Hunderttausende nehmen Reißaus Kubaner verlassen massenhaft das Land
15.01.2024, 19:30 Uhr Artikel anhören
Kubas Bevölkerung schrumpft dramatisch.
(Foto: picture alliance / Eliana Aponte/dpa)
Kuba geht es so schlecht wie seit den 1990er Jahren nicht mehr. Die Inflation ist hoch, die Wirtschaft am Boden, die Privatwirtschaft macht Hoffnung, wird aber ausgebremst. In den letzten zwei Jahren haben deswegen fast eine halbe Million Kubaner den Inselstaat in der Karibik verlassen.
Auf Kuba leben etwa elf Millionen Menschen. Noch, denn die Bevölkerung schrumpft dramatisch: In den vergangenen beiden Jahren verließen fast 500.000 Kubaner das Land. Das sind mehr als vier Prozent der Bevölkerung und wäre so, als würden in zwei Jahren vier Millionen Menschen Deutschland verlassen. Noch nie seit der kubanischen Revolution 1959 haben so viele Menschen Reißaus genommen.
"Viele Kubaner stimmen mit den Füßen ab", schreibt der britische "Economist". Demokratische Wahlen gibt es im sozialistischen Karibikstaat nicht, deshalb zeigen die Kubanerinnen und Kubaner ihren Unmut, indem sie 'Adiós' sagen. Denn dem sozialistischen Land geht es wirtschaftlich so schlecht wie lange nicht.
"Es gibt eine Mischung aus allgemein schlechter Situation und dem Verlust des Glaubens, dass sich die Lage verbessert", benennt Bert Hoffmann den Grund für den Exodus. Die Corona-Pandemie habe den Tourismus massiv in den Keller gefahren, sagt der Co-Direktor des Giga-Instituts für Lateinamerika-Studien und Politikprofessor an der FU Berlin im Gespräch mit ntv.de. Wohlhabende Urlauber seien aber sei der "wichtigste Devisenbringer" Kubas. "Gleichzeitig hat es ein Aufbegehren auf den Straßen gegeben. Die meisten Kubanerinnen und Kubaner hoffen auf ein besseres Leben in den USA", weiß der Experte. "Im Vergleich zu anderen lateinamerikanischen Migranten haben sie es relativ leicht dorthin zu kommen. Es gibt immer noch eine Vorzugsbehandlung, ganz viele haben Familie dort."
Diese Vorzugsbehandlung nehmen viele Einwohner des Karibikstaats inzwischen gerne an. In den Jahren 2022 und 2023 migrierten zusammengerechnet rund 425.000 Menschen aus Kuba in die USA, 36.000 stellten Asylanträge in Mexiko, meldet die Denkfabrik Washington Office On Latin America. Weitere sind in politisch befreundete Länder wie Russland gezogen. Genaue Zahlen gibt es dazu aber nicht.
Hohe Belastung durch US-Sanktionen
Anders sieht es bei der Inflation aus: Voriges Jahr sind die Preise auf Kuba um rund 30 Prozent gestiegen, das Bruttoinlandsprodukt dagegen um ein bis zwei Prozent gesunken. Dasselbe gilt für die Zahl der Touristen: 2023 gab es nur zwei Millionen Besucher. Die Regierung hatte nach dem Ende der Corona-Pandemie auf fast die doppelte Zahl Touristen gehofft.
Auch Sanktionen belasten das Land nach wie vor extrem. Während der Amtszeit von Donald Trump als US-Präsident wurden sie verschärft. Außerdem wurde der Inselstaat auf die Liste jener Staaten gesetzt, die von den USA als "Terrorismus-Unterstützer" angesehen werden. Und US-Präsident Joe Biden hat die Sanktionen nicht zurückgefahren, sondern - im Gegenteil - fast alle Maßnahmen in Kraft gelassen. Eine "Mäßigung der US-Politik" sei höchstens in einer zweiten Amtszeit von Biden denkbar, sagt Kuba-Experte Hoffmann.
Die wirtschaftliche Situation Kubas sei "zweifelsohne schwierig", betont er. "Wer zu denen gehört, die über den Tourismus oder Verwandte aus dem Ausland Dollareinkünfte hat, kommt in der Regel gut über die Runden. Das heißt, die Schere geht auseinander. Es geht nicht allen gleichermaßen schlecht."
"Schwarzmarkt ist davon galoppiert"
Die kubanische Regierung hat radikale Pläne. Ende vorigen Jahres kündigte Havanna ein Maßnahmenpaket an. Ab Februar sollen demnach die Preise für Benzin und Diesel an den Zapfsäulen um mehr als 400 Prozent steigen. Ab März wird auch Flüssiggas und Strom treuer. 29 Tankstellen sollen ganz neu öffnen und Benzin ausschließlich gegen Dollar verkaufen. Das soll die Wirtschaft ankurbeln und die Kraftstoff- und Stromversorgung gewährleisten. Mit diesen Maßnahmen will die sozialistische Regierung zudem das Haushaltsdefizit bekämpfen und Geld für den Import unverzichtbarer Güter einnehmen.
Verzerrungen im Finanzsystem haben die Schere zwischen Arm und Reich auf Kuba weit auseinandergehen lassen. Zwar wurde das Zweiwährungssystem 2021 abgeschafft, es gibt aber immer noch einen offiziellen Wechselkurs von 24 kubanischen Pesos pro US-Dollar für staatliche Unternehmen und 120 Pesos pro Dollar für Privatpersonen. Tatsächlich ist der US-Dollar aber sehr viel mehr wert und der Peso dementsprechend sehr viel weniger: Der Schwarzmarktkurs liegt bei 240 zu 1, berichtet Kuba-Experte Hoffmann. "Der Schwarzmarkt ist davon galoppiert. Es gibt absurde Sachen, dass etwa ein Linienflug von Havanna nach Santiago de Chile für einen Kubaner umgerechnet nach dem Schwarzmarktkurs vier Dollar kostet. Dafür kann man auch in Kuba kein Kerosin kaufen."
Die kubanische Regierung will mit dem Maßnahmenpaket versuchen, derartige Ungleichgewichtige zumindest zu verkleinern. "Aber das führt in der Regel über Preiserhöhungen, die die Bevölkerung natürlich zu spüren bekommt", bewertet der FU-Professor.
Erfolge der Privatwirtschaft
Besonders schmerzhaft für die Kassen sei aber die "anhaltende Abneigung der kubanischen Machthaber" gegenüber der Privatwirtschaft, analysiert das Finanzportal Bloomberg. Seit 2018 wurde der Sektor durch den aktuellen Präsidenten Miguel Díaz-Canel schrittweise geöffnet. Seit 2021 dürfen Kubaner sogar Unternehmen mit bis zu 100 Beschäftigten führen. Sie sollen die Lücken füllen, in denen der ineffiziente Staat versagt, heißt es bei Bloomberg. Erfolgreich: Inzwischen gibt es etwa 10.000 Firmen im Land, die 14 Prozent des BIP erwirtschaften.
Doch erfolgreiche Unternehmer gewinnen auch an Einfluss. Das kann oder will die kubanische Führung nicht akzeptieren: Im Agrarsektor etwa wurde in der Nationalversammlung eine Reform verhindert, die es kubanischen Bauern ermöglicht hätte, ihre Erzeugnisse direkt an die Verbraucher und nicht an den Staat zu verkaufen. Die landwirtschaftliche Produktion ist deswegen in den vergangenen vier Jahren um 35 Prozent eingebrochen.
Eine schnelle Lösung der wirtschaftlichen Krise Kubas ist kaum zu erwarten, ist Kuba-Kenner Bert Hoffmann überzeugt. Eine Stabilisierung der Wirtschaft sei zwar ein "realistisches Ziel", der Abwanderungstrend könne dadurch aber kaum gestoppt werden. Denn viele weitere Kubaner haben ihre Auswanderungsanträge bereits eingereicht: Der Exodus von Kuba - er geht weiter.
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Quelle: ntv.de