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Desinformation und Drohungen Taiwan wählt und Peking mischt kräftig mit

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Unterstützer der Democratic Progressive Party (DDP) bei einer Kundgebung am Freitag. Ihr Spitzenkandidat William Lai ist Peking ein Dorn im Auge.

Unterstützer der Democratic Progressive Party (DDP) bei einer Kundgebung am Freitag. Ihr Spitzenkandidat William Lai ist Peking ein Dorn im Auge.

(Foto: AP)

In Taiwan entscheiden an diesem Samstag 19 Millionen Wahlberechtigte über Annäherung oder größere Distanz zur Volksrepublik China. Die versucht intensiv, den Ausgang der Wahl zu beeinflussen.

Schon seit Jahren kämpfen die 2000 Mitarbeiter des gemeinnützigen Taiwan Fact-Check Centers gegen Desinformation aus China. Die Einrichtung hat seit April 2018 rund 70.000 Beiträge in sozialen Medien als irreführend oder falsch etikettiert. Die bemängelten Beiträge diffamieren auffallend oft chinakritische Politiker, kritisieren die Politik der regierenden Fortschrittspartei DDP oder bezweifeln die Glaubwürdigkeit der demokratischen Institutionen Taiwans.

Anfang Dezember beispielsweise machte ein Gerücht die Runde, der Vizepräsidentschaftskandidat der DDP besitze neben der taiwanischen auch noch die amerikanische Staatsbürgerschaft. Dann verbreitete sich die Behauptung, dass bei den anstehenden Wahlen im großen Stil betrogen werden solle. Unsichtbare Tinte in den Wahlkabinen werde es Betrügern ermöglichen, den Ausgang der Stimmenabgabe zu manipulieren, kursierte es durchs Netz.

Die Quellen der Desinformationen sind nicht immer klar zu erkennen. Dennoch ist man sich in Taiwan sicher, dass sie aus China stammen oder im Interesse Chinas handeln. Das Technologie-Beratungsunternehmen Graphika lieferte kürzlich einen Bericht, der mehr als 800 Facebook-Profile identifiziert hatte, die als Multiplikator von Falschmeldungen zu Taiwan fungierten. Das Unternehmen konnte Spuren des Netzwerks in die Volksrepublik zurückverfolgen.

DDP will kein Öl ins Feuer gießen

Nirgendwo sonst in der Welt werden die anstehenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Taiwan so argwöhnisch beobachtet wie in der Volksrepublik. Die chinesische Regierung fürchtet, dass sich ihr Plan einer Einverleibung der Insel weiter verkomplizieren wird, sollten die rund 19 Millionen Wahlberechtigten am Samstag erneut die DDP zur stärksten Kraft und deren Spitzenkandidat William Lai zum Präsidenten wählen.

Die DDP hat unter der scheidenden Staatspräsidentin Tsai Ing-wen in den vergangenen Jahren konsequent an einer tieferen Integration Taiwans in die internationale Gemeinschaft gearbeitet. Das schlimmstmögliche Szenario für Peking wäre eine formelle Unabhängigkeitserklärung der Insel, die nur von wenigen Ländern in der Welt als eigenständiger Staat anerkannt wird. Peking hat angekündigt, eine solche Erklärung mit Gewalt beantworten zu wollen.

Allerdings hat die DDP eine Sprachregelung gefunden, um ein mögliches Dilemma zu vermeiden. Seit Jahrzehnten betreibe man eine von der Volksrepublik unabhängige Politik auf der Insel, weswegen die formelle Erklärung der Unabhängigkeit gar nicht nötig sei, heißt es. Bei aller Distanzierung vom Nachbarn will auch die DDP kein Öl ins Feuer gießen und Peking provozieren.

"Teil einer Familie"

Auch Hou Yu-ih, Kandidat der chinafreundlichen KMT, die eine Annäherung grundsätzlich befürwortet, betont, dass seine Partei kein Interesse daran habe, die demokratische Freiheit aufzugeben. Dennoch hofft Peking darauf, ein Taiwan unter KMT-Führung besser isolieren und leichter in seine Fänge bekommen zu können.

Dritter Kandidat für das Amt des Präsidenten ist der frühere Taipeher Bürgermeister Ko Wen-je, der China und Taiwan als "Teil einer Familie" bezeichnet. Er tritt für die von ihm selbst gegründete Taiwanische Volkspartei (TPP) an und gilt als Außenseiter. Er befürwortet eine tiefere Kooperation mit China und sagt, er sei die Idealbesetzung, um gleichzeitig das Verhältnis zum wichtigsten Verbündeten der Insel, den USA, zu pflegen.

Manipulation der öffentlichen Meinung ist nur ein Mittel, das Peking anwendet. Mit Militärmanövern, die immer näher an die taiwanische Küste rücken, und Importverboten gegen ganze taiwanische Industriezweige schürt die Volksrepublik seit Jahren Existenzängste an allen Fronten auf der Insel, um die Wähler zu beeinflussen.

Der Umgang mit China steht immer im Zentrum

Peking hat es damit geschafft, die Beziehungen zwischen beiden Ländern zum zentralen Wahlkampfthema zu stilisieren. Nicht zuletzt, weil das Maß chinesischer Einflussnahme so groß ist wie nie zuvor. China habe sich immer schon in Wahlen eingemischt, klagte DDP-Kandidat Lai am vergangenen Dienstag. "Aber diesmal war es am gravierendsten", sagte er. Lai hält den Nachbarn für die größte Bedrohung für sein Land. Peking bezeichnet den DDP-Kandidaten seinerseits als "Unruhestifter" und "Zerstörer des Friedens".

Dabei gibt es auch in Taiwan andere Sorgen - Bildung, Gesundheit, soziale Gerechtigkeit. Doch bei Fernsehdebatten der Kandidaten, in Interviews oder bei Wahlkampfveranstaltungen im öffentlichen Raum steht immer wieder China als Thema Nummer eins im Mittelpunkt.

Tatsächlich versucht es Peking auch mit Versprechungen. Vor wenigen Tagen veröffentlichte die chinesische Regierung Details ihrer vorgeschlagenen wirtschaftlichen Entwicklungszone zwischen Taiwan und der südchinesischen Provinz Fujian. Das Angebot an die Taiwaner lautet: Wählt den richtigen Kandidaten, und eure Wirtschaft wird blühen.

Peking will den Wählern in Taiwan die KMT schmackhaft machen

Schon jetzt knüpft China mit kleinen taiwanischen Inseln wie Kinmen oder Matsu, die der chinesischen Küste vorgelagert sind, immer engere Verbindungen. Fähren pendeln zwischen Festland und Inseln. Eine gemeinsame Trinkwasserversorgung stillt den Durst hüben wie drüben.

Vor einigen Monaten hatte Peking den Plan erstmals vorgelegt. In 21 Punkten zeichnete China eine mögliche Zukunft auf, die Taiwans Wählern die KMT schmackhaft machen soll. Handels- und Investitionsbeschränkungen zwischen Fujian und Taiwan sollen demnach wegfallen. Taiwanischen Unternehmen, die in der Entwicklungszone investieren, sollen am Zoll schneller abgefertigt werden. China lockt sogar mit der Einbeziehung taiwanischer Staatsbürger in das chinesische Sozialversicherungssystem.

Doch so gut die Aussicht auf wirtschaftliche Dynamik klingen mag, so wenig hat sie die Taiwaner in den vergangenen Jahren auf breiter Front in Chinas Bann gezogen. Die Verteidigung der eigenen demokratischen Freiheiten hat sich zunehmend als wichtigstes Element politischer Teilhabe etabliert. Die Wahlen am Samstag werden zeigen, ob die Taiwaner chinesischen Verlockungen abermals widerstehen können.

Quelle: ntv.de

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