Politik

"Es gibt andere Indikatoren" Mit der "Betten-Inzidenz" will Weimar öffnen

Lockdown in Weimar: Der Theaterplatz ist menschenleer.

Lockdown in Weimar: Der Theaterplatz ist menschenleer.

(Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild)

Die Stadt Weimar liegt mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von etwa 60 über der Grenze, die einen weiteren Öffnungsschritt möglich macht. Oberbürgermeister Peter Kleine würde trotzdem gern öffnen. "Wir halten die 50er-Inzidenz als Hopp oder Top für einen Fehler", sagt er im Interview mit ntv.de.

ntv.de: Sie wollen ab dem kommenden Montag in Weimar stärker zur Normalität zurückkehren als das vom jüngsten Beschluss der Bund-Länder-Konferenz vorgesehen ist. Was wollen Sie alles öffnen?

Peter Kleine ist parteilos und seit 2018 Oberbürgermeister von Weimar.

Peter Kleine ist parteilos und seit 2018 Oberbürgermeister von Weimar.

(Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild)

Peter Kleine: Wir haben uns ganz bewusst an dem MPK-Beschluss orientiert, der ja auch schon ab dem 8. März bestimmte Lockerungen möglich macht. Das betrifft vor allem die Öffnung des Einzelhandels und den kontaktfreien Sport bis zu zehn Personen im Außenbereich. In Thüringen ist es allerdings so, dass der Lockdown noch den ganzen März über anhalten soll, nur Buchläden und ein paar andere Geschäfte sollen ab dem 15. März wieder öffnen dürfen. Da haben wir gesagt: Mit Blick auf die Inzidenz in Weimar, mit Blick darauf, dass das Gesundheitssystem hier in Weimar nun wirklich nicht am Limit ist und auch mit Blick auf die relativ hohe Impfquote bei den Risikogruppen müssen doch zumindest ein paar leichte Lockerungen möglich sein.

Ministerpräsident Ramelow hat gesagt, regional begrenzte Öffnungen könne es in Erfurt und Nordhausen geben.

Auch wir möchten so schnell wie möglich wenigstens kleine Öffnungsschritte gehen und zeigen, dass ein sicheres Leben wieder möglich ist. Das ist das Ziel, an dem wir jetzt arbeiten.

Und neben den Geschäften betrifft das Theater, Kinos und Außengastronomie?

Nein, nein. Das betrifft zunächst ausschließlich die Bereiche, die im MPK-Beschluss im Öffnungsschritt für den 8. März geplant sind: Einzelhandel, Museen, Galerien, Zoos, Gedenkstätten und den kontaktfreien Außensport von bis zu zehn Personen. Diesen Schritt würden wir gern ab Montag machen. Aber das müssen wir mit dem Freistaat abstimmen, und diese Abstimmungen erfolgen gerade. Die Außengastronomie würden wir gern eine Woche später öffnen, am 22. März.

Das heißt, der zentrale Unterschied zum MPK-Beschluss ist, dass Sie die 50er-Inzidenz etwas weniger streng auslegen und den sogenannten vierten Öffnungsschritt eine Woche früher gehen wollen, statt zwei Wochen zu warten.

Richtig. Wobei wir den dritten Öffnungsschritt gerne schon, wie im MPK-Beschluss vorgesehen, am 8. März vollzogen hätten. Wir halten die 50er-Inzidenz als Hopp oder Top für einen Fehler. Buchläden dürfen öffnen, Kinderschuhe dürfen verkauft werden, aber mehr geht nicht. Das kann man doch keinem erklären. Das war unsere Motivation, an dieser Stelle mal etwas anzustoßen - wohl wissend, dass wir das nicht einfach so machen können, wir müssen das mit dem Freistaat abstimmen. Und da bin ich guter Dinge, dass wir ein gutes Ergebnis hinbekommen. Wir können ja nicht ignorieren, dass der Unmut in der Bevölkerung größer wird. Die besten Regeln nutzen schließlich nichts, wenn die Leute nicht mehr mitmachen. Und es gibt einfach andere Indikatoren als allein die Sieben-Tage-Inzidenz. Aus unserer Sicht ist auch entscheidend, wie viele Corona-Fälle im Krankenhaus liegen.

Sie haben das "Betten-Inzidenz" genannt.

In den Hochzeiten der Pandemie hatten wir bei uns im Sophien- und Hufeland-Klinikum in Weimar etwa 30 bis 35 Patienten in den Covid-Stationen und den Intensivstationen, wobei die schweren Fälle in anderen Krankenhäusern behandelt wurden. Und natürlich wollen wir solch hohe Zahlen nicht wieder haben. Wir haben deshalb - übrigens in Abstimmung mit dem Klinikum - gesagt, wenn die Betten-Inzidenz in Weimar in Richtung 20 Patienten geht, wäre der Moment erreicht, wo man bestimmte Öffnungen wieder zurücknehmen muss. Das sieht ja der Bund-Länder-Beschluss auch vor, dass Lockerungsschritte rückgängig gemacht werden, wenn bestimmte Inzidenzen erreicht werden.

Ihre Betten-Inzidenz von 20 ist gewissermaßen Ihre Notbremse?

Ja. Wobei ich nicht davon ausgehe, dass die Gefahr bei uns nicht besteht. Zumal wir ab Montag ein flächendeckendes Netz an Test-Möglichkeiten in der Weimarer Innenstadt aufrollen, in denen jeder sich freiwillig testen lassen kann.

Woher haben Sie diese Tests? Die gibt es ja noch nicht überall.

Wir haben das Glück, dass es in Weimar eine Firma gibt, die schon seit Monaten Schnelltests herstellt. Dort haben wir 30.000 Tests bestellt, die heute angekommen sind. Weimar hat 66.000 Einwohner, damit kommen wir vermutlich ein bis zwei Wochen durch. Dann bestellen wir nach.

Sie haben es schon angesprochen, die schweren Covid-Fälle liegen nicht in der Klinik in Weimar. Der SPD-Landtagsabgeordnete Thomas Hartung - ein Mediziner - sagt deshalb, man müsse die Krankenhäuser in Jena, Bad Berka und Erfurt in die Überlegungen einbeziehen.

Das Argument ist nicht ganz von der Hand zu weisen - Herr Hartung ist ja auch Mitglied bei uns im Stadtrat. Aber bei einer Betten-Inzidenz von 20 sind auch die schweren Fälle in Jena und Bad Berka noch nicht auf dem Niveau wie zu der Zeit, als im Sophien- und Hufeland-Klinikum 35 Patienten lagen. Mir ist die Betrachtung zu eng, nur auf die Sieben-Tage-Inzidenz zu schauen. Ich glaube, wir dürfen uns in Thüringen und in Weimar etwas mehr trauen - natürlich ohne zu riskieren, die Pandemie zu beschleunigen.

Wie wollen Sie verhindern, dass Shopping-Touristen Ihre Stadt überrennen und es voll wird in den Geschäften? Zumal der Landkreis um Weimar herum eine Inzidenz von 101 hat.

Die Einwohner aus Weimarer Land sind eh schon bei uns. Die Hälfte der Mitarbeiter der Stadtverwaltung kommt aus Weimarer Land. Wichtig ist, dass unser Gesundheitsamt die Kontakt-Nachverfolgung weiterhin gut schafft. Da sind wir gut aufgestellt. Ich finde nicht, dass wir unterscheiden sollten, ob Leute aus Weimar kommen oder von außerhalb. Wenn die Geschäfte sich an die Hygiene-Regeln halten und nur eine Person auf zehn Quadratmeter einlassen, dann funktioniert das auch.

Mit Peter Kleine sprach Hubertus Volmer

Quelle: ntv.de

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