Ostdeutschland stirbt aus Das ist Deutschlands ältester Landkreis


Malerisch, aber menschenleer: Marktplatz von Sangerhausen in Sachsen-Anhalt.
(Foto: IMAGO/Wirestock)
Die ostdeutschen Bundesländer werden immer leerer. Ganze Landstriche überaltern, es fehlt an jungen Eltern. Nirgendwo in Deutschland ist der demografische Wandel so extrem zu spüren wie in einem Landkreis in Sachsen-Anhalt.
Eingebettet zwischen dem Seegebiet Mansfelder Land, dem Naturpark Saale-Unstrut-Triasland, dem Kyffhäuser und dem Harz liegt der Landkreis Mansfeld-Südharz. Eine malerisch schöne Region ganz im Südwesten von Sachsen-Anhalt mit einer über 800 Jahre alten Bergbautradition. Man kann Höhlen und einen riesigen Stausee besuchen, es gibt historische Altstädte und Schlösser; Martin Luther wurde hier geboren.
Das alles scheint nicht zu helfen - der Landkreis stirbt langsam aus. Nirgendwo in Deutschland ist der demografische Wandel so extrem wie hier. In den nächsten 15 Jahren werden im Kreis Mansfeld-Südharz über 20 Prozent weniger Menschen leben als heute, zeigt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung. 2020 waren hier knapp 134.000 Menschen zu Hause, 2040 werden es nur noch 105.000 sein. Seit der Wende hat der Landkreis ein Drittel seiner Einwohner verloren.
Und es ist die älteste Region Deutschlands. Das Durchschnittsalter lag im Jahr 2023 bei knapp 50, in 15 Jahren wird es laut der Bertelsmann-Studie auf 56 Jahre gestiegen sein.
"Haben Mühe, Mitarbeiter zu finden"
Um Wirtschaft, Arbeitsmarkt, Wohlstand und soziale Lage steht es schlecht: Im Zukunftsatlas ist der Landkreis Mansfeld-Südharz auf einem der hintersten Plätze gelandet.
Jahrhundertelang war das Mansfelder Land eines der bedeutendsten Kupferreviere in Europa - kurz nach der Wende 1990 sind die Hütten stillgelegt worden. Tausende Menschen haben ihre Arbeit verloren. Heute hat der Landkreis im bundesweiten Vergleich der kreisfreien Städte und Landkreise eine der höchsten Arbeitslosenquoten überhaupt - sie liegt bei 10,2 Prozent.
Doch Arbeitgeber wie die Großbäckerei Aryzta in Eisleben haben Schwierigkeiten, Angestellte zu finden. "Die Arbeitskräftesituation ist durchaus angespannt. Wir haben wirklich Mühe, Mitarbeiter hier aus der Region zu ziehen", berichtet Bäckerei-Chef Klaus Fektenheuer im MDR.
Bevölkerungsschwund in Sachsen-Anhalt am höchsten
Eine demografische Krisenregion - und es ist nicht die einzige in Deutschland. Insgesamt wächst die Bevölkerung der Bundesrepublik zwar - bis 2040 um 0,6 Prozent, so die Bertelsmann-Berechnung. In Sachsen-Anhalt sieht es allerdings düster aus. Hier wird die Einwohnerzahl um rund 12 Prozent schrumpfen, auf 1,90 Millionen Menschen.
Thüringen wird demnach gut 11 Prozent weniger Einwohner haben. In Mecklenburg-Vorpommern wird die Bevölkerungszahl um rund 7 Prozent zurückgehen. Auch in Sachsen und in Brandenburg geht die Kurve nach unten. In Westdeutschland sieht die Lage größtenteils anders aus, nur im Saarland schrumpft die Bevölkerung sowie in einzelnen westdeutschen Landkreisen.
Welche Landkreise neben dem Kreis Mansfeld Südharz besonders zu kämpfen haben, erklärt Hannah Amsbeck, Projektmanagerin bei der Bertelsmann Stiftung, im ntv-Podcast "Wieder was gelernt". "Die Landkreise mit den höchsten Bevölkerungsrückgängen sind Greiz in Thüringen, der Erzgebirgskreis in Sachsen, Saalfeld-Rudolstadt ebenfalls in Thüringen, Anhalt-Bitterfeld in Sachsen-Anhalt, Altenburger Land in Thüringen und auch der Spree-Neiße-Kreis in Brandenburg."
"Es wird weniger geboren als gestorben"
Seit Jahrzehnten schon schrumpft die Bevölkerung im Osten. Vergangenes Jahr ist die Bevölkerungszahl dort um 0,3 Prozent auf 12,4 Millionen geschrumpft, geht aus aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamts hervor. Die Länder mit den größten Bevölkerungsverlusten sind demnach Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt. In den westlichen Bundesländern dagegen lebten 67,5 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner, ein Plus von 0,2 Prozent.
Mit der Wiedervereinigung sind sehr viele junge Leute von Ost- nach Westdeutschland umgezogen, sagt Amsbeck, "die fehlen jetzt, um Kinder zu bekommen". Dadurch sei das Durchschnittsalter in Ostdeutschland auch höher als in Westdeutschland. "Wenn ich keine junge Frau habe, die noch in der Lage ist, Kinder zu bekommen, wird man die Geburtenzahl auch nicht steigern können."
Heute sei Abwanderung nicht mehr das Problem der östlichen Bundesländer, weiß die Expertin. "Es liegt an der Altersstruktur, dass die Regionen Bevölkerungsverluste zu verbuchen haben. Und vor allen Dingen daran, dass weniger geboren als gestorben wird."
Nur Städte wie Berlin oder Leipzig wachsen
Nach dem Mauerfall hat es in Ostdeutschland einen dramatischen Geburtenrückgang gegeben, schreibt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. In den 1990er Jahren hat sich die Geburtenrate etwa halbiert: 1994 sind weniger als 80.000 Kinder zur Welt gekommen, vorher waren es pro Jahr etwa 200.000.
Die wenigen Babys und die Abwanderung sorgen dafür, dass in Ostdeutschland heute fast eine ganze Generation fehlt, so das Institut. Das wiederum wirkt sich auch auf den Arbeitsmarkt aus: Es fehlen Auszubildende und Arbeitskräfte. Und somit auch junge Leute, die heute wieder Eltern werden könnten.
Die Ausnahmen machen die Ballungsräume im Osten aus - vor allem einzelne Städte wachsen. Die Bevölkerung in Berlin steigt laut Bertelsmann noch mehr an als in den anderen Stadtstaaten Bremen und Hamburg - um knapp sechs Prozent in den kommenden 15 Jahren. In Dresden kommen knapp zwei Prozent Einwohner dazu und in Potsdam rund elf Prozent. Leipzig sei mit einem Zuwachs von knapp fünfzehn Prozent "sogar bundesweit die kreisfreie Stadt, die die höchsten Zuwächse zu verbuchen hat", sagt Ambeck im Podcast.
Und Brandenburg profitiere durch seine Nähe zu Berlin. "Fast alle Kreise, die um Berlin herum liegen, haben bis 2040 Bevölkerungszuwächse zu verbuchen." Das deutlichste Plus mit 3,6 Prozent gebe es im Landkreis Teltow-Fläming südlich der Hauptstadt, so die Expertin.
Ideen gegen das Ost-Sterben
Wie kann man verhindern, dass Regionen wie der Landkreis Mansfeld-Südharz aussterben? Die stärkste Lösung sei Zuwanderung aus den westlichen Bundesländern oder aus dem Ausland, meint das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Dafür müsse Ostdeutschland aber viel attraktiver werden.
Forscher vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung haben sich Regionen von Mecklenburg-Vorpommern bis nach Thüringen angeschaut, die etwas dafür tun, dass die jungen Leute bleiben. Was hilft, seien Angebote, die in vielen Orten wegbrechen: Jugendclubs, Nahverkehr, Studien- und Ausbildungsplätze. Weil vielen Regionen das Geld dafür fehlt, brauche es kreative Ansätze.
So wie in der Stadt Guben im Landkreis Spree-Neiße in Brandenburg. Seit den 1980er Jahren wird die Stadt immer leerer. In den kommenden 15 Jahren wird die Bevölkerung laut Bertelsmann um noch einmal 17 Prozent schrumpfen.
Vergangenes Jahr hat Guben eine Wohnaktion gestartet, um neue Einwohner anzulocken: mit kostenloser möblierter Wohnung, in der man probewohnen konnte. Eine Idee mit Erfolg: 10 von 16 Interessenten wollen in der Stadt bleiben. Das rettet den Osten zwar nicht, aber solche positiven Beispiele könnten andere Kommunen inspirieren.
Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Welche Region schickt nur Verlierer in den Bundestag? Warum stirbt Ostdeutschland aus? Wieso geht dem Iran das Wasser aus? Welche Ansprüche haben Donald Trump und die USA auf Grönland?
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Quelle: ntv.de