FDP, Haushalt und die Ampel Die Sache, die Lindner nie wieder passieren soll


Lindner auf der Regierungsbank im Bundestag: Nie wieder umfallen?
(Foto: IMAGO/dts Nachrichtenagentur)
Eigentlich sagen alle, quer durch die Bank: Lockert die Schuldenbremse. Die FDP wirkt mehr und mehr wie ein Außenseiter. Oder anders formuliert: Wie ein kleines gallisches Dorf, das im Land der Schuldenfreunde noch Widerstand leistet. Nur ein Zaubertrank ist nicht in Sicht.
Wenn man FDP-Chef Christian Lindner zuhört, dann gibt er sich stets optimistisch. Für die Bundestagswahl, also die im November 2025, kämpfe er für ein zweistelliges Ergebnis für seine Partei, sagte er kürzlich der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Denn, so argumentierte er an anderer Stelle, in Umfragen war die FDP zur Halbzeit der vergangenen Legislaturperiode auch abgestürzt - und am Ende standen 11,4 Prozent. Aber das allein kann zwar Hoffnung machen, ist aber für eine selbstbewusste Prognose wenig. Denn 2021 lachte sich CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet selbst ins Abseits und ließ die Freien Demokraten als gangbare Alternative erscheinen.
Ob wieder so ein Geschenk vom Himmel fallen wird? Darauf kann man hoffen, doch verlassen kann man sich darauf nicht. Vorerst ist die FDP auf sich allein gestellt. Dabei kämpft sie auch gegen ein altes Image: eine Umfaller-Partei zu sein. Das verfolgt die Partei seit Jahrzehnten. Zuletzt sahen sich Kritiker und Spötter in der bislang letzten schwarz-gelben Koalition auf Bundesebene bestätigt. Mit viel Trara ging die von Guido Westerwelle geführte Partei mit der Forderung nach einer großen Steuerreform in den Wahlkampf. CDU-Kanzlerin Angela Merkel bremste die Liberalen dann einfach aus. Es passierte: nichts.
Für Christian Lindner war das ein Schlüsselmoment. In seinem Buch "Schattenjahre" beschreibt er die Situation so: "Tatsächlich hatte die CDU uns vom Kurs abgedrängt, unser zentrales Wahlversprechen wurde abgeräumt." Um dann selbstkritisch fortzufahren: "Wir aber hatten nicht gegengesteuert. Auch ich persönlich hatte als Generalsekretär geschwiegen, das gebe ich zu. Ich habe mir geschworen: das passiert mir nie wieder." Denn, so schreibt Lindner, die Wähler erinnerten sich noch jahrelang daran, dass die eigene Agenda verändert wurde, aber nicht daran, warum das geschah und ob es dafür gute Gründe gegeben hat.
Am Ende das Desaster
Diese Sätze könnten erklären, warum die FDP heute so vehement an der Schuldenbremse festhält. Denn auf die Koalition mit CDU und CSU folgte das größtmögliche Desaster für die FDP - sie flog aus dem Bundestag. Die Union erreichte dagegen ein Fabel-Ergebnis von 41,7 Prozent.
Natürlich sind Lindner und die FDP heute von der Sinnhaftigkeit der Schuldenbremse überzeugt. Ihre Argumente sind nachvollziehbar: Wenn wir jetzt zu viel Schulden machen, nehmen wir uns Handlungsspielräume in der Zukunft. Die Zinsen erdrücken uns irgendwann. Es wäre besser, mit dem Geld auszukommen, das da ist. Dies hat auch etwas mit Generationengerechtigkeit zu tun. Will man der nachfolgenden Generation einen gewaltigen Schuldenberg hinterlassen? Das ist an sich keine Außenseitermeinung. In weiten Teilen der CDU sieht man das ähnlich. Generalsekretär Carsten Linnemann argumentiert im Prinzip genauso.
Außerdem ist das Misstrauen der FDP gegenüber SPD und Grünen vermutlich nicht ganz unbegründet. Für die sei es doch nur der einfache Ausweg, einfach mehr Schulden zu machen, so ist es immer wieder zu hören. Zuletzt Anfang der Woche unter der Überschrift "Schuldenpopulismus" von Generalsekretär Bijan Djir-Sarai.
Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Es sind eben nicht nur Linke und Grüne, die bloß weiter Wohltaten verteilen wollen. Auch der Sachverständigenrat der Bundesregierung, auch bekannt als die Wirtschaftsweisen, fordert eine Reform, eine Lockerung - keine Abschaffung - der Schuldenbremse. Die Argumentation in Kurzform, je nach Stoßrichtung: Wollen wir in 20 Jahren sagen: Die Ukraine hat verloren, Straßen und Brücken sind unbefahrbar und den Ausstieg aus Kohle und Gas haben wir auch nicht geschafft, aber hey, wir haben fast keine Schulden gemacht!
Wie ein Rettungsboot
Nur wenn es stimmt, was Lindner in seinem Buch schrieb - "Das passiert mir nie wieder" -, dann sind solche Argumente für die FDP letztlich egal. So gesehen ist die Schuldenbremse so etwas wie ein Rettungsboot, in dem die Partei über einen stürmischen Ozean schippert. Wenn sie das auch noch aufgibt, bliebe nicht mehr viel übrig von den eigenen Überzeugungen. Den Atomausstieg hat sie nicht verhindert. Das Heizungsgesetz ebenfalls nicht, auch wenn die Parteivertreter tapfer behaupten, sie fänden das jetzige Ergebnis richtig gut. Beim Bürgergeld, das sie mittlerweile wieder ablehnen, haben sie ebenfalls mitverhandelt und unterschrieben.
Das brachte der Partei den Vorwurf ein, sie ermögliche letztlich linke Politik. Der kam aus den eigenen Reihen und führte vor Weihnachten zu einem Mitgliederentscheid über den Verbleib in der Ampel. Die FDP-Führung ging zumindest nach außen hin sehr gelassen damit um. Führte eine Online-Entscheidung durch. Vermied große Diskussionen. Kam mit einer Mehrheit pro Ampel heraus. Doch ein Warnschuss war das allemal. Kurz darauf setzte Lindner voll auf das Kernthema der FDP: Entlastungen der Wirtschaft und Steuersenkungen. Dabei ließ er den Eindruck zu, die Erfüllung seiner Forderungen sei eine Bedingung für den Fortbestand der Koalition. So sagte er, es sei "unvorstellbar", dass nichts geschehe oder die Abschaffung der kalten Progression sei eine "conditio sine qua non", also eine Bedingung, die unbedingt erfüllt werden muss.
Im Moment scheint es die Strategie der FDP zu sein, lieber mit fliegenden Fahnen unterzugehen, als einen Kompromiss einzugehen. Man könnte fragen, ob sie damit eigentlich noch koalitionsfähig ist - denn Kompromisse liegen in der Natur der Sache. Mit einer Einigung in den Haushaltsverhandlungen kann die FDP solche Einschätzungen widerlegen. Doch für den Fortbestand der Ampel wäre das am Ende doch nur die Mindestanforderung. Es hätte etwas von "Versetzung dank Nachprüfung geschafft". Die Koalition braucht aber neuen Schwung. Seit das Bundesverfassungsgericht im Herbst 2023 den Geldhahn zugedreht hat, muss sie nachweisen, auch unter den neuen Bedingungen eine gemeinsame Linie zu finden. Jenseits der Maxime: alle bekommen alles.
In seinem Buch schreibt Lindner zur gescheiterten Steuerreform 2010: "Der Vorhang für die Koalition war damit im Grunde gefallen - nur dass die Darsteller noch drei Jahre auf der Bühne weiterspielten, während das Publikum längst enttäuscht die Ausgänge suchte." Gemeint war Schwarz-Gelb. Ist es diesmal so anders? Falls ja, wird es einen Unterschied geben: Die FDP wird diesmal nicht umfallen.
Quelle: ntv.de