Politik

Rückzug aus Cherson-Brückenkopf Russischer Kämpfer filmt Evakuierung über den Dnipro

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Dieses Foto veröffentlichte Makar Teplinskiy auf seinem Profil bei VKontakte.

(Foto: VKontakte/ Makar Teplinskiy)

Durch die ukrainische Gegenoffensive steht der russische Brückenkopf in der Region Cherson unter Druck. Das Video eines Kreml-Kämpfers scheint zu belegen, dass Moskau längst mit der Räumung des westlichen Dnipro-Ufers begonnen hat.

Die Lage von Moskaus Streitkräften am Westufer des Dnipro wird offenbar immer brenzliger. Angesichts der ukrainischen Gegenoffensive verkündeten die Besatzungsbehörden am Mittwoch ihren Rückzug aus der Stadt Cherson. Tags zuvor sprach der russische Oberbefehlshaber in der Ukraine, General Sergej Surowikin, im Fernsehen vor einer schwierigen Lage in dem Frontabschnitt.

Offenbar haben die Truppen des Kreml bereits damit begonnen, den Brückenkopf Stück für Stück zu räumen. Ein Rechercheteam des Senders Radio Liberty hat einen prorussischen Separatisten der selbsternannten Volksrepublik Luhansk identifiziert, der die Evakuierung von Kriegsmaterial im Internet dokumentiert hat.

Bei dem Kämpfer handelt es sich den Journalisten zufolge um Makar Teplinskiy aus dem Dorf Birjukowe in der ostukrainischen Region Luhansk. Im sozialen Netzwerk VKontakte postete er am 10. Oktober ein Foto, das ihn auf einer Fähre mit Militärlastwagen zeigt. Drei Tage später veröffentlichte er ein kurzes Video an Bord derselben Fähre bei der Fahrt über den Dnipro.

Das Team von Radio Liberty konnte den Aufnahmeort lokalisieren. Demnach wurde das Video bei dem Dorf Kosazke gedreht, in unmittelbarer Nähe des Staudamms und Wasserkraftwerks bei Nowa Kachowka. Während der Aufnahme bewegt sich die Fähre vom Westufer Richtung Osten zur Anlegestelle der Stadt Nowa Kachowka.

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Auch das britische Verteidigungsministerium berichtet über die Fährverbindung zwischen Kosazke und Nowa Kachowka.

(Foto: Britisches Verteidigungsministerium)

Die von der russischen Armee genutzte Fährverbindung an dieser Stelle des Flusses ist bekannt. Die ukrainischen Streitkräfte hatten die Verladestellen am Ufer in den vergangenen Wochen wiederholt mit Raketen angegriffen. Bilder der europäischen Beobachtungssatelliten Sentinel vom 23. September zeigen etwa, wie Rauch beim Fähranleger am östlichen Dnipro-Ufer bei Nowa Kachowka aufsteigt. Die Route der Pendelfähre folgt hier einem alten Schifffahrtskanal, der einen Flussarm des Dnipro mit der Hauptfahrrinne am östlichen Ufer verbindet.

Ursprünglich versorgte Moskau seine Truppen am Westufer vor allem über die Antoniwkabrücke bei Cherson und über die Straßenbrücke am Staudamm bei Nowa Kachowka. Seitdem Kiew die Flussübergänge mit Präzisionsschlägen unter Feuer nimmt, muss Russland seit Ende Juli hauptsächlich auf Fährverbindungen ausweichen, um Nachschub, Munition und Verstärkungen an die Front zu bringen. Die Versorgung per Fähre ist langsamer und aufwändiger, bietet aber einen Vorteil: Die beweglichen Kähne, Schubverbände und Ponton-Flöße sind für die ukrainische Artillerie schwerer zu treffen als feste Brücken.

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Satellitenfoto vom 11. Oktober: Die russische Fährverbindung unterhalb des Staudamms bei Nowa Kachowka.

(Foto: © European Union, Copernicus Sentinel Data 2022)

Bekannt sind insgesamt mindestens vier Stellen, an denen das russische Militär improvisierte Fährverbindungen über den Dnipro betreibt: Unmittelbar neben der Antoniwkabrücke bei Cherson, rund sechs Kilometer stromaufwärts bei der ebenfalls beschädigten Eisenbahnbrücke, am Dnipro-Knie bei Lwowe sowie bei Nowa Kachowka. Leicht ist der Transfer mittels Boot oder Fähren nicht: Der Fluss weist eine starke Strömung auf. Das östliche Ufer, wo der Dnipro an die flache Steppenebene der Südukraine angrenzt, ist an vielen Stellen von einer breiten Sumpfzone gesäumt. Auf der westlichen Seite dagegen ragt am Dnipro ein ausgeprägtes Steilufer empor, das für angelandete Fahrzeuge nicht überall leicht zu überwinden ist.

Laut Radio Liberty belegen die Satellitenbilder, dass die Russen seit Tagen keine Ausrüstung mehr nach Kosazke gebracht haben. Der Ort am Westufer des Dnipro liegt mittlerweile nur noch gut 40 bis 50 Kilometer von der Frontlinie entfernt. Der letzte Nachschubtransport ist auf Satellitenbildern der Plattform Planet.com vom 4. Oktober zu sehen. Einen Tag später fuhr die Fähre mit voller Ladung ans Ostufer. Seit dem 8. Oktober zeigen die Aufnahmen, wie Boote ohne Ladung am Westufer ankommen, um dann mit voller Ladung nach Nowa Kachowka zurückzufahren. Auf einer dieser Überfahrten muss das Video von Teplinskiy entstanden sein.

An dem Tag, an dem Teplinskiy das Video auf der Fähre veröffentlichte, postete er auch einen kurzen Clip unter dem Titel "Geburtstag eines Freundes der Luftstreitkräfte". Darin sitzen Männer in Militäruniform in einem Lokal. Einer von ihnen spielt Gitarre. Auf Teplinskys Profil bei VKontakte existiert ein Foto von derselben Feier, das am 10. Oktober geteilt wurde. Laut den Nachforschungen entstanden die Aufnahmen in einer Gaststätte in Nowa Kachowka.

Teplinskiy selbst ist kein Unbekannter. Bereits in der Vergangenheit war er Gegenstand von Recherchen, weil er Bilder aus seinem Kriegsalltag in den sozialen Netzwerken teilte. Wie Radio Liberty berichtet, kämpft Teplinskiy mindestens seit Sommer 2015 an der Seite Russlands im Donbas.

Quelle: ntv.de

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