Politik

Wende im US-Bürgerkrieg Nach Gettysburg war die Offensivkraft des Südens erschöpft

Gefallene Soldaten der Union wenige Tage nach Ende der Schlacht von Gettysburg.

Gefallene Soldaten der Union wenige Tage nach Ende der Schlacht von Gettysburg.

(Foto: IMAGO/piemags)

Im Sommer 1863 tobt bei der Kleinstadt Gettysburg die blutigste Schlacht des amerikanischen Bürgerkrieges. Für den damaligen US-Präsidenten Abraham Lincoln ist das dreitägige Gemetzel der Anlass für seine berühmteste Rede. Bis heute hat die Schlacht einen festen Platz in der Erinnerungskultur der USA.

Es sollte nur ein kurzer Auftritt werden: Am 19. November 1863 reiste US-Präsident Abraham Lincoln anlässlich der Einweihung des neuen Soldatenfriedhofs nach Gettysburg. Fünf Monate zuvor tobte rund um die Kleinstadt im Bundesstaat Pennsylvania die blutigste Schlacht des amerikanischen Bürgerkrieges. Lincoln sprach zwei Minuten lang zu den versammelten Gästen.

Mit seiner Gettysburg Address umriss Lincoln das amerikanische Demokratieverständnis. Zahlreiche Persönlichkeiten wie Martin Luther King und John F. Kennedy nahmen später auf sie Bezug.

Mit seiner Gettysburg Address umriss Lincoln das amerikanische Demokratieverständnis. Zahlreiche Persönlichkeiten wie Martin Luther King und John F. Kennedy nahmen später auf sie Bezug.

(Foto: AP)

In seiner kurzen Ansprache forderte er seine Landsleute auf, darauf zu schwören, "dass diese Toten nicht vergebens gestorben sein mögen, dass diese Nation, unter Gott, eine Wiedergeburt der Freiheit erleben und dass die Regierung des Volkes, durch das Volk und für das Volk, nicht von der Erde verschwinden möge."

Der Applaus des Publikums fiel verhalten aus und auch Lincoln war, wohl aufgrund der Kürze seines Auftritts, nicht zufrieden. "Es war ein totaler Reinfall", soll er später gesagt haben. Da konnte er noch nicht ahnen, dass seine Rede in die Geschichte eingehen würde. Bis heute prägt sie das Selbstverständnis der USA.

"Lincolns Gettysburg Address ist eines der wichtigsten politischen Dokumente des 19. Jahrhunderts. Seine Rede ist praktisch eine Erneuerung des Demokratie- und Freiheitsversprechens der Vereinigten Staaten", sagt Georg Schild, Professor für Nordamerikanische Geschichte an der Universität Tübingen, im Gespräch mit ntv.de. Ohne den Sieg der Union bei Gettysburg hätte der Auftritt des Präsidenten aber wohl niemals stattgefunden. "Gettysburg war eine der entscheidenden Schlachten des amerikanischen Bürgerkrieges. Manche Historiker sind der Meinung, dass die Südstaaten einem Sieg niemals so nahe waren."

"Die Kosten des Krieges sollten in die Höhe getrieben werden"

Der Bürgerkrieg zwischen den abtrünnigen Südstaaten und dem Norden tobte bereits seit 1861. Im dritten Kriegssommer machte sich auf beiden Seiten Erschöpfung breit. "Dem Süden fiel es immer schwerer, seine Verluste zu ersetzen, während man im Norden befürchtete, dass die Bevölkerung kein Interesse an einem langwierigen Krieg für ein so abstraktes Ziel wie die Wiederherstellung der Union hat", so Schild. In dieser Situation kam der konföderierte General Robert E. Lee zu der Überzeugung, dass nur eine Invasion in den Norden die Unabhängigkeit der sklavenhaltenden Südstaaten sichern würde.

Die Stadt Gettysburg wurde nur durch Zufall Schauplatz der Kämpfe, weil sie an einer Kreuzung mehrerer Straßen lag. Aufnahme aus dem Jahr 1863.

Die Stadt Gettysburg wurde nur durch Zufall Schauplatz der Kämpfe, weil sie an einer Kreuzung mehrerer Straßen lag. Aufnahme aus dem Jahr 1863.

(Foto: IMAGO/piemags)

"Ziel war vermutlich die Besetzung von Pennsylvanias Hauptstadt Harrisburg oder die Belagerung von Washington", sagt Schild. "Lee wollte deutlich machen, dass Lincoln von einem militärischen Sieg noch weit entfernt ist. Die Kosten des Krieges sollten in die Höhe getrieben werden, um den Norden zu Friedensgesprächen zu bewegen."

Dabei ignorierte Lee den miserablen Zustand seiner Truppen. Die Nord-Virgina-Armee war die am schlechtesten ausgerüstete und versorgte Streitmacht in der Geschichte des 18. und 19. Jahrhunderts. Auch zahlenmäßig war Lee mit knapp 80.000 Mann der nordstaatlichen Potomac-Armee mit etwa 115.000 Mann unterlegen.

Dennoch setzte er sich Anfang Juni durch das Shenandoah-Tal Richtung Pennsylvania in Bewegung. Rund drei Wochen später erfuhr Lee, dass die Potomac-Armee ihm bereits dicht auf den Fersen war. Sofort befahl er seinen verstreuten Kolonnen, sich bei Gettysburg zu sammeln, auf das ein Dutzend Straßen aus allen Himmelsrichtungen zuliefen.

Kleines Gefecht entwickelt sich zur Schlacht

Am frühen Morgen des 1. Juli 1863 traf eine konföderierte Brigade auf dem Marsch in die Stadt auf die Vorhut der Potomac-Armee. Was als kleines Gefecht begann, entwickelte eine Eigendynamik, als immer mehr Einheiten beider Armeen Gettysburg erreichten.

Lee war der erfolgreichste General der Konföderation. Er wusste, dass der Süden einen langen Krieg nie würde bestehen können. Der Angriff auf Gettysburg sollte eine Entscheidung erzwingen.

Lee war der erfolgreichste General der Konföderation. Er wusste, dass der Süden einen langen Krieg nie würde bestehen können. Der Angriff auf Gettysburg sollte eine Entscheidung erzwingen.

(Foto: picture alliance / akg-images)

Lee hatte seinen Kommandeuren eingeschärft, nicht den Kampf zu suchen, bevor die Armee nicht vereinigt war. Als er am Nachmittag auf dem Schlachtfeld erschien, änderte er seine Meinung und warf alle verfügbaren Einheiten nach vorne.

Daraufhin gaben die Unionstruppen nach und flüchteten auf den Cemetery Hill südöstlich der Stadt. Gettysburg war nun in der Hand der Konföderierten. Doch Lee wusste, dass die Schlacht nicht beendet war, solange der Feind das erhöhte Gelände hielt.

Unionstruppen halten die Höhen

Auf keinem ehemaligen Schlachtfeld finden sich heute so viele Denkmäler wie in Gettysburg. Insgesamt sind es etwa 400 - für die Nord- und die Südstaaten.

Auf keinem ehemaligen Schlachtfeld finden sich heute so viele Denkmäler wie in Gettysburg. Insgesamt sind es etwa 400 - für die Nord- und die Südstaaten.

(Foto: imago images/James Kirkikis)

Am nächsten Tag befahl Lee, die Flanken der Union zu attackieren. Doch die Attacken waren schlecht koordiniert. Den Nordstaatlern gelang es, entstandene Löcher in ihren Linien rasch zu stopfen. Auf dem Little Round Top bildete das 20. Maine Regiment den äußersten linken Flügel der Union. Als der Einheit die Munition ausging, führten die Verteidiger mit ihren leeren Musketen eine Bajonettattacke durch und trieben die Rebellen zurück. Bei Einbruch der Dunkelheit befand sich die Potomac-Armee weiterhin auf den Anhöhen südöstlich der Stadt.

Frontalangriff entwickelt sich zum Desaster

Der zweite Tag der Schlacht war nicht so verlaufen, wie Lee es geplant hatte. Doch noch gab er sich nicht geschlagen. Nun plante er einen Frontalangriff auf das Zentrum der Union. Lee glaubte offensichtlich, dass sein Gegenspieler George Meade Truppen aus seiner Mitte abgezogen hatte, um die Flanken zu stärken. Tatsächlich war der Cemetery Ridge weiterhin stark besetzt.

Geste der Versöhnung: Zum 50. Jahrestag der Schlacht reichten sich Veteranen beider Seiten in Gettysburg die Hände.

Geste der Versöhnung: Zum 50. Jahrestag der Schlacht reichten sich Veteranen beider Seiten in Gettysburg die Hände.

(Foto: IMAGO/piemags)

Am 3. Juli um kurz nach 15 Uhr marschierten etwa 12.500 Südstaatler in einer eineinhalb Kilometer breiten Linie über offenes Feld auf die verschanzten Unionsregimenter zu. Schon nach wenigen Metern riss das konzentrierte Abwehrfeuer breite Lücken in die Formationen. Nur einige Hundert Rebellen erreichten die Steinmauer auf dem Höhenkamm, wo sie im Nahkampf zurückgeworfen wurden. Die Schlacht war verloren. Zwei Tage später begann Lees Armee im strömenden Regen den Rückmarsch nach Virginia.

Lagekarte: Tag 3 der Schlacht bei Gettysburg (Anklicken für Vollbildansicht).

Lagekarte: Tag 3 der Schlacht bei Gettysburg (Anklicken für Vollbildansicht).

(Foto: Map by Hal Jespersen, www.cwmaps.com (CC BY 3.0))

Gettysburg war die verlustreichste Schlacht des amerikanischen Bürgerkrieges: Etwa 23.000 Mann der Union wurden getötet, verwundet oder galten als vermisst. Die Nord-Virgina-Armee verlor zwischen 23.000 und 28.000 Mann, ein Verlust, von dem sie sich nie mehr erholte. Trotz der konföderierten Niederlage tobte der Krieg noch zwei weitere Jahre.

"Nach Gettysburg war ein militärischer Sieg für die Konföderation nicht mehr möglich, zumal Unionstruppen am 4. Juli Vicksburg am Mississippi eroberten. Damit war die Konföderation in zwei Teile geteilt", erzählt Schild. "Nach Gettysburg war die Offensivkraft des Südens erschöpft. Insofern kann man die Schlacht als Wendepunkt des Krieges bezeichnen."

Denkmäler für den Norden und den Süden

Mit Ende des Krieges wurden Gettysburg und der Konflikt im allgemeinen Gegenstand verschiedener Interpretationen. Für Unionsveteranen stand die Schlacht zunächst für den Kampf Gut gegen Böse, während der Süden das Bild eines heldenhaften Kampfes gegen eine feindliche Übermacht zeichnete. Mit der Zeit wurde der Krieg zu einer Auseinandersetzung zweier Landesteile zur Schaffung einer geeinten Nation umgedeutet. Der Aspekt der Sklavenbefreiung rückte in den Hintergrund.

"Wenn man sich heute das Schlachtfeld von Gettysburg ansieht, dann findet man Denkmäler sowohl für die Gefallenen des Nordens als auch des Südens", sagt Schild. "Beide Seiten werden gelobt für den Heroismus, mit dem sie gekämpft haben. Obwohl das schwer nachvollziehbar ist, denn die Südstaatler traten für die Spaltung der Union und für die Aufrechterhaltung der Sklaverei ein."

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Lincoln brachte mit seiner Gettysburg-Rede das amerikanische Demokratieverständnis auf den Punkt. Bis heute lernt jedes Schulkind in den USA sein Plädoyer für Freiheit und Demokratie auswendig. Zahlreiche Politiker und Persönlichkeiten wie John F. Kennedy oder Martin Luther King nahmen später auf den Text Bezug.

"Mittlerweile wird Gettysburg als mahnendes Beispiel für die inneren Konflikte der USA gesehen", so Schild. "Gleichzeitig ist mit der Schlacht und Lincolns Rede die Vorstellung verbunden, dass es trotz unterschiedlicher Auffassungen und ehemaliger Gegnerschaft Hoffnung auf Heilung und Versöhnung gibt."

(Dieser Artikel wurde am Samstag, 01. Juli 2023 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de

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