Politik

Der Kriegstag im Überblick Sjewjerodonezk droht Einkesselung - Putin rechnet mit dem Westen ab

Die russischen Truppen setzen ihre Bemühungen fort, den Ring um Sjewjerodonezk zu schließen.

Die russischen Truppen setzen ihre Bemühungen fort, den Ring um Sjewjerodonezk zu schließen.

(Foto: picture alliance/dpa/AP)

Im Osten und Süden der Ukraine toben weiter heftige Gefechte. Der Stadt Sjewjerodonezk bleibt weiterhin ein Ziel der russischen Offensive. Derweil will die Ukraine ein russisches Kriegsschiff schwer beschädigt haben. Russlands Präsident dreht nicht nur den Gashahn zu, sondern beim Wirtschaftforum verbal auf und wettert gegen den Westen. Auf diplomatischer Ebene könnte der Ukraine bald der Kandidatenstatus winken. Der 114. Kriegstag im Überblick.

Schwierige Lage in Sjewjerodonezk

Der ostukrainischen Stadt Sjewjerodonezk droht laut britischen Geheimdienstexperten weiterhin eine Einkreisung. Die russischen Truppen hätten ihre Bemühungen fortgesetzt, den Ring um die strategisch wichtige Stadt von Süden zu schließen. "In den vergangenen 24 Stunden haben russische Kräfte wahrscheinlich weiterhin versucht, auf der Popasna-Achse die Oberhand zu bekommen, von der sie den Kessel von Sjewjerodonezk vom Süden her einkreisen wollen", hieß es vom britischen Verteidigungsministerium. Nach ukrainischen Angaben ist die Chemiefabrik, wo noch Soldaten und Hunderte Zivilisten ausharren sollen, durch russischen Artillerie- und Raketenbeschuss fast vollständig zerstört. "Es gibt insgesamt auf dem Territorium des Chemiegiganten keine erhalten gebliebenen Verwaltungsgebäude mehr", schrieb der Militärgouverneur der ostukrainischen Region Luhansk, Serhij Hajdaj, auf Telegram.

Tote und Verletzte bei Raketenangriff in Südukraine

Bei einem russischen Angriff auf die Stadt Mykolajiw im Süden der Ukraine sind mindestens zwei Menschen getötet und 20 weitere verletzt worden. Wie der Gouverneur der Region, Vitaly Kim, im Online-Dienst Telegram mitteilte, ereignete sich der Raketenangriff in einem Wohngebiet. Zuvor hatte er am Morgen bekannt gegeben, dass vier Hochhäuser sowie eine Infrastruktur-Einrichtung von russischen Raketen getroffen worden seien, ohne Angaben dazu zu machen, ob es sich um eine militärische Einrichtung handelte. Unter den Verletzten befindet sich demnach auch ein Kind. Die Hafen- und Industriestadt Mykolajiw hatte vor dem Krieg fast eine halbe Million Einwohner und befindet sich noch in ukrainischer Hand. Allerdings ist sie nicht weit von der Stadt Cherson entfernt, die bereits seit kurz nach Krisgbeginn unter russischer Kontrolle ist. Da Mykolajiw auf der Route nach Odessa, dem größten Hafen der Ukraine, liegt, ist die Stadt ein wichtiges strategisches Ziel für Russland.

Russisches Schiff bei Angriff wohl schwer beschädigt

Im Schwarzen Meer hat das ukrainische Militär nach eigenen Angaben einen russischen Schlepper mit Raketen angegriffen und schwer beschädigt. Selbst das an Bord vorhandene Luftabwehrsystem habe den Angriff der ukrainischen Seestreitkräfte nicht abwehren können, teilte die ukrainische Marine in sozialen Netzwerken mit. Das 2017 in Dienst genommene Schiff habe Munition, Waffen und Soldaten zur seit Ende Februar von Russland besetzten Schlangeninsel bringen sollen. Der Militärgouverneur von Odessa, Maxym Martschenko, hatte anfänglich vom Einsatz westlicher "Harpoon"-Raketen geschrieben. Er änderte seinen Eintrag beim Nachrichtendienst Telegram später wieder. Eine Bestätigung der russischen Flotte lag zunächst nicht vor. Schiffsabwehrraketen des Typs "Harpoon" (Harpune) sind von Dänemark geliefert worden.

Russisches Kriegsschiff dringt in dänische Hoheitsgewässer ein

Abseits des Kriegsgebiet sorgte ebenfalls ein Schiff der russischen Marine für Aufsehen, in dem es zweimal dänische Hoheitsgewässer in der Ostsee verletzte. Wie die dänischen Streitkräfte mitteilten, durchkreuzte die russische Korvette zunächst um 2.30 Uhr morgens dänische Gewässer nördlich der Insel Christianso, die im Süden von Schweden liegt. "Einige Stunden später überquerte dieselbe Korvette erneut die Hoheitsgewässergrenze, ebenfalls nördlich von Christianso", hieß es in der Erklärung des dänischen Militärs. Demnach verließ das Schiff nach einem Aufruf über UKW-Funk der Marine sofort wieder das dänische Gebiet. Das Außenministerium in Kopenhagen erklärte später, es habe mit dem russischen Botschafter über den Vorfall gesprochen. Ende April habe bereits ein Spionageflugzeug des russischen Militärs dänischen Luftraum verletzt. "Russland ignoriert erneut die internationalen Regeln, indem es die Grenzen nicht respektiert. Wir haben dem russischen Botschafter sehr deutlich mitgeteilt, dass ein solches Vorgehen vollkommen inakzeptabel ist", erklärte der dänische Außenminister Jeppe Kofod.

Putin rechnet mit dem Westen ab

Russlands Präsident Wladimir Putin hat die Wirtschaftspolitik der USA und der EU für die weltweite Inflation verantwortlich gemacht. "Was jetzt geschieht, ist nicht das Ergebnis der letzten Monate und schon gar nicht das Ergebnis eines militärischen Spezialeinsatzes, den Russland im Donbass durchführt", sagte Putin beim St. Petersburger Wirtschaftsforum. Grund für die Preissteigerungen seien "systematische Fehler in der Wirtschaftspolitik der derzeitigen US-Regierung und der europäischen Bürokratie". Der Militäreinsatz in der Ukraine habe den westlichen Ländern lediglich eine Ausrede geliefert. "Das erlaubt ihnen, ihre eigenen Fehleinschätzungen auf andere, in diesem Fall auf Russland, zu schieben", sagte Putin in seiner im Fernsehen übertragenen Ansprache bei der Veranstaltung weiter.

Putin über Atomwaffen: "Alle sollen wissen, was wir haben"

In der gleichen Rede sprach Putin auch über eine von Russland ausgehende Gefahr eines Atomkriegs. Sobald man auf Äußerungen ausländischer Politiker reagiere, hieße es sofort, Russland drohe irgendjemandem, sagte Putin. Dann fügte er hinzu: "Wir bedrohen nichts. Aber alle sollen wissen, was wir haben und was wir gegebenenfalls einsetzen werden, um unsere Souveränität zu schützen." Wegen des seit fast vier Monaten andauernden russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine machen sich viele Sorgen, dass es im schlimmsten Fall sogar zum Einsatz von Atomwaffen kommen könnte. Moskau weist diese Absicht stets zurück. Russland betont vielmehr immer wieder, dass es - anders als die USA - in seiner Militärdoktrin kein Erstschlagrecht verankert habe.

EU-Kommission für Kandidatenstatus der Ukraine

"Die Ukrainer sind bereit, für die europäische Perspektive zu sterben", sagte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen. Sie stellte eine Empfehlung an die 27 EU-Mitgliedstaaten zur der Frage vor, ob und wie schnell die Ukraine den Status eines EU-Beitrittskandidaten erhalten soll. "Die Ukraine verdient eine europäische Perspektive", sagte sie. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zeigte sich erfreut. "Das ist der erste Schritt zur Mitgliedschaft in der EU", schrieb er bei Twitter. Russland dagegen reagierte reserviert. Es handele sich hier nicht um eine militärpolitische Ebene, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Trotzdem erfordere diese Entwicklung Russlands erhöhte Aufmerksamkeit, weil man über die "Stärkung der Verteidigungskomponente der Europäischen Union" Bescheid wisse. Einer neuen Umfrage zufolge sind mehr als die Hälfte der wahlberechtigten Bundesbürger für die Aufnahme der Ukraine in die Europäische Union innerhalb der nächsten Jahre. Laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag von ntv/RTL befürworten 55 Prozent, wenn die Ukraine EU-Mitglied werden würde.

Putin: "Wirtschaftlicher Blitzkrieg" des Westens gescheitert

Nach Ansicht des russischen Präsidenten Wladimir Putin haben die westlichen Sanktionen gegen sein Land ihre Wirkung verfehlt. "Der wirtschaftliche Blitzkrieg hatte von Anfang an keine Chancen auf Erfolg", sagte Putin beim Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg. Die Sanktionen, die westliche Staaten als Reaktion auf den russischen Angriff auf die Ukraine verhängt haben, bezeichnete er als "wahnsinnig" und "gedankenlos". Die Strafmaßnahmen träfen die EU ebenfalls hart. Er bezifferte den Schaden für Europa mit 400 Milliarden US-Dollar.

Angespannte Versorgungslage mit Gas in Deutschland

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Erstmals seit Ende März bezeichnete die Bundesnetzagentur die Situation der Gasversorgung in Deutschland als "angespannt". Sie sei "im Moment aber stabil", schrieb die Behörde in einem täglich erscheinenden Bericht. Die Versorgungssicherheit in Deutschland sei derzeit weiter gewährleistet. Zuvor hatte der russische Energieriese Gazprom die maximalen Liefermengen für russisches Gas durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 drastisch reduziert. Begründet hatte dies Gazprom mit Verzögerungen bei der Reparatur von Verdichterturbinen. "Von dieser Reduktion ist seit Mitte der Woche auch die Weitergabe von Gas in andere europäische Länder wie zum Beispiel Frankreich, Österreich und Tschechien betroffen", berichtete die Behörde.

Frankreich hingegen hat sich von russischen Gaslieferungen über eine Pipeline aus Deutschland komplett losgesagt. Die Gasversorgung werde dadurch nicht beeinträchtigt, und das Auffüllen der Speicher für den Winter gehe weiter, teilte der Gasnetzbetreiber GRTgaz mit. Selbst wenn Russland den Gashahn vollständig zudrehe, drohten in einem normalen Winter keine Probleme in Frankreich. Für Frankreich spielt Erdgas aus Russland eine untergeordnete Rolle. Außer per Pipeline wird russisches Erdgas auch per Schiff eingeführt.

Eurovision Song Contest nicht in der Ukraine

Der nächste Eurovision Song Contest (ESC) findet wegen des russischen Angriffskriegs nicht beim diesjährigen Sieger Ukraine statt. Stattdessen wolle man Gespräche mit der BBC führen, ob der ESC 2023 in Großbritannien ausgerichtet werden könne, teilte die Europäische Rundfunkunion (EBU) in Genf mit. Die ukrainische Band Kalush Orchestra hatte Mitte Mai mit dem Hiphop-Lied "Stefania" den 66. ESC in Turin gewonnen. Damit wäre die Ukraine der ESC-Tradition zufolge als Gastgeber des Wettbewerbs im Folgejahr gesetzt gewesen.

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Quelle: ntv.de, mba/dpa

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