Politik

Geheimer Kanzler, Held, Hassfigur Schäuble sei Dank

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(Foto: picture alliance / dpa)

In der Griechenland-Debatte im Bundestag wird Wolfgang Schäuble gefeiert und beschimpft. Der Finanzminister muss einen Kurs durchsetzen, an dem er eigentlich zweifelt. Einen Plan B gibt es weiterhin.

Die Kanzlerin hat Geburtstag. Um kurz vor zehn treten einige Abgeordnete vor und gratulieren. Angela Merkel lacht und bedankt sich artig für die Blumen. Doch einen Augenblick später blickt sie wieder ernst, zwei tiefe Falten ziehen von den Mundwinkeln herab zum Kinn. Die 631 Bundestagsabgeordneten haben ihren Urlaub nicht abgebrochen, um Merkels Geburtstag zu feiern. Nach einer Gedenkminute für den verstorbenen Unionspolitiker Philipp Mißfelder geht Bundestagspräsident Norbert Lammert zur Tagesordnung über. Es geht um die Aufnahme von Verhandlungen über ein drittes Hilfspaket für Griechenland. Im Mittelpunkt der hitzigen Debatte: Nicht die Kanzlerin, sondern Finanzminister Wolfgang Schäuble, der an diesem Tag gleichzeitig Held, heimlicher Kanzler und Hassfigur sein wird.

Linken-Fraktionschef Gregor Gysi greift den Bundesfinanzminister am schärfsten an. "Sie sind dabei, die europäische Idee zu zerstören", wettert er in Richtung Kabinettsbank. Schäuble und Merkel machten den schwersten Fehler ihrer politischen Laufbahn. Schäuble sei der wahre Kanzler der letzten Wochen gewesen, Merkel zu schwach. Es sind starke Worte. Immer wieder ist es Schäuble, der zur Zielscheibe wird. Die griechische Regierung könne machen, was sie wolle, am Ende entscheide ja doch der deutsche Finanzminister, schimpft Gysi. "Herr Schäuble, Sie schaden diesem Land." Der Linke zitiert eine italienische Zeitung: Griechenland habe die Zivilisation hervorgebracht, Deutschland die Barbarei.

Alle Emotionen der Griechenland-Verhandlungen werden auf den 72-Jährigen projiziert. Grünen-Fraktionschefin Karin Göring-Eckardt verpackt es etwas diplomatischer. "Ich habe immer gedacht: Wir haben eine gemeinsame Grundlage, darüber, dass wir Europa bestimmt nicht aufgeben." Dieses Vertrauen habe der CDU-Finanzminister erschüttert. Und Schäuble? Egal, was auch auf ihn einprasselt, der Angesprochene sitzt reglos da. Einmal gähnt Schäuble herzhaft. Was soll er auch sonst tun?

Schäuble tritt um 11.20 Uhr vor das Podium. Er spricht leiser als alle Redner vor ihm. "Ich verstehe all die Emotionen", sagt er. "Die ganze Bundesregierung ist sich einig, dass Europa helfen muss, da gibt es nicht den geringsten Unterschied." Es gehe nicht nur um ein "heißes Herz" für Europa, sondern auch "um die Abteilung kühler Kopf". Seinen Kritikern entgegnet er: "Ich bin so abgehärtet in einem langen politischen Leben, dass mich so etwas nicht aus der Bahn wirft." Die Auflagen seien hart, aber nicht weil man Griechenland etwas Böses tun wolle. Schäuble versichert, "alles zu tun, dass dieser letzte Versuch zum Erfolg führt".

"Seien Sie Öl und nicht Sand im Getriebe"

Der letzte Versuch, und dann? Von einem Grexit auf Zeit, den er bei den Verhandlungen in Brüssel ins Spiel gebrachte hatte, spricht er in seiner 20-minütigen Rede nicht. Präsent ist das Thema trotzdem. "Jede Debatte um einen Grexit muss der Vergangenheit angehören", sagt Sigmar Gabriel. Der SPD-Vizekanzler hatte am Wochenende für Verwirrung gesorgt. Zunächst bestätigte er von Schäubles Grexit-Papier gewusst zu haben, später ruderte er zurück. Schäuble sagte unter der Woche wiederum, Gabriel sei sehr wohl informiert gewesen. Der SPD-Chef stand blöd da.

Die koalitionsinterne Kritik zieht sich nicht lautstark, aber hartnäckig durch die Reihen der Sozialdemokraten. Fraktionschef Thomas Oppermann verurteilt die "verunglimpfende" Kritik an Schäuble, sagt aber: "Vielleicht ist es nicht in Ihrem Sinne, aber jetzt ist die Entscheidung auf Plan A gefallen. Dass dieser gelingt, erwarte ich auch von Ihnen." SPD-Finanzexperte Carsten Schneider warnt vor einem Chaos, das ein Grexit mit sich brächte. "Aus diesem Grund bitte ich Sie, Herr Finanzminister, seien Sie Öl und nicht Sand im Getriebe."

Dass die Option eines geordneten Grexit möglicherweise nur vorerst vom Tisch ist, zeigt der Auftritt Merkels. Eine "Auszeit" hätte man in Brüssel nur im Konsens mit Griechenland beschließen können, sagt sie. Griechenland und auch andere Länder seien dazu jedoch nicht bereit gewesen, "und deshalb war dieser Weg nicht gangbar". Klingt so, als ob Merkel den Vorschlag Schäubles unterstützt hat.

Und dann lobt sie ihn auch ausdrücklich. Sie richtet ein "herzliches Dankeschön" an Schäuble, der "Stunden, Nächte, Tage lang verhandelt" hat. Die Unionspolitiker applaudieren minutenlang. Es ist auch ein Dankeschön dafür, dass vor allem Schäuble viele zweifelnde Abgeordnete aus CDU und CSU überzeugt hat, Dass auch er noch einmal mit Ja stimmt, obwohl er nicht mehr so richtig überzeugt ist. Um kurz vor 14 Uhr steht das Ergebnis der Abstimmung fest: 439 für Ja, 119 mit Nein, 40 Enthaltungen. Trotz vieler Nein-Stimmen aus der Unionsfraktion: Aus Merkels Sicht ist es noch einmal gutgegangen, bei diesem allerallerletzten Mal. Schäuble sei Dank.

Quelle: ntv.de

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