Nicht wie NATO-Doppelbeschluss Pistorius: Debatte über neue US-Waffen nicht zwingend
31.07.2024, 07:29 Uhr Artikel anhören
Die neuen US-Waffen sollen Russland nach der Aussage von Verteidigungsminister Pistorius vor allem aufzeigen, welche Konsequenzen ein Angriff auf NATO-Gebiet hätte.
(Foto: dpa)
Dem NATO-Doppelbeschluss in den 1980er Jahren ging eine breite, kontroverse Diskussion voraus. Der US-Beschluss, in Deutschland nun neue Raketen zu stationieren, wird ohne eine solche verkündet. Kritik daran weist Verteidigungsminister Pistorius zurück, ist für eine Bundestagsbefassung aber offen.
Verteidigungsminister Boris Pistorius hat Kritik am Vorgehen der Bundesregierung bei der Übereinkunft mit den USA über eine Stationierung weitreichender Waffen zurückgewiesen. Es spreche nichts dagegen, über dieses Thema im Bundestag offen zu sprechen, sagte Pistorius am Rande eines Besuchs im US-Bundesstaat Hawaii. "Aber es ist originär kein Thema, was zuvor im Parlament diskutiert werden müsste. Es ist auch nicht vergleichbar mit dem NATO-Doppelbeschluss aus den 80er Jahren. Von daher sollten wir hier die Dinge sorgfältig auseinanderhalten."
Am Rande des jüngsten NATO-Gipfels in Washington hatten die USA und Deutschland die Stationierung von Tomahawk-Marschflugkörpern, SM-6-Raketen und neuen Hyperschallwaffen von 2026 an angekündigt und als Reaktion auf Bedrohungen durch Russland rechtfertigt. Die gemeinsame Entscheidung kam für viele Bundestagsabgeordnete überraschend. Kritik und die Forderung nach einer parlamentarischen Befassung gab es aus mehreren Parteien, auch aus Pistorius' SPD.
Der Minister sagte auf Hawaii, es gehe bei der Stationierung um konventionelle Waffen, die nicht als Waffen mit nuklearen Sprengköpfen vorgesehen seien. "Das muss man zur Beruhigung all derer, die sich hier Sorgen machen, sehr deutlich unterstreichen", sagte Pistorius. Russland verfüge über Waffen dieser und anderer Reichweiten schon seit geraumer Zeit und habe dazu den Rüstungskontrollvertrag INF verletzt und aufgekündigt, der nukleare Mittelstreckensysteme regelt.
Pistorius: Abschreckung, nicht Bedrohung
Bei der Stationierung weiterreichender Waffen mit konventionellen Sprengköpfen gehe es nun um "echte Abschreckung", sagte Pistorius. "Es geht darum, diese Lücke auf unserer Seite zu schließen, nicht um irgendjemandem zu bedrohen, sondern um deutlich zu machen, ein möglicher, ein eventueller Angriff auf NATO-Gebiet, auf NATO-Verbündete hätte für Russland einen so hohen Preis, dass das Risiko nicht mehr kalkulierbar wäre."
In Deutschland hatte 1979 der NATO-Doppelbeschluss zur "Nachrüstung" mit Atomraketen erbitterte Auseinandersetzungen ausgelöst. Er wurde am 12. Dezember 1979 von den Außen- und Verteidigungsministern der NATO gefasst - als Reaktion auf die Aufstellung sowjetischer Raketen des Typs SS-20, die Ziele in Westeuropa erreichen konnten. Zugleich wurden Moskau Gespräche über Rüstungskontrolle angeboten.
Brigadegeneral a.D. Heinrich Fischer bezeichnete "dringend geboten". "Sie setzt im Bündnis ein klares Signal der USA als Führungsmacht und verbessert die Glaubwürdigkeit der Abschreckung durch einen konventionellen Fähigkeitszuwachs", schreibt Fischer im Fachmagazin "Europäische Sicherheit & Technik". Und: "An den Reaktionen aus dem Kreml lässt sich der gestiegene Abschreckungswert ablesen, der durch die beabsichtigte Stationierung dieser Waffenkategorie erzielt werden kann." Fischer war zuletzt Kommandeur der Heeresschulen und Vizechef des Heeresamtes.
General a.D.: "Anhebung der nuklearen Schwelle"
Fischer verweist auf Waffensysteme in der russischen Exklave Kaliningrad, die in Zentraleuropa und im Ostseeraum eine reale Bedrohung für die NATO-Verteidigungsplanung seien. Im Konfliktfall könne eine Verlegung von NATO-Landstreitkräften aus dem Zentrum an die NATO-Ostflanke deswegen nicht zeitgerecht und in der gebotenen Stärke erfolgen. Ein Zusammenbruch der Verteidigung durch die dort schon vorhandenen NATO-Truppen würde beschleunigt. "Einer verschärften Bedrohung in diesem Prozess wäre das Territorium der Bundesrepublik Deutschland in seiner Rolle als strategisch logistische Drehscheibe ausgesetzt", stellt er fest.
Die Waffen sind nach Einschätzung Fischers nötig, um russische Militärpotenziale zerstören zu können, die NATO-Truppen das Eindringen in einen Operationsraum ("Anti Access") oder die Operationsfreiheit im Einsatzraum ("Area Denial") verwehren können. Dieser Kampf wird nach Darstellung des Generals in fünf Phasen geführt. In der ersten Phase des Wettstreits ("Competition") würden feindliche Kräfte vor einer bewaffneten Auseinandersetzung lückenlos überwacht und in einem Konflikt dann schrittweise zerstört, um den eigenen Truppen Handlungsspielräume zu schaffen.
Fischer sieht in der Stationierung eine deutliche Steigerung der konventionellen Fähigkeiten der NATO, die die Glaubwürdigkeit der Abschreckungsstrategie verstärkt "bei gleichzeitiger Anhebung der nuklearen Schwelle". Er erinnert daran, dass die im Kalten Krieg in Deutschland stationierten Tomahawks einen nuklearen Sprengkopf trugen.
Quelle: ntv.de, jog/dpa