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Kommt Selenskyj-Putin-Gipfel? "Im Moment spielt Russland eindeutig auf Zeit"

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Treffen ohne Eklat: Selenskyj zu Gast im Weißen Haus bei Trump.

Treffen ohne Eklat: Selenskyj zu Gast im Weißen Haus bei Trump.

(Foto: picture alliance / Captital Pictures)

Kommt es bald zu konkreten Fortschritten in Richtung eines Waffenstillstands zwischen der Ukraine und Russland? Nicht nur die deutsche Bundesregierung, auch der ukrainische Politikwissenschaftler Wolodymyr Fessenko ist skeptisch. Im Interview mit ntv.de erklärt Fessenko, wo dennoch kleine Verbesserungen erzielt wurden.

ntv.de: Herr Fessenko, es waren komplizierte Wochen für die ukrainische Diplomatie. Erst das Zittern rund um das Putin-Trump-Treffen in Alaska, dann Selenskyjs Besuch in Washington in Begleitung der europäischen Staats- und Regierungschefs. Wie fällt Ihr Fazit aus?

Wolodymyr Fessenko: Man darf sich zu Recht darüber freuen, dass der Schaden begrenzt und dass ein neuer Eklat im Weißen Haus verhindert werden konnte. Das war so keinesfalls gesetzt und es ist tatsächlich wichtig, dass Selenskyj in Washington eine breite Unterstützung von europäischer Seite bekam. Allerdings bleibt es gefährlich, dass Trump nun die Idee bevorzugt, gleich ein voll umfassendes Friedensabkommen statt eines Waffenstillstands zu schließen. Das ist aufgrund der Forderungen Russlands unrealistisch und entspricht eigentlich Putins Position. Auch scheinen die USA weiterhin einen sogenannten Landtausch zu verfolgen, was Trumps Sondergesandter Steve Witkoff nun wieder andeutet. Washington scheint auf diese Frage naiv zu schauen. Russlands Vorschlag ist sehr wohl, dass die Ukraine den Rest der Regionen Donezk und Luhansk komplett räumen und die Front woanders, etwa in Cherson und Saporischschja, eingefroren wird. Die Trump-Administration will etwas Realistischeres durchsetzen: Dass Russland zumindest einige andere Regionen wie Charkiw und Sumy verlässt, wo sie allerdings minimal vertreten sind. Für die Ukraine wäre ein solcher Tausch kaum gleichwertig, gerade mit Blick auf die massiven Verteidigungsstellungen im Donbass.

Welche roten Linien gibt es für Kiew insgesamt?

Klar ist, dass die Ukraine keines der besetzten Gebiete offiziell als russisch anerkennen wird. Ebenfalls ist ein freiwilliger Truppenabzug aus größeren Regionen nicht vorstellbar, wobei es gut sein kann, dass im Rahmen der ernsthaften Verhandlungen über einen Waffenstillstand ein gewisser Frontausgleich mit Blick auf einige Positionen diskutiert werden könnte. Russische Forderungen nach dem Status der russischen Sprache, der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche, die früher dem Moskauer Patriarchat unterstand, sowie der in der ukrainischen Gesetzgebung vorgeschriebenen transatlantischen Ausrichtung sind für Kiew auch inakzeptabel. Die Ukraine wird eigene Gesetze nicht auf Wunsch Moskaus ändern. Hier kann ich allerdings nicht sagen, ob sich das im weiteren Kriegsverlauf verändert.

Was stellt sich Kiew denn vor?

Die Grundposition der Ukraine ist deutlich: Man stimmt einem Waffenstillstand entlang der Frontlinie zu. Am liebsten bedingungslos und zumindest für 30 Tage. Kiew schließt es jedoch nicht aus, dass dieser Waffenstillstand Schritt für Schritt umgesetzt werden könnte. Nämlich, dass zunächst einmal zum Beispiel ein Waffenstillstand in der Luft und am Meer vereinbart werden könnte.

Wie realistisch ist aus ukrainischer Perspektive ein Treffen zwischen Selenskyj und Putin oder zwischen Selenskyj, Putin und Trump?

Im Moment spielt Russland eindeutig auf Zeit. Vor der größeren Reise nach China, die Putin in den kommenden Tagen unternimmt, wird es ziemlich sicher keine Entscheidung darüber geben. Dass Moskau versuchen wird, ein solches Treffen sowieso zeitlich möglichst zu verschieben, ist ohnehin eindeutig. Es kann trotzdem so kommen, dass Putin sich auf die eine oder andere Weise mit Selenskyj trifft, um seine Beziehungen zu Trump nicht zu verschlechtern. Die Frage ist nur, welche Ergebnisse ein solcher Gipfel bringen wird? In Alaska war es ein offensichtliches Ziel Putins, mit einem auf den ersten Blick weniger frechen Angebot zu kommen, um die Ukraine in Trumps Augen wieder als Hindernis zum Frieden darzustellen. Etwas Ähnliches ist auch von dem Treffen auf der Ebene der Staatsoberhäupter zu erwarten. Ob die US-Amerikaner dies dann verstehen werden, ist eine offene Frage.

Stichwort US-Amerikaner: Sowohl nach Alaska als auch nach Washington wirkte es von außen zumindest komisch, dass Putins außenpolitischer Berater Uschakow gleich dem widersprach, was Trump stolz verkündete. Wie ist das zu erklären?

Es gibt massive Verständigungsprobleme zwischen Moskau und Washington. Ganz offensichtlich spielt Steve Witkoff bei diesen eine große Rolle, der Trump seine Fantasien verkauft, die mit der politischen Realität wenig zu tun haben. Der wichtigste Punkt ist dabei, dass es Russland in diesem Krieg um irgendwelche Territorien geht - und dass Moskau sich damit zufrieden gibt, dass die Ukraine sich aus einigen Gegenden zurückzieht. Das ist naiv. Und es ist eine schwierige Aufgabe für Kiew, der Trump-Administration verständlich zu machen, dass es Russland mindestens darum geht, die ganze Ukraine in seiner Einflusssphäre zu haben.

In diesen Tagen wird sehr viel über Sicherheitsgarantien für die Ukraine gesprochen. Wie könnten denn diese aussehen? Russland wird etwa der europäischen Truppenpräsenz im Rahmen des Friedensprozesses kaum zustimmen - selbst wenn diese sehr klein sein sollte.

Zunächst einmal ist es ein riesiger Schritt nach vorne, dass die US-Amerikaner die Notwendigkeit der Sicherheitsgarantien für Kiew anerkennen und sich an diesen teilweise beteiligen könnten, wenn auch kaum in vorderer Rolle. Im Februar und März waren wir noch nicht so weit. Washington wollte darüber nicht mal sprechen. Jetzt leitet Außenminister Rubio sogar eine Arbeitsgruppe dazu. Insgesamt gibt es drei Szenarien. Die europäische Truppenpräsenz in der Ukraine wäre wünschenswert, obwohl es tatsächlich um eine eher symbolische Soldatenzahl gehen würde. Das Problem dabei ist, dass es für Moskau kategorisch nicht annehmbar ist. Es würde sozusagen bedeuten, dass nicht die Ukraine in die NATO aufgenommen wird, sondern dass die NATO selbst quasi in die Ukraine kommt. Realistischer ist daher, dass Kiew eine handfeste und versichert langfristige militärische Unterstützung bekommt. Es geht allerdings um riesige Summen und es ist fraglich, ob Europa alleine diese auf Dauer bezahlen kann. Worauf zudem einige in der Ukraine hoffen, wäre ein ähnlicher Sicherheitsvertrag mit den USA, wie im Falle Südkoreas und Japans. Der Unterschied ist jedoch, dass es hier nicht um US-amerikanische Truppen auf ukrainischem Boden gehen wird. Ein solcher Vertrag, der dann auch vom Kongress bestätigt wird, wäre aber an sich keine schlechte Option, wenn er ebenfalls juristische Kraft hat. Wichtig wird diesbezüglich das Treffen der ukrainischen Delegation mit den US-Amerikanern in New York sein, welches Ende der Woche stattfinden sollte.

Wolodymyr Fessenko ist einer der führenden ukrainischen Politikexperten. Seit 2003 ist der Politikwissenschaftler Chef des Zentrums für angewandte politische Forschung Penta in Kiew. Fessenko ist auch als Politikberater tätig.

Wolodymyr Fessenko ist einer der führenden ukrainischen Politikexperten. Seit 2003 ist der Politikwissenschaftler Chef des Zentrums für angewandte politische Forschung Penta in Kiew. Fessenko ist auch als Politikberater tätig.

(Foto: privat)


Die Europäer zeigen inzwischen zumindest rhetorisch ihre Einigkeit mit Blick auf die Unterstützung der Ukraine. Wie wird das in Kiew aufgenommen und werden auf die Worte auch Taten folgen?

Die Bilder, die in Washington produziert wurden, hatten ihre Wirkung. Ich war mir unsicher, ob es wirklich eine gute Idee war, mit so vielen Staats- und Regierungschefs in die USA zu kommen. Doch letztlich war es positiv, dass es so gekommen ist. Dass der deutsche Finanzminister und Vizekanzler Klingbeil, zudem ein Vertreter der SPD, am Montag Kiew besuchte, ist ebenfalls ein gutes Zeichen, welches auf langfristige Planung hindeutet. Viel öfter sind in der Ukraine Außen- und Verteidigungsminister zu sehen. Deutschland übernimmt die Führungsrolle in der Unterstützung Kiews und das ist nicht unterzubewerten. Jedoch bleibt es eine offene Frage, wie funktionsfähig Europa ohne die USA sein kann. Dass man den Ernst der Lage erkannt hat, ist für mich zweifellos. Ob die Gesellschaften und nicht nur die Regierungen es verstehen, ist leider weiterhin ein Dilemma.

Schauen wir mal auf die innere Lage in der Ukraine. Es wird derzeit viel über die Präsidentschaftsperspektiven des beliebten Ex-Armeechefs und heutigen Botschafters in London, Walerij Saluschnyj, spekuliert. Wie ernst ist das?

Saluschnyj bleibt in der Tat sehr beliebt und hätte durchaus Chancen. Einiges, was in der letzten Woche verbreitet wurde, ist jedoch reine Spekulation, die dann auch gleich von russischen Medien übernommen wurde, die natürlich an der innenpolitischen Destabilisierung in der Ukraine interessiert sind. Saluschnyj ist ein sehr vorsichtiger Mensch. Dass er irgendwann in die Politik geht und sich zur Wahl stellt, ist durchaus vorstellbar. Dies wird aber sicher nicht vor dem Ende des Krieges passieren. Dass er laut "Guardian" nach dem Eklat im Oval Office den Gesprächskontakt aus der Umgebung des US-Vizepräsidenten JD Vance ablehnte und sich zunächst einmal mit dem Präsidentenbüro in Kiew absprach, zeigt, wie staatsmännisch er in diesen Zeiten agiert. Ebenfalls zeigt es seine für ihn sicher unangenehme Entlassung als Befehlshaber Anfang 2024, als er das ruhig hingenommen hat und sich sogar öffentlich sowohl mit Selenskyj als auch mit dem eigenen Nachfolger Syrskyj umarmte.

Die Mobilisierungsprobleme in der Ukraine sind bekannt, auch wenn diese wohl nicht so katastrophal sind, wie oft dargestellt. Die Diskussion darüber, ob man das Mindestmobilisierungsalter von 25 Jahren weiter herabsetzen sollte, ist ebenfalls nicht neu. Dabei hat die ukrainische Regierung diese Woche die Ausreise für Männer zwischen 18 und 22 Jahren erlaubt. Wie ist das zu verstehen?

Ich halte das für einen überwiegend populistischen Schritt, der nicht an der Zeit ist. Denn: Was, wenn der Krieg sich so entwickelt, dass das Mobilisierungsalter tatsächlich gesenkt wird, viele junge Männer das Land jedoch bis dahin verlassen? Auch das ist eine komplizierte Angelegenheit. Man muss schauen, wie man das Leben für Studenten, die an ausländischen Universitäten studieren, erleichtern kann. Darüber hinaus gibt es Fälle, wo etwa die Mutter ausgereist ist, der Sohn sie aber nicht mehr besuchen kann. Schließlich geht es darum, dass 17-Jährige nicht mehr auf Druck der Familie die Ukraine verlassen. Mit diesem Schritt bekommt man viel mehr Bedenkzeit. Jedoch finde ich, dass die Zeit für eine solche Entscheidung falsch ist.

Abschließend: Ein Monat ist vergangen seit den Protesten gegen Kiews Versuche, die Unabhängigkeit der ukrainischen Antikorruptionsorgane zu beschränken. Die Entscheidung wurde schnell zurückgenommen, doch der Beigeschmack bleibt. Welche Folgen hat das für Selenskyj und für die Ukraine?

Es ist an sich ein gutes Zeichen, dass die eindeutige Fehlentscheidung schnell korrigiert wurde. Sie bleibt jedoch weiterhin falsch. Die Folgen sind eigentlich gering - und es wäre insgesamt positiv, wenn die EU, die in diesem Fall viel Druck ausübte, auf manche Vorgänge in der Ukraine genauer schaut und nicht ein Auge zudrückt. Das Thema der Korruptionsbekämpfung in der Ukraine wird sowieso in den nächsten Jahren ganz oben auf der Agenda bleiben. Die Antikorruptionsorgane müssen allerdings ebenfalls schauen, dass sie effektiv arbeiten und nicht auf politisierte Fälle mit großer Resonanz und am Ende oft wenig Ergebnis setzen.

Mit Wolodymyr Fessenko sprach Denis Trubetskoy

Quelle: ntv.de

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