Politik

"Wir können etwas tun" Städte müssen den Corona-Kampf gewinnen

Die Maskenpflicht soll bei steigenden Fallzahlen in den Städten ausgedehnt werden.

Die Maskenpflicht soll bei steigenden Fallzahlen in den Städten ausgedehnt werden.

(Foto: dpa)

Das Coronavirus kommt mit einer Wucht zurück, die viele wohl nicht erwartet haben. Die großen Städte stehen unter dem Druck, schnell zu handeln. Aber sie werden nicht die einzigen bleiben.

"Wir sind in einer angespannten Situation", sagt Michael Müller am Morgen in Berlin. Seit Freitag ist er Regierender Bürgermeister eines Corona-Risikogebiets. Die 7-Tage-Inzidenz: 52,8 Fälle pro 100.000 Einwohner. Was Müller in der Pressekonferenz sichtlich Sorgen bereitet, ist auch in einer Arztpraxis im Stadtteil Neukölln spürbar: "Während des Lockdowns hatten wir keinen einzigen positiven Test in der Praxis", sagt die dortige Allgemeinärztin. "Nun geht die Zahl rapide nach oben."

Es seien lauter junge Leute, die sich nun testen ließen. Ihre kritischen Kontakte hatten sie vor allem im Privaten, meist auf Partys. "Auf einer war ein Gast, der sein Testergebnis nicht abgewartet hat. Bei dem hat sich einer unserer Patienten infiziert." In einem anderen Fall seien gleich vier Leute nach einer Privatparty positiv gewesen. "Die hatten sich nur kurz zur Begrüßung umarmt. Das hat offenbar schon ausgereicht." Eine andere Patientin steckte sich beim Badminton mit einer Freundin an. Die Infizierten des Herbstes in der Hauptstadt sind vielfach Leute im Studentenalter, 20 bis 40 Jahre alt. Und häufig klagen sie auch über Symptome - Fieber, Erschöpfung.

Jeden Tag wird deutlicher, dass Berlin nur eine Blaupause für andere deutsche Metropolen ist. In Frankfurt am Main stelle sich die Situation sehr ähnlich dar, sagt der Vorstandschef der dortigen Uniklinik, Jürgen Graf, bei der Pressekonferenz mit Müller. Im Rhein-Main-Gebiet sind die Fallzahlen in den vergangenen 14 Tagen rasant angestiegen. Graf sieht die Situation der Unikliniken als eine Art "Frühwarnsystem" für das, was auf das gesamte Gesundheitssystem zukommt. Und da ist ein Mangel besonders alarmierend: das fehlende Personal.

Denn auch wenn die Zahl an freien Intensivbetten derzeit laut Graf "kein Problem" ist, so ist dem schwer Erkrankten mit einem Bett allein noch nicht geholfen. Die Frage ist: Gibt es auch Pflegepersonal, das den Schwerkranken in diesem Bett betreuen kann? Gibt es genug "betriebsfähige Intensivbetten" - so nennt der Klinikchef die Kombination aus technischer Versorgung und erforderlichem Fachpersonal.

Stabile Phase ist "definitv vorbei"

Hier sieht er ein massives Problem, denn zu der grundsätzlichen Personalnot kommt neuerdings noch hinzu, dass sich wieder deutlich mehr Pflegerinnen und Pfleger selbst infizieren und damit ausfallen. "Wir haben einen absoluten Mangel an Pflegekräften", fasst Graf zusammen, und sein Kollege Heyo Kroemer, Vorstandschef der Berliner Charité, klingt ähnlich dramatisch. Bis vor drei, vier Wochen habe man eine stabile Situation gehabt. "Seit zwei Wochen ist diese Phase definitiv vorbei."

Nicht nur der dramatische Fallanstieg, auch die Reaktion Berlins darauf könnte als eine Art Blaupause für andere Städte gelten. "Wir alle spüren ja, dass die Großstädte, die Ballungsräume jetzt der Schauplatz sind, an dem sich zeigt, ob wir die Pandemie in Deutschland unter Kontrolle halten können", sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel am Nachmittag in der Hauptstadt. Und kündigt an, nachdem sie sich mit den Bürgermeistern von elf Metropolen zusammengeschaltet hat, den Städten bei der Bekämpfung der Pandemie zu helfen. So können diese ab einer Inzidenz von 35 Neuinfektionen innerhalb einer Woche pro 100.000 Einwohner in Zukunft Expertenhilfe des Robert-Koch-Instituts und der Bundeswehr anfordern.

Die Bewohner von Städten, die wie Frankfurt und Berlin die kritische Inzidenz-Marke von 50 überschreiten, müssen wohl in Zukunft mit ähnlich strengen Regeln rechnen, wie sie in der Hauptstadt gelten: Die Maskenpflicht ist dort erweitert auch auf Büros und Verwaltungen, Kontaktbeschränkungen gibt es im öffentlichen Raum und im Privaten - so sind Feiern in geschlossenen Räumen auf zehn Personen beschränkt. Ab 23 Uhr dürfen draußen nur noch maximal fünf Leute aus verschiedenen Haushalten zusammenkommen. Bars und Restaurants müssen um 23 Uhr schließen.

Eine Schwachstelle, auch das hat das Beispiel Berlin in den vergangenen Tagen gezeigt, ist die Nachverfolgung der Corona-Kontakte durch die Gesundheitsämter. Immer wieder kam es zu Fällen, in denen Infizierte ihre Kontakte nicht weitergeben konnten, Familienmitglieder keine Testmöglichkeit erhielten. Gefährliches Missmanagement, für das Bund und Länder vereinbart haben, im Notfall personelle Unterstützung zu leisten. Denn das Unterbrechen der Infektionskette ist essentiell im Kampf gegen Corona.

Schulen sollen offen bleiben

Ein erneuter Lockdown soll vermieden werden, das ist erklärtes Ziel der Politik auf Bundes- und Landesebene. Neben den Schäden für die Wirtschaft hat Merkel hierbei vor allem Kinder und Jugendliche im Blick. "Die Schulen müssen, wenn irgend möglich, diesmal offen bleiben können", sagt die Kanzlerin mit Blick auf die Ansteckungsgefahr im Unterrichtsbetrieb.

Doch auch aus wissenschaftlicher Sicht wäre ein Lockdown nicht sinnvoll, so stellt es Christian Drosten in der Pressekonferenz dar. Für den Chef-Virologen der Berliner Charité war der Lockdown eine "Pauschalmaßnahme", die am Anfang einer Pandemie notwendig sein kann, wenn "man nichts über diese Krankheit weiß, orientierungslos ist und einfach alles stoppen muss". In der heutigen Lage erscheint ein Lockdown dem Wissenschaftler nicht mehr geeignet. "Jetzt haben wir doch einiges dazugelernt", so Drosten. "Wir können zum Beispiel sagen, das Virus verbreitet sich in Clustern. Da muss man also höhere Aufmerksamkeit drauf geben."

Das effizienteste sei die Kombination zweier Maßnahmen. "Eine ist eine breite Allgemeinmaßahme, die nur etwa 20 Prozent Effizienz braucht, und das sind die Masken. Und dann brauchen wir gezielte Maßnahmen gegen Cluster", sagt der Virus-Experte. Die Gesundheitsämter seien dabei, dort genau hinzuschauen.

Entscheidend ist jedoch aus Sicht des Wissenschaftlers die Informiertheit der Bevölkerung. Die Menschen müssten die richtigen Entscheidungen treffen, "weil sie verstanden haben". Auch Merkel baut auf "Achtsamkeit und Zusammenhalt". Wenn es eine gute Nachricht in diesen Tagen gebe, "dann diese: Die Infektionszahlen steigen, ja, aber wir sind alles andere als ohnmächtig dagegen. Wir können etwas tun."

Quelle: ntv.de

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