Politik

Neuer Grünen-Chef Habeck Mr. All-In gewinnt den Jackpot

Keine Angst vorm Scheitern: Robert Habeck

Keine Angst vorm Scheitern: Robert Habeck

(Foto: dpa)

Die Grünen wählen Robert Habeck mit einem starken Mandat zum Parteichef. Obwohl, oder vielleicht gerade weil er viel riskiert. Für Habeck ist es ein Doppeltriumph - denn auch Annalena Baerbock setzt sich klar durch.

Kompromisslos ist Robert Habeck sicher nicht. Der grüne Energiewende-Minister aus Schleswig-Holstein ist ein nachdenklicher, wortgewandter Typ. Er wirbt dafür, einen offenen Geist zu bewahren, um immer auch Widersprüche im eigenen Denken erkennen zu können. Das Agieren in politischen Lagern oder taktischen Flügeln will er überwinden. Geht es um seine persönliche politische Karriere, gibt sich der 48-jährige, gebürtige Lübecker mitunter rigoros. Ganz oder gar nicht. Wenn, dann All-In.

Beim Parteitag der Grünen in Hannover setzt sich Habeck damit durch. Die Partei wählt ihn mit 83,3 Prozent zum neuen Vorsitzenden. Ein starkes Ergebnis, trotz oder vielleicht auch gerade wegen des Risikos, das er einzugehen bereit ist.

Delegierte fühlen sich erpresst

Habeck nahm in Kauf, die Trennung von Amt und Mandat, die seit Gründungstagen in der Grünen-Satzung verankert ist, aufzuweichen. Eigentlich hätte er sein Amt als Minister in Schleswig-Holstein umgehend aufgeben müssen, wenn er an die Parteispitze drängt. Weil er das nicht wollte, forderte er eine Satzungsänderung, die eine ungewöhnlich lange Übergangsfrist vorsieht. Es war seine Bedingung für die Kandidatur. "Ich brauche diese acht Monate. Und wenn die nicht durchkommen, dann kann ich morgen nicht kandidieren", sagte er am Freitagabend, als die Partei über die Satzungsänderung abstimmte.

Einige Grüne fühlten sich in dieser Grundsatzfrage durch Habeck erpresst. Bei den bekanntlich recht eigenwilligen Delegierten hätte das schiefgehen können. Doch das Gegenteil geschah: Sie stimmten der Satzungsänderung mit deutlicher Mehrheit zu und straften ihn auch bei der Vorsitzendenwahl nicht dafür ab, sie in dieses Dilemma getrieben zu haben.

Keine Angst vor Fallhöhe

Eine gewisse Risikobereitschaft kann man schon aus seiner Studienwahl ableiten, wenn man denn möchte. Habeck studierte Philosophie und Literaturwissenschaft, sicher keine sichere Bank, wenn es um ein geregeltes Einkommen geht. Nach der Promotion wurde Habeck Schriftsteller und schrieb zusammen mit seiner Frau mehrere Bücher. Das mag Quatsch sein, dürfte aber genauso wie sein Hobby Surfen zumindest ein wenig zu seinem Image beitragen: des Unkonventionellen.

Zu den Grünen kam er spät als Quereinsteiger, machte aber umso schneller Karriere: vom Kreisvorsitzenden in Schleswig-Flensburg zum Landesminister in kaum einem Jahrzehnt. Diese Biografie, so sagte er einmal, nehme ihm die Angst vor der Politik: "Ich hatte ein Leben vor der Politik, und ich weiß darum, dass es auch ein Leben nach der Politik geben kann. Das gibt mir eine innere Freiheit."

Für die Bundestagswahl stellte Habeck sich zur Urwahl der Spitzenkandidaten auf. Er verzichtete auf einen sicheren Platz auf der Landesliste Schleswig-Holstein, obwohl das gar nicht nötig gewesen wäre. Ganz oder gar nicht, wieder einmal. Damals scheiterte er knapp an Cem Özdemir, den er jetzt an der Parteispitze beerbt.

In der Partei gilt Habeck bei einigen als dickköpfig, als einer, der die Fallhöhe, der das Drama gern zelebriert. Geschadet hat ihm das bisher nicht.

Erstmals eine Realo-Doppelspitze

Zu einer gewissen Sehnsucht nach Fallhöhe passt auch sein Bewerbungsschreiben für den Parteivorsitz: Wohlwissend, dass er als Vertreter des Realoflügels besonders um linke Grüne werben müsste, schrieb er gleich im ersten Absatz: "Der großen Dynamik der Veränderung in fast allen Lebensbereichen steht die parteitaktische Lagerfixierung gegenüber. Das Parteiengefüge spiegelt aber offenbar nicht mehr die gesellschaftliche Lage wider." Kurz gesagt, die Grünen sollten endlich ihr unzeitgemäßes Lagerdenken überwinden, an dem vor allem die Linken hängen. Habeck, der deutlichen Rückhalt in der Partei hat, provozierte damit jedoch keine Überreaktion jener, die noch strikt an der Flügelarithmetik festhalten wollen.

Als Ausgleich für seine Wahl hätten die Grünen Habeck die linke Kandidatin Anja Piel aus Prinzip an die Seite stellen können. Das taten die Delegierten aber nicht. Die im Bund eher unbekannte Piel tat sich bei ihrer Bewerbungsrede für den zweiten Vorsitzendenposten schwer. Eine Erkältung quälte sie, ihre Stimme verließ sie oft, sie musste husten, mehrmals unterbrechen, um Wasser zu trinken. Ihr gegenüber stand Annalena Baerbock, die rhetorisch brillierte und ohnehin als gewiefte Fachpolitikerin in der Partei bekannt ist. Die Grünen stellten nicht die innerparteilichen Kräfteverhältnisse in den Vordergrund. Sie stimmten für die Kandidatin, die sie als Beste für die Partei hielten.

Habeck sagte nach der Wahl, es gebe eine neue Geschlossenheit. An den Debatten beim Parteitag merke man, "dass die Partei gerade zusammenrückt, dass da was Neues passiert". Die Grünen haben erstmals in ihrer Geschichte eine Doppelspitze aus Realos gewählt. Flügeldenken überwunden? Ein Stück weit. Es steht zumindest die Frage im Raum, ob das mit einem anderen Kandidaten als Habeck geklappt hätte.

Quelle: ntv.de

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