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Rustem Umerow Gäbe es Ersatz, wäre der Verteidigungsminister wohl schon weg

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Verteidigungsminister Umerow hat durchaus Erfolge vorzuweisen. Aber seit einiger Zeit mehren sich kritische Stimmen.

Verteidigungsminister Umerow hat durchaus Erfolge vorzuweisen. Aber seit einiger Zeit mehren sich kritische Stimmen.

(Foto: picture alliance/dpa/Ukrinform)

Einen großen Skandal hat Rustem Umerow nicht am Hals - wohl aber Kritiker, die dem ukrainischen Verteidigungsminister vorwerfen, sich in den Ankauf von Waffen oder Munition einzumischen. Diese Aufgabe liegt bei einer Agentur, deren Chefin er loswerden will. Nun wackelt sein eigener Stuhl.

Groß waren die Hoffnungen, als Rustem Umerow im September 2023 neuer ukrainischer Verteidigungsminister wurde. Zwar hatte Umerow, anders als sein Vorgänger Oleksij Resnikow, der zumindest noch den regulären Wehrdienst in der sowjetischen Armee absolviert hatte, keinen Bezug zum Militär. Es gab aber gute Gründe, die für den heute 42-Jährigen sprachen.

So leitete Umerow, 2019 ursprünglich für die nationalliberale Oppositionspartei "Stimme" ins Parlament gewählt, vor seiner Ernennung zum Minister erfolgreich den Staatsvermögensfonds. "Wer eine solch korruptionsanfällige Struktur effektiv und ohne Skandale anführt, kann es auch im Verteidigungsministerium schaffen", betonte der Parlamentsabgeordnete Jaroslaw Schelesnjak von der "Stimme"-Fraktion damals. Mittlerweile mehrt sich jedoch die Kritik. Schelesnjaks Urteil, damals Ausdruck einer allgemeinen Einschätzung, war offenbar falsch.

Bereits am 6. September 2024, exakt ein Jahr nach Umerows Ernennung, veröffentlichte die "Ukrajinska Prawda" einen Gastbeitrag unter der Überschrift "Umerows Ministerium des Chaos". Verfasst wurde der Artikel von drei prominenten Chefinnen von renommierten NGOs, die sich entweder mit Korruptionsbekämpfung oder mit Verteidigungspolitik beschäftigen: Darja Kalenjuk, Marija Berlinska und Aljona Hetmantschuk. Letztere wurde kürzlich von Präsident Wolodymyr Selenskyj zur Botschafterin der Ukraine bei der NATO ernannt. "Es ist nicht so, als ob es unter Umerow keine Erfolge gegeben hätte", heißt es in dem Text. "Wir haben uns aber zweimal geirrt. Zum einen bei der Bewertung der organisatorischen Fähigkeiten des Ministers. Und zum anderen in dem, dass wir darauf setzten, die chaotische Führung auf nichtöffentlichem Wege korrigieren zu können."

Kein Traumjob

Konkret ging es unter anderem darum, dass es auch ein Jahr nach dem Führungswechsel im Ministerium, bei dem nicht nur der Minister, sondern auch die allermeisten Stellvertreter ausgewechselt wurden, unklar war, wer wofür verantwortlich ist. So beschäftigen sich gleich fünf Stellvertreter von Umerow mit internationaler Zusammenarbeit. Zugleich ist unklar, wer der Hauptverantwortliche für ausländische Militärhilfe ist, ohne die die ukrainische Armee blank dastehen würde. Auch betonten Kalenjuk, Berlinska und Hetmantschuk, dass Schlüsselentscheidungen im Ministerium von einer Gruppe von Umerow-nahen Beratern und Experten getroffen werden, die keine offizielle Verantwortung tragen.

Umerow war in große Fußstapfen getreten. Sein Vorgänger Oleksij Resnikow galt vielen seinerzeit als der bisher beste Minister in diesem schwierigen Ressort: Obwohl er das Amt lediglich zwei Monate vor dem russischen Überfall übernommen hatte, versank das Ministerium trotz des Kriegs nicht im Chaos, sondern funktionierte ordentlich. Zwar gab es medienwirksame Korruptionsskandale rund um das Ministerium. So wurden etwa Lebensmittel für Soldaten in Hinterlandregionen zu überhöhten Preisen eingekauft, was auch der Grund für die Entlassung war. Mit Resnikow hatten diese Skandale aber wohl nichts zu tun. Für ihn war die Position des Verteidigungsministers ohnehin nie ein Traumjob: Resnikow hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass er die Position nur auf ausdrückliche Bitte von Präsident Wolodymyr Selenskyj übernommen hatte.

Konflikte um die Agentur für Waffeneinkäufe

Verteidigungsminister war auch für den Krimtataren Umerow kein Traumjob, gerade mitten im großflächigen russischen Angriffskrieg nicht. Und er hat auch Erfolge vorzuweisen, etwa im Bereich der Digitalisierung. So wurde etwa die App Reserv+ entwickelt, die wehrfähigen Männern die Möglichkeit gibt, ihre Daten zum aktuellen Wohnort via Handy zu aktualisieren. Eine andere App, Armija+, wird in der Armee benutzt, um das Ausmaß der Bürokratie und Papierarbeit in den Bereichen zu verkleinern, in denen dies unter Kriegsumständen denkbar ist. Ebenfalls gibt es unterschiedliche innovative Lösungen für das Kampffeld selbst. Allerdings diskutiert das politische Kiew in diesen Tagen massiv einen Rückschlag ausgerechnet in dem Bereich, auf den mit Blick auf Umerow die größten Hoffnungen gesetzt wurden - Einkäufe für die Armee.

Um diese zu regulieren, wurden zwei formell vom Ministerium unabhängige Strukturen geschaffen. Zum einen ist dies der sogenannte Hinterlandoperator, der Lebensmittel- oder Uniformeinkäufe für die Armee durchführt, sich aber ausdrücklich nicht mit Waffen oder Munition beschäftigt. Unumstritten ist, dass sich die Lage hier zuletzt deutlich verbessert hat. Mit der Agentur für Verteidigungseinkäufe, die faktisch seit Februar 2024 tätig ist und die im vergangenen Jahr Waffen im Wert von umgerechnet sieben Milliarden Euro einkaufte, sieht es anders aus: Von Beginn an standen das Ministerium und die Agentur in einem Konflikt. Erst neulich verlängerte Umerow den Vertrag mit deren Leiterin, Maryna Besrukowa, nicht - obwohl er dies hätte tun müssen, nachdem der Aufsichtsrat, darunter auch die vom Verteidigungsminister entsandten Mitglieder, dafür votiert hatte.

Besrukowa, auf deren Seite ein Großteil der ukrainischen Zivilgesellschaft steht, beklagt, dass sie seit dem Sommer in ihrer Arbeit behindert wird, weil das Ministerium Dokumente zu langsam bewilligt und zu viele externe Überprüfungen durchgeführt habe. Das Verteidigungsministerium habe zudem mündliche Anweisungen gegeben, mit wem die Agentur Verträge abschließen solle. Umerow betonte seinerseits, dass die Agentur ineffektiv arbeite - und warf ihr vor, aus den Waffeneinkäufen eine Art "Amazon" gemacht zu haben, bei dem jeder einsehen könne, was für die Armee gekauft werde, während dies doch streng geheim bleiben solle.

Auch Selenskyj soll nicht zufrieden mit Umerow sein

Tatsächlich handelt es sich um ein sensibles Thema, das von außen schwer zu bewerten ist, weil viele Informationen geheim sind. Weil die Schaffung der unabhängigen Struktur für Einkäufe eine der Hauptangelegenheiten war, mit denen Umerow einst beauftragt wurde, ist ein solch offener Konflikt mitten im Krieg für die ukrainische Regierung zumindest besorgniserregend. Zudem dürfte es rechtlich eindeutig so sein, dass es nicht in Ordnung war, Besrukowas Vertrag nicht zu verlängern. Umso lauter werden die Stimmen, die eine Entlassung Umerows fordern. Die gibt es schon länger: Oleksij Hontscharenko, Abgeordneter der Oppositionspartei Europäische Solidarität des Ex-Präsidenten und Selenskyj-Erzrivalen Petro Poroschenko, hat vor einiger Zeit sogar einen Entlassungsantrag in der Werchowna Rada eingereicht. Wegen der eindeutig politischen Motive wurde dies damals jedoch kaum ernst genommen.

In politischen Kreisen in Kiew ist aber schon länger zu hören, dass Präsident Selenskyj mit der Arbeit seines Ministers nicht in allem zufrieden sein dürfte. Ob die Entlassung aber tatsächlich in absehbarer Zeit erfolgt, ist fraglich. Damals vergingen nach der Grundsatzentscheidung zu Resnikow bis zu seinem tatsächlichen Rücktritt acht Monate, weil sich die Kandidatensuche als schwierig erwies. Verteidigungsminister eines Landes im Krieg mit ungewissen Aussichten und riesigem Druck ist keine Position, für die viele Leute Schlange stehen. Dennoch dürfte es für Rustem Umerow mit der Zeit enger werden, zumal die G7-Botschafter in Kiew ihre Besorgnis wegen der Situation um die Agentur für Verteidigungseinkäufe übereinstimmenden Berichten zufolge bereits intern geäußert haben. Angesichts der Abhängigkeit der Ukraine von internationaler Hilfe kann eine solche Kritik kaum folgenlos bleiben.

Quelle: ntv.de

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