
Am Checkpoint von Bethlehem kommt es immer wieder zu Unruhen.
Wegen der Jerusalem-Diskussion sind viele Palästinenser wütend, einige reagieren mit Gewalt. Auf einer Tour in Bethlehem zeigt sich, wie schwierig die Lage, wie gespalten die palästinensische Gemeinschaft ist. Es heißt auch, viele seien bereit, bis zum Umfallen zu kämpfen.
Hunderte Meter ist der Weg durch den Kontrollpunkt lang, den man zu Fuß durchqueren muss, um nach Bethlehem zu gelangen. Die militärische Anlage wirkt einschüchternd. Grauer Beton, Wachtürme, Stacheldraht. Die hohe Betonmauer bestimmt die Szenerie, wenn man den militärischen Checkpoint 300 nahe Bethlehem passiert. Die Mauer wurde Anfang 2002 von der israelischen Regierung gebaut, um Attentäter aus dem Westjordanland daran zu hindern, in Israel Terroranschläge zu begehen.
Mehrere Meter hoch ist die "Sperranlage", die an dieser Stelle voll mit Graffiti und Botschaften aus aller Welt ist. Künstler kommen hierher, um ihre Solidarität mit den Palästinensern zu zeigen, indem sie sich auf dem Beton verewigen. In der Nähe steht auch das neu eröffnete "The Walled off Hotel" des Street-Art-Künstlers Banksy. Das Besondere: Die Hotelzimmer haben Fenster mit direktem Blick auf die Mauer. Derzeit ist das Hotel ausgebucht, wie eine Mitarbeiterin n-tv.de erklärt. Es ist vermutlich das einzige im Raum Betlehem. Das weiß auch Taxifahrer Tawfek zu berichten.
Er ist Palästinenser und lebt schon sein Leben lang in Bethlehem. Er bietet hier am Checkpoint seine Fahrdienste an. So wie zehn andere Fahrer, die vergebens auf Kunden warten. "Derzeit ist es sehr schwierig. Seit der Anerkennung Jerusalems durch Trump kommen nur noch sehr wenige, fast gar keine Touristen mehr in unsere Stadt - das ist für uns Taxifahrer, Händler und Guides natürlich sehr schwierig", klagt er. Viele Touristen empfinden die Situation als ernst, schließlich ist es gerade hier in den Tagen nach Donald Trumps Statement, Jerusalem als Israels Hauptstadt anzuerkennen, zu heftigen Ausschreitungen gekommen. Wie in vielen Teilen des Westjordanlandes gehen Palästinenser auf die Straße und liefern sich Straßenschlachten mit israelischen Militärs, die die Checkpoints nach Israel und zu israelischen Siedlungen in unmittelbarer Nähe kontrollieren.
Auf der Hebron Road sieht man die Spuren
Seit Tagen vermummen sich junge Männer und randalieren auf der Hebron Road. Sie werfen Steine und andere Gegenstände, die sich als kleine Waffen eignen. Das bekommt auch Tawfek mit. "Hier vorne siehst du den Müll, den sie hier beim Randalieren gegen die israelischen Soldaten gemacht haben und auch die Luft ist noch vom Tränengas ganz verschmutzt", sagt er, während er auf die Stein- und Metallhaufen auf der Straße zeigt. Die Randalierer könnten auch seine Söhne sein.
Doch er würde seinem Sohn verbieten, sich den Randalierern anzuschließen: "Ich finde es nicht gut, wenn die Leute hier randalieren. Das bringt gar nichts. Steine können doch hier nichts ausrichten. Außerdem bringt uns das auch keine friedliche Lösung."
Tawfek hat schlimme Befürchtungen für die nahe Zukunft: "Viele Palästinenser kämpfen bis zum Umfallen, denn sie haben nichts mehr zu verlieren. Das hier ist sicher die Ruhe vor dem Sturm." Dass Jerusalem als Hauptstadt Palästinas de facto ausgeschlossen werde, sei für viele einfach zu viel. Damit sei eine Grenze überschritten worden.

Der Schlüssel ist für die Einwohner des UN-Flüchtlingslagers ein wichtiges Symbol.
(Foto: Sonja Gurris)
Er fährt ein paar Minuten in der Stadt umher und macht einen Stopp, holt sich einen kleinen arabischen Kaffee. Er spricht mit ein paar Männern am Straßenrand und findet heraus: "Hier haben sich die Jugendlichen nach der Schule verabredet, um am Checkpoint zu randalieren. Um 13 Uhr werden sie aus der Stadt hierher laufen und dann geht es hier wieder los." Dann fährt der 42-Jährige weiter und gibt Einblicke in das UN-Flüchtlingslager Aida-Camp. Viele junge Menschen, die heute gewaltsam aufbegehren, kennen nur dieses Leben im Flüchtlingslager, weil sie hier geboren wurden. Über dem Eingangstor hängt ein riesiger Schlüssel. "Das ist der symbolische Schlüssel für die Häuser in Jerusalem, die die Flüchtlingsfamilien vor Generationen verlassen mussten." Die Menschen, die hier leben, identifizieren sich besonders mit der Jerusalem-Debatte. Doch fördert eine solche Situation in einem Flüchtlingslager das Potenzial der Gewalt oder der Radikalisierung?

Die Taxifahrer in Bethlehem haben derzeit fast keine Kundschaft. Zu groß ist die Angst vor Unruhen.
(Foto: Sonja Gurris)
"Na ja, wenn sie viel Zeit haben und schlechte Lebensbedingungen, dann kann man schon mal auf ziemlich schlechte Gedanken kommen", antwortet Tawfek. Die Debatte über eine gewaltsame Intifada wird auch in Bethlehem innerhalb der palästinensischen Gemeinschaft stark geführt. "Es gibt diejenigen, die eine gewaltsame Intifada richtig finden und andere, die sie komplett ablehnen, weil sie die Folgen fürchten." Viele Palästinenser fahren jeden Tag über die Checkpoints nach Israel und arbeiten dort. Je schlimmer die Sicherheitslage ist, desto schwieriger werde es auch für sie, durch die Kontrollen zu kommen.
In der Nachbarschaft zur Siedlung
Tawfek fährt hinein ins UN-Lager und hält an. Neben dem Taxi steht ein UN-Fahrzeug und sammelt riesige Müllhaufen zusammen. Dahinter ragt die Betonmauer mit Wachturm empor. Darauf zu sehen sind steinewerfende Intifada-Kämpfer. Es ist ein altes Bild, das wieder an Aktualität gewinnt. In Sichtweite über der Mauer erkennt man die israelische Siedlung Gilo in direkter Nachbarschaft.
An Orten wie diesen ist der jahrzehntealte Nahostkonflikt greifbar und konkret. Taxifahrer Tawfek ist bedrückt wegen der Situation und wünscht sich nur, dass die Politiker irgendwann einmal erfolgreich für einen Frieden verhandeln.
Doch wenn man ihm in die Augen schaut, erkennt man, dass seine Hoffnung schwindet. Trotzdem zeigt er manchen interessierten Touristen auch die andere Seite Bethlehems - nicht die Geburtskirche, sondern einen Ort, der genau offenbart, wie verworren die Situation in diesem Konflikt ist. Am Ende ist es nicht nur ein schlagzeilenträchtiges Konfliktthema, sondern die Realität von Israelis und Palästinensern: Rechts und links der hohen Betonmauer und dem Checkpoint 300.
Quelle: ntv.de