deutschland sollte man sich ein bisschen anders mit Gorbatschow auseinandersetzen und die Perspektive Ostmitteleuropas stärker in den Fokus nehmen. Denn so positiv wie in Deutschland wird Gorbatschow sowohl in Russland als auch in den Nachbarländern nicht gesehen. Zum Teil zu Recht, aber auch zu Unrecht. Und diese Ambivalenzen sollte man in der Öffentlichkeit stärker wahrnehmen, was Mitteleuropa und Russland angeht.
Mit Matthäus Wehwoski sprach Vivian Micks
Quelle: ntv.de