100-Tage-Programm angekündigt Macron will Nation zusammenführen - Kritik ungebrochen
18.04.2023, 08:35 Uhr Artikel anhören
Macron wandte sich in einer TV-Ansprache an die Bevölkerung.
(Foto: picture alliance / abaca)
Frankreichs Staatschef Macron hält unbeirrt an der umstrittenen Rentenreform fest, bemüht sich aber um eine Art Neuanfang. Bis zum Nationalfeiertag will er das Land in einem Kraftakt voranbringen. Erneut reicht er dabei auch den Gewerkschaften die Hand - und wird wieder abgewiesen.
Nach den monatelangen Protesten in Frankreich gegen die Rentenreform will Präsident Emmanuel Macron das Land mit einem 100-Tages-Programm wieder zusammenführen. Ministerpräsidentin Elisabeth Borne soll Vorschläge zu Arbeitsbedingungen, Sicherheit, Bildung und Gesundheitsfragen vorlegen. "Wir müssen am 14. Juli Bilanz ziehen können", sagte er in einer Fernsehansprache unter Verweis auf den französischen Nationalfeiertag. "Vor uns liegen 100 Tage der Beschwichtigung, der Einheit, des Ehrgeizes und des Handelns für Frankreich."
Er kündigte für die kommenden hundert Tage zahlreiche Vorhaben an, die das Leben der Franzosen verbessern sollten. Dazu zählen "grüne" Industrievorhaben, mehr Sicherheitskräfte auf dem Land, mehr Schulsport sowie ein verstärkter Kampf gegen die illegale Einwanderung. So wie er sich dafür eingesetzt habe, die Pariser Kathedrale Notre-Dame innerhalb von fünf Jahren wieder aufzubauen, werde er sich jetzt um die Nation kümmern, versprach er.
"Einfach eine Art Leere"
Macron erklärte sein Bedauern, dass die Rentenreformen nicht von einer breiten Mehrheit getragen werde. Zugleich betonte er: "Die Änderungen waren notwendig, um die Rente für alle zu sichern und mehr Wohlstand für die Nation zu schaffen." Er bot an, "von morgen an die Sozialpartner zu empfangen, also diejenigen, die dazu bereit sind". Erstmals erwähnte Macron ausdrücklich die Massenproteste, die "in der übergroßen Mehrheit friedlich" verliefen. "Niemand - und ich am wenigsten - kann taub bleiben angesichts dieser Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit", sagte der Präsident.
In einer ersten Reaktion erklärte der Chef der größten Gewerkschaft des Landes, Laurent Berger von der CFDT, die Rede habe nicht die Wut der Menschen im Land angesprochen. "Da ist einfach eine Art Leere, sie enthält nichts, wir haben etwas anderes erwartet", sagte er. Die Gewerkschaften haben erklärt, ohne eine Rücknahme der umstrittenen Rentenreform werde es keine Gespräche mit der Regierung über andere Themen geben.
Am Freitag hatte der Verfassungsrat die Reform in ihrem Kern gebilligt. Sie war von Borne mit einem verfassungsrechtlichen Kniff ohne eine Abstimmung durch das Parlament gebracht worden. Umfragen zufolge lehnt eine große Mehrheit der Franzosen die Änderungen ab.
Kritik auch aus dem Kabinett
Die Rechtspopulistin Marine Le Pen von der Partei Rassemblement National warf Macron eine "weltfremde und stumpfe" Politik vor. Seine Amtszeit sei geprägt von "Misstrauen, Gleichgültigkeit und Brutalität". Wenn Macron die Rentenreform zurückgezogen oder ein Referendum dazu angesetzt hätte, hätte er "die Verbindung zu den Franzosen neu knüpfen können", urteilte Le Pen. Stattdessen habe er "entschieden, ihnen erneut den Rücken zuzukehren".
Der Chef der linkspopulistischen Partei La France Insoumise (LFI), Jean-Luc Mélenchon, kommentierte Macrons Rechtfertigung der Anhebung des Renteneintrittsalters: "Realitätsfremder Macron. Völlig jenseits der Realität steht er zum Diebstahl von zwei Jahren Freiheit."
Selbst innerhalb von Macrons Regierung gibt es offenbar Kritik am Vorgehen des Präsidenten. Der Präsident müsse "mehr Zeit vor Ort" verbringen, sagte ein Kabinettsmitglied, das anonym bleiben wollte, mit Blick auf die landesweiten Proteste gegen die Rentenreform. In einem Kommentar der Zeitung "Le Monde" hieß es: "Emmanuel Macron ist lange noch nicht fertig damit, mit der sozialen und politischen Krise umzugehen, die er weiterhin gefährlich befeuert."
Quelle: ntv.de, jwu/rts/AFP