Beauftragter für Antisemitismus Massiver "Judenhass in Deutschland" besorgt Klein
07.11.2023, 16:28 Uhr Artikel anhören
Deutschland habe sich zu lange auf seiner Erinnerungskultur ausgeruht, sagt Felix Klein, der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung. Auch deshalb sei das Holocaust-Gedenken immer wieder Ziel von Angriffen. Von extremen Rechten - aber auch aus der Mitte der Gesellschaft.
Vor dem 85. Jahrestag der antijüdischen Pogrome vom 9. November 1938 hat sich der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, bestürzt über die aktuelle Lage im Land geäußert. "Was wir seit dem 7. Oktober sehen, ist Judenhass auf einem in Deutschland seit Jahrzehnten nicht mehr dagewesenen Niveau", sagte er in Berlin mit Blick auf antisemitische Vorfälle etwa bei Demonstrationen nach dem Terrorangriff der islamistischen Hamas auf Israel.
Anlass war die Vorstellung eines von der Amadeu Antonio Stiftung erstellten "Zivilgesellschaftlichen Lagebilds Antisemitismus". Darin geht es schwerpunktmäßig um Antisemitismus von rechts und Angriffe auf Gedenkstätten und Erinnerungsorte. Expertinnen und Experten warnten bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Klein davor, angesichts der aktuellen Vorfälle dieses Problem aus den Augen zu verlieren. Ziel der extremen Rechten sei es, die deutsche Geschichte umzuschreiben. "Orte des Gedenkens und des Erinnerns werden geschändet und zerstört. Es wird versucht, das Erinnern an die Zeit des Nationalsozialismus zu erschweren oder zu unterbinden", heißt es in dem 24-seitigen Papier. Diese Angriffe seien schuld daran, dass die Gedenkkultur in Deutschland Risse bekomme.
Der Antisemitismusbeauftragte kritisierte, Deutschland habe sich zu lange ausgeruht und selbst gelobt für seine Erinnerungskultur. Wissen über den Holocaust müsse immer wieder neu erarbeitet werden. Der aktuelle Fokus auf Antisemitismus bei Muslimen dürfe nicht vom Antisemitismus in der Mitte der Bevölkerung ablenken, sagte die Rechtsextremismusforscherin Beate Küpper.
Deborah Hartmann, Direktorin der Gedenk- und Bildungsstätte "Haus der Wannsee-Konferenz", warnte, die "Erinnerungsabwehr" sei längst vom rechten Rand in die bürgerliche Mitte gewandert. "Wir können also keinesfalls von einem erinnerungskulturellen Konsens sprechen. Dieser ist in weiten Teilen der Gesellschaft so fragil wie schon lange nicht mehr."
"Gift des Antisemitismus existiert noch immer"
Jüdinnen und Juden in Deutschland befänden sich seit einem Monat im Ausnahmezustand, sagte Klein mit Blick auf die aktuelle Situation. An späterer Stelle versicherte er: Es sei aber nicht das Jahr 1938. "Das Gift des Antisemitismus existiert zwar noch immer, es zeigt sich gerade jetzt besonders stark. Aber im Jahr 2023 leben wir in einer gefestigten Demokratie mit einem Rechtsstaat, der sich schützt und verteidigt."
"Wir müssen Jüdinnen und Juden die absolute Gewissheit geben, dass 2023 nicht 1938 ist", sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser dem "Handelsblatt". In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 hatten Nazi-Schlägertrupps in Deutschland Geschäfte zerstört und Synagogen in Brand gesetzt. Jüdinnen und Juden wurden misshandelt, willkürlich verhaftet und getötet. "Das ist mehr als eine historische Verantwortung. Es ist unser Selbstverständnis von Menschlichkeit und Zusammenhalt."
Mit Blick auf antisemitische Vorfälle bei pro-palästinensischen Demonstrationen pochte die SPD-Politikerin auf Konsequenzen. "Wer Freiheitsrechte derart missbraucht, um Straftaten und Hass zu propagieren, kann sich nicht auf den Schutz der Meinungsfreiheit berufen", so die Ministerin. "Wer die unmenschlichen Taten der Hamas relativiert oder gutheißt, stellt sich gegen unsere Werte und gegen unser Recht und muss sich dafür verantworten." Sie versicherte, die jüdische Gemeinschaft könne auf die Hilfe des Staates zählen. "Aber wir müssen auch als Gesellschaft noch lauter werden und uns dem Hass gegen Jüdinnen und Juden noch deutlicher entgegenstellen."
Quelle: ntv.de, tsi/dpa