Politik

Keine Pläne in Deutschland Polen bereitet sich auf Flüchtlinge aus der Ukraine vor

Lastwagen warten an der ukrainisch-polnischen Grenze. Die Regierung in Warschau bereitet sich auf zahlreiche Kriegsflüchtlinge vor.

Lastwagen warten an der ukrainisch-polnischen Grenze. Die Regierung in Warschau bereitet sich auf zahlreiche Kriegsflüchtlinge vor.

(Foto: picture alliance / NurPhoto)

Die Entwicklung rund um die Ukraine verfolgt man in Polen nicht nur aus sicherheitspolitischen Gründen mit Sorge. Im Falle eines russischen Einmarsches erwartet das Land ukrainische Kriegsflüchtlinge.

Als es 2015 darum ging, Flüchtlinge aus Syrien und anderen Ländern des Nahen Ostens aufzunehmen, gehörte Polen zu den EU-Staaten, die sich am lautesten wehrten. Als Begründung diente der nationalkonservativen Regierung in Warschau nicht nur die angebliche Sorge um die Sicherheit der polnischen Bürger, sondern auch der Verweis auf eine Million ukrainischer Flüchtlinge, die Polen seit der Annexion der Krim und dem Ausbruch des Krieges im Donbass im Jahr 2014 aufgenommen habe.

Obwohl dieses Narrativ teilweise den Sprung in den Westen schaffte, war die Behauptung doch eine dreiste Lüge. Von den insgesamt 4860 Ukrainern, die sich 2014 und 2015 in Polen um einen Flüchtlingsstatus bemühten, war kein einziger erfolgreich. Die überwiegende Mehrheit der in Polen lebenden Ukrainer, laut Schätzungen bis zu 1,3 Millionen, sind Arbeitsmigranten. Seit den 1990er Jahren ist das Land mit seiner von Jahr zu Jahr immer stärker boomenden Wirtschaft für die Ukrainer zu einem attraktiven Ziel geworden. Viele von ihnen leben nicht dauerhaft in Polen. Nach einigen Monaten Arbeit kehren sie oft wieder zu ihren Familien in der Heimat zurück.

Millionen ukrainischer Kriegsflüchtlinge?

Dies könnte sich in der nächsten Zeit ändern, zumindest aus polnischer Sicht. Denn je lauter die Warnungen vor einem möglichen russischen Einmarsch in die Ukraine werden, umso mehr macht man sich zwischen Oder und Bug Gedanken über den Zustrom ukrainischer Kriegsflüchtlinge. "Wann eine Invasion in die Ukraine stattfinden könnte, ist unklar. Aber diese ist möglich, daher muss man sich auf das schlimmste Szenario vorbereiten", sagte Andrzej Dera, Staatssekretär in der Präsidialkanzlei, am Sonntag in einer Talkshow des polnischen Fernsehens.

Die große Frage ist nur, wie viele Flüchtlinge im Falle eines Krieges in der Ukraine in das Land kommen könnten? Während der PiS-Fraktionsvorsitzende Ryszard Terlecki von einer Million möglicher Kriegsflüchtlinge spricht, andere gar von mehreren Millionen, geben sich andere Politiker zurückhaltender. "Keiner weiß genau, wie viele Flüchtlinge kommen könnten. Aber wenn es zu einem Krieg kommen und die Menschen flüchten sollten, wird man sie aufnehmen müssen", so Dera.

Kommunen bereiten Aufnahme vor

Wie intensiv die Vorbereitungen sind, offenbarte Błażej Poboży, Staatssekretär im polnischen Innenministerium. Demnach gibt es in dem Ressort seit Wochen einen von Innenminister Mariusz Kamiński geleiteten Krisenstab. Seit sieben Wochen nehmen an diesem auch die Woiwoden teil. Diese sind vergleichbar mit den Präfekten in Frankreich und sind Vertreter der Zentralregierung in den Woiwodschaften, den 16 großen Verwaltungsbezirken, in die Polen eingeteilt ist. Am Wochenende wurde nun bekannt, dass die Bürgermeister der Städte ihren jeweiligen Woiwoden innerhalb von 48 Stunden melden mussten, wie viele Unterbringungsmöglichkeiten diese für potenzielle Kriegsflüchtlinge haben. Geschuldet war diese Aktion sicherlich den jüngsten Warnungen aus den USA vor einem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine.

Während in den vergangenen Jahren ein wahrer Kleinkrieg zwischen der nationalkonservativen Zentralregierung und den vorwiegend liberalen und von der Opposition regierten Städten herrschte, ist man sich bei dem Thema einig. "Wir sind uns des Ernstes der Lage bewusst und sind zur Zusammenarbeit mit der Regierung bereit", erklärte Krzystof Kosiński, Oberbürgermeister der Stadt Ciechanów und Vorstandsmitglied des Bundes polnischer Städte. Der Politiker der oppositionellen Bauernpartei PSL fand sogar lobende Worte für die Regierung. "Zum ersten Mal verhält sich die PiS-Regierung bei dem Thema Migration anständig", sagte das Stadtoberhaupt.

Seitdem berichten die Lokalmedien, wie viele Flüchtlinge die jeweiligen Städte aufnehmen könnten. Das bekannte Ostseebad Sopot beispielsweise gab bekannt, dass es in zwölf Zwei-Personen-Zimmern Flüchtlinge aufnehmen könnte. Die große Nachbarstadt Danzig erklärte wiederum, 664 Übernachtungsplätze im Notfall zur Verfügung stellen zu können. In Krakau erwartet man gar 17.000 eventuelle Flüchtlinge, die gegebenenfalls in der Mehrzweckhalle der Stadt untergebracht werden könnten. Zudem erklärte Familien- und Sozialministerin Marlena Maląg, dass ihr Haus Pläne zur sozialen Absicherung der möglichen Kriegsflüchtlinge ausarbeite.

Deutschland hat "keine Anhaltspunkte für Migrationsbewegungen"

Polen ist nicht der einzige Nachbarstaat der Ukraine, der sich auf ein solches Worst-Case-Szenario vorbereitet. Auch in der Slowakei, Rumänien und Ungarn gibt es entsprechende Planungen. Ebenso wie in den drei baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland, die keine Grenze zu der Ukraine haben. Und auch die USA haben am Wochenende Polen Unterstützung zugesagt.

Mehr als zurückhaltend bei dem Thema zeigt sich dagegen die Bundesregierung. Auf Anfrage von ntv.de, ob es in Deutschland ähnliche Planungen gebe, heißt es aus dem Bundesinnenministerium, mit Blick auf die gegenwärtige Situation in der Ukraine gebe es "aktuell keine Anhaltspunkte für Migrationsbewegungen". Das Bundesinnenministerium beobachte die Lage in der Ukraine und stimme sich "eng mit allen Beteiligten in der Bundesregierung und mit der EU-Kommission ab, insbesondere über die weitere Vorgehensweise für den Fall größerer Migrationsbewegungen aus der Ukraine". Für konkrete Planungen sieht man in Berlin aber offenbar keinen Anlass.

Quelle: ntv.de

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