Otto Fricke zu Ampel-Haushalt "So ein Thema kann Bewegung in die Verhandlung bringen"
30.06.2024, 11:13 Uhr Artikel anhören
Otto Fricke ist haushaltspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion. Wenn der Gesetzentwurf zum Haushalt den Bundestag erreicht, kommt seine Stunde.
(Foto: picture alliance / dts-Agentur)
Die Haushaltsverhandlungen werden sich länger hinziehen als geplant - das hat die Ampel eingeräumt. Wie die schwierigen Verhandlungen gelingen können, erklärt einer, der es wissen muss. FDP-Haushaltspolitiker Fricke beschäftigt sich seit zwei Jahrzehnten mit dem Thema. Er sagt, wie eine Einigung gelingen könnte.
ntv.de: Herr Fricke, wie zuversichtlich sind Sie, dass sich die Herren Scholz, Habeck und Lindner auf einen Haushalt für 2025 einigen?
Otto Fricke: Ich bin zuversichtlich. Als Rheinländer bin ich ohnehin Optimist. Aber ich mache seit 2002 Haushaltspolitik. Wenn die drei in ihren Verhandlungen nicht weiterkämen, dann hätten wir schon viel mehr offene Bruchlinien. Dann würden wir von allen Seiten viel mehr hören, was alles nicht geht.
Wir haben doch diese Bruchlinien. Die SPD sagt die ganze Zeit, was nicht geht. Sie will nicht bei Rente, Bürgergeld oder anderen Sozialausgaben sparen. Die FDP will den Solidaritätszuschlag für alle abschaffen. Vom Streitthema Schuldenbremse ganz zu schweigen.
Ja, aber nichts davon ist wirklich neu. Mit diesen Positionen sind wir schon in die Koalitionsverhandlungen hineingegangen. Es ist also nichts Neues hinzugekommen. Und was Christian Lindner sagt, ist an vielen Stellen einfach die Rechtslage. Das wissen die anderen auch.
Das mag bei der Abschaffung der Kalten Progression so sein. Bei der Abschaffung des Solidaritätszuschlags aber nicht.
Da nicht, der Wunsch ist aber nicht neu. Was und wie viel da geht, müssen wir sehen. Ich achte auf etwas anderes. Noch spricht man vertraulich miteinander. Es dringt nichts nach außen. Das sehe ich sehr positiv. Jede Seite wird etwas nachgeben müssen. Am Ende darf keiner als Verlierer vom Platz gehen. Das heißt aber auch: Keiner kann der strahlende Sieger sein. Bisher ist das noch immer gut gegangen.
Das mag sein. Aber den selbst gesetzten Termin 3. Juli wird die Koalition nicht erreichen.
Diesen Termin hatte sich das Kabinett gemeinsam gesetzt. Als Parlamentarier und Haushaltspolitiker brauche ich den Entwurf des Haushaltsgesetzes aber nicht schon Anfang Juli, sondern im Juli.
Wie muss man sich die Verhandlungen von Scholz, Lindner und Habeck vorstellen? Gehen die jeden Haushaltsposten durch und suchen hier nach ein paar Millionen und da nach einer Milliarde? Oder geht es nur um das große Ganze?
Man geht schon Positionen durch. Wo die drei die Wesentlichkeitsgrenze setzen, da bin ich vorsichtig. Aber nehmen Sie das Thema Schwarzarbeit beim Bürgergeld. Das geht es zwar nur um einen zweistelligen Millionenbetrag, dennoch wurde darüber geredet.
Ist das nicht bloß ein Symbolthema?
Das sagen Sie. Aber so ein Thema kann Bewegung in die Verhandlungen bringen. Derzeit sagen selbst viele Wähler von SPD und Grünen, es sei richtig, Totalverweigerern und Schwarzarbeitern zeitweise die Mittel zu streichen. Das macht es leichter, mit SPD und Grünen über solche Themen zu sprechen.
Kürzungen werden sie aber nicht mitmachen.
Man kann aber darüber sprechen, ob es Fälle in bestimmten Sozialleistungen gibt, in denen die Leistungen gar nicht erst gezahlt werden sollten. Wo es unfair oder unsozial wäre, eine Leistung zu geben. Das kann auch einen Einspareffekt haben, ohne Kürzungen im eigentlichen Sinne. Der Effekt ist schon ganz gut.
Ich sehe Sie greifen nach jedem Strohhalm.
Am Ende löst du einen Haushalt nicht durch Revolution, sondern immer nur durch Evolution.
Empört es Sie, dass Verteidigungsminister Pistorius 6,7 Milliarden Euro mehr haben will - und die Innen-, die Außen- und die Entwicklungshilfeministerin ebenfalls Mehrbedarf angemeldet haben?
Nein, da kommt der Realist in mir durch. Natürlich versuchen sie das. Ich nehme es Annalena Baerbock nicht übel, zu versuchen, genauso viel Geld wie 2023 zu bekommen. Aber sie widerspricht ihrem eigenen Beschluss, den sie im Kabinett getroffen hat. Das ärgert mich schon. Basis für die Haushaltsverhandlungen ist der Finanzplan, der 2023 vom gesamten Kabinett beschlossen worden ist. Darin wurde die Höhe der einzelnen Etats für die Ministerien grob festgelegt.
Es müssen ungefähr 25 Milliarden Euro eingespart werden. Konsens schien mir aber zu sein, den Verteidigungshaushalt zu vergrößern. Das passiert aber nicht.
Der Verteidigungshaushalt ist stabil. Das Kriterium ist es, zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Verteidigung auszugeben. Wenn das BIP aber sinkt, brauchen Sie auch weniger Geld um auf zwei Prozent zu kommen.
2028 ist das Geld aus dem Sondervermögen verbraucht. Dann müssen die zwei Prozent aus dem Bundeshaushalt gestemmt werden. Müsste der Verteidigungshaushalt jetzt nicht Stück für Stück aufwachsen?
Wenn ich den Verteidigungshaushalt erhöhe, brauche ich weniger aus dem Sondervermögen, um die zwei Prozent zu erreichen. Dann hätte ich also länger etwas vom Sondervermögen. Das ginge auch. Wenn ich aber jetzt mehr aus dem Haushalt in die Verteidigung gebe, dann erhöhe ich den Konsolidierungsdruck in den anderen Häusern. Aber es stimmt: Die Frage ist, ob es 2028 zu einem großen Knick kommt. Diese Frage aber muss in der Finanzplanung der Regierung gelöst werden, nicht im aktuellen Haushalt.
Aber politisch könnte man sich schon Gedanken machen: Wie machen wir das dann eigentlich? Herr Scholz und Herr Lindner haben mehrfach gesagt, das Zweiprozentziel solle künftig aus dem Bundeshaushalt finanziert werden.
Richtig. Dann werden wir das ja im Finanzplan der Bundesregierung sehen. Nur warum soll ich mir als Parlamentarier jetzt für das Jahr 2028 hypothetische Gedanken machen, wie die Bundesregierung das dann macht? Das ist das Prä der Bundesregierung.
Ist die FDP überhaupt noch kompromissfähig? Bei der Schuldenbremse sind Sie nicht bereit dazu. Man könnte ja auch eine Notlage erklären.
Nein! Ich kann doch bei der Verfassung keine Kompromisse machen. Das Bundesverfassungsgericht hat klar gesagt: Die Politik darf nicht einfach so eine Notlage erklären, wie es ihr gefällt. Sie muss tatsächlich vorliegen. Die Verfassung ist kein Selbstbedienungsladen. Man kann nicht einfach sagen: Ich erkläre den Ukraine-Krieg zu einer dauerhaften Notsituation. Es muss eine neu eingetretene Notsituation sein, die sich der Kontrolle entzieht.
Aber nach den Haushaltsverhandlungen im Dezember hat die Koalition vereinbart: Wir gucken im Laufe des Jahres, ob wir die Schuldenbremse wegen der Ukraine aussetzen.
Da geht es immer um die Frage, gibt es einen qualitativen Unterschied. Zum Beispiel: Was passiert, wenn Donald Trump noch einmal US-Präsident wird? Aber auch da ist das Bundesverfassungsgericht klar: Auch in dem Fall darf ich nicht einfach die Notlage erklären. Solange die Ukraine-Hilfen dauerhaft anfallende Kosten sind, muss der Haushalt umgestellt werden.
Ist die Schuldenbremse eine Frage, an der die Koalition zerbrechen könnte?
Nein, das glaube ich nicht. Bisher habe ich nicht erlebt, dass einer der Partner den Koalitionsvertrag gebrochen hätte.
Das werfen Sie sich doch ständig vor.
Nein, nein! Wir werfen uns vor, dass wir ihn nicht erfüllen. Aber nicht, ihn gebrochen zu haben. Es war immer allen klar, die Schuldenbremse wird nicht angetastet. Das ist die Geschäftsgrundlage. Wir haben ja auch nicht gewaltsam den Weiterbetrieb der Kernkraftwerke durchgesetzt.
Manchmal fühlt es sich gewaltsam an, wie Sie miteinander umgehen.
Wenn ein Koalitionär nicht sagt, wofür er steht, sagen alle: Ihr unterscheidet euch ja gar nicht mehr. Wenn man dann sagt, wofür man steht, kommt der Vorwurf: Ihr streitet euch ja. Man muss aber klarstellen, wo man steht. Dann sucht man einen Kompromiss und keiner geht raus, bevor die Frage geklärt ist. Dann muss man deutlich machen, wer was erreicht hat. Sonst wirkt das nur wie Wischiwaschi.
Haben Sie eine Vorstellung, wie ein Kompromiss aussehen könnte?
Die habe ich tatsächlich. Aber ich werde nicht darüber reden. Wenn ich das ausspreche, heißt es: Sieh' mal, der FDP-Mann macht da und da Zugeständnisse. Dann wird das einfach mitgenommen und von da aus weiterverhandelt, das wäre schlicht dumm.
CDU-Chef Friedrich Merz hat diese Woche im Bundestag gesagt: Die Ampel hält nur noch die Angst vor Neuwahlen zusammen. Es gehe Ihnen nur um den Machterhalt.
Und Herrn Merz geht es nur darum, die Macht zu erringen. Das könnte ich ihm ebenso platt entgegenhalten. Ist aber nicht mein Stil.
Stimmen Sie zu: Wenn die Regierung sich nicht auf einen neuen Haushalt einigt, ist sie am Ende.
Ich würde es so formulieren: Solange wir keinen neuen Haushalt für das kommende Jahr haben, gibt es ab dem 1.1.2025 eine vorläufige Haushaltsführung. Anders als in den USA wird es dann keinen Shutdown geben. Gehälter und Sozialleistungen würden weiter gezahlt. Wir können sogar begonnene Projekte beenden. Nur keine neuen anfangen.
Aber politisch kann man das doch nicht durchziehen.
Das haben wir zum Anfang des Jahres 2024 auch geschafft.
Da hatte es aber erst im November das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes gegeben.
Auch da bin ich Verfassungspatriot. Die Verfassung sagt: Der Haushalt soll am Ende des Jahres im Gesetzblatt stehen.
Sollte die FDP die Koalition verlassen, wenn keine Einigung möglich scheint?
Nein. Warum sollten wir das tun? Damit dann eine neue Große Koalition oder Schwarz-Grün noch mehr Geld ausgibt? Notfalls gehen wir in die vorläufige Haushaltsführung. Damit kann ich in Hinblick auf meinen Auftrag als Haushälter und Parlamentarier sehr gut leben.
Sie sind ein sehr erfahrener Haushaltspolitiker. Sind das die schwierigsten Verhandlungen, die Sie miterlebt haben?
Nein. Die Verhandlungen während der Euro- und Finanzkrise 2009 waren komplizierter. Da bin ich teilweise dreimal innerhalb einer Woche kurzfristig nach Berlin gekommen. Über Nacht konnte sich die Lage wegen Entwicklungen an der Börse verändern. Jetzt ist die Schwierigkeit: Wir kommen aus einer Phase, in der es jedes Jahr mehr Geld gab. Das ist jetzt erstmal vorbei und bedeutet harte Arbeit. Aber dafür sind wir gewählt.
Mit Otto Fricke sprach Volker Petersen
Quelle: ntv.de