Spanier seit Wochen vermisst Tote nach Schüssen auf Demonstranten im Iran befürchtet
28.10.2022, 20:04 Uhr
Auslöser der systemkritischen Massenproteste im Iran war im vergangenen Monat der Tod der 22 Jahre alten iranischen Kurdin Mahsa Amini.
(Foto: picture alliance/dpa/AP)
Die Proteste im Iran halten an. Demonstranten in der Stadt Sahedan fordern den Tod des geistlichen und staatlichen Oberhauptes Ajatollah Chamenei. Von dort werden auch Schüsse auf Demonstranten gemeldet. Es werden zahlreiche Todesopfer befürchtet.
Im Südosten Irans sind Sicherheitskräfte Berichten zufolge gewaltsam gegen protestierende Menschen vorgegangen. In weiten Teilen der Großstadt Sahedan sollen nach dem Freitagsgebet Schüsse gehört worden sein, berichteten Augenzeugen. Die Einwohner der Stadt befürchteten viele Todesopfer. In sozialen Medien wurden Videos blutiger Szenen geteilt, deren Echtheit zunächst nicht unabhängig überprüft werden konnte.
Spezialeinheiten der Polizei seien hart gegen die Demonstranten vorgegangen und "schossen auf die Menge", berichtete die in den USA ansässige Nachrichtenagentur Human Rights Activist News Agency (Hrana) auf Twitter. Angaben zu Toten oder Verletzten machte die Agentur zunächst nicht. Der Hrana-Tweet enthielt ein Video, in dem Schüsse und der Ruf "Allahu akbar" zu hören waren. Die Aufnahmen sind nicht unabhängig verifizierbar.
Videos zeigten zudem Demonstranten, die erneut den Tod des geistlichen und staatlichen Oberhauptes Ajatollah Ali Chamenei forderten. So wurde auf dem Twitter-Account 1500tasvir ein Video gepostet, das Proteste in Sahedan zeigen soll, in dem Menschen "Tod Chamenei" skandieren. Auch Mitgliedern der Basidsch-Miliz, die hart gegen Demonstranten vorgeht, wird der Tod gewünscht.
Automatisches Gewehrfeuer zu hören
In einem weiteren von der Organisation Iran Human Rights (IHR) mit Sitz in Oslo geteilten Video war langes automatisches Gewehrfeuer in Sahedan zu hören, das auf Menschen gerichtet war, die in Deckung gingen. Aktivisten berichteten von Dutzenden Menschen, die nach dem Freitagsgebet auf die Straßen der Stadt strömten.
Die staatliche Nachrichtenagentur Irna machte "Randalierer" für die Unruhen verantwortlich und erklärte, sie hätten Reifen in Brand gesetzt. "Einige maskierte Randalierer" hätten "Steine auf Autos geworfen", hieß es. Sahedan sei im Allgemeinen "ruhig", die Polizei sei in der Stadt präsent, berichtete Irna weiter.
Die iranischen Behörden entließen derweil den Polizeichef von Sahedan und den Leiter einer Polizeistation. Der Sicherheitsrat der Provinz Sistan-Balutschistan, deren Hauptstadt Sahedan ist, sagte den "unschuldigen Opfern" von tödlichen Auseinandersetzungen Entschädigungen zu, wie Irna berichtete. Am 30. September hatten mehr als 150 Menschen nach dem Freitagsgebet eine Polizeistation in Sahedan gestürmt. Nach offiziellen Angaben wurden dabei 35 Zivilisten und sechs Sicherheitskräfte getötet.
Das Menschenrechtsbüro der Vereinten Nationen sorgt sich unterdessen um inhaftierte Teilnehmer regierungsfeindlicher Kundgebungen. Zudem kritisierte die Organisation, iranische Behörden würden die Leichen getöteter Demonstranten nicht deren Angehörigen übergeben.
Es gebe Hinweise auf viele Misshandlungen, sagte die Sprecherin der UN-Behörde, Ravina Shamdasani, in Genf. Familien der Demonstranten würden schikaniert, sagte sie unter Verweis auf mehrere Quellen. "Besonders besorgniserregend sind Informationen, nach denen die Behörden verletzte Demonstranten aus Krankenhäusern in Haftanstalten verlegen." Inhaftierten Demonstranten sei in einigen Fällen eine medizinische Behandlung verweigert worden.
Vermisster Spanier im Iran in Haft?
Das spanische Außenministerium äußerte sich zu dem Fall eines vermissten Fußballfans, der von seiner Heimat aus zu Fuß auf dem Weg zur Weltmeisterschaft in Katar war und vermutlich im Iran verschwunden ist. Santiago Sánchez Cogedor hatte sich zuletzt auf Instagram am 1. Oktober aus dem Nordirak an der Grenze zum Iran gemeldet. Man wisse nicht, wo der Spanier sei, sagte eine Sprecherin des Ministeriums. Die spanische Botschaft in Teheran stehe mit den iranischen Behörden und den Angehörigen in Spanien im Kontakt. Damit dementierte sie Medienberichte, ihr Haus habe eine Festnahme des 40-Jährigen im Iran bestätigt.
Die Nachrichtenagentur Europa Press und andere spanische Medien berichteten jedoch unter Berufung auf die Mutter des Vermissten, ihr Sohn sei im Iran im Gefängnis. Es gehe ihm gut und der spanische Botschafter in Teheran wolle ihn im Gefängnis besuchen. Die Botschaft bemühe sich um die Freilassung. Vor wenigen Wochen hatten die Sicherheitsbehörden die Festnahme mehrerer europäischer Staatsbürger im Zusammenhang mit den Protesten gemeldet.
Auslöser der systemkritischen Massenproteste im Iran war im vergangenen Monat der Tod der 22 Jahre alten iranischen Kurdin Mahsa Amini. Die Sittenpolizei hatte sie festgenommen, weil sie gegen die islamischen Kleidungsvorschriften verstoßen haben soll. Die Frau starb am 16. September in Polizeigewahrsam. Seit ihrem Tod demonstrieren landesweit Tausende gegen den repressiven Kurs der Regierung sowie das islamische Herrschaftssystem.
Iran: Westen steckt hinter Protesten
Der Iran hat erneut westliche Geheimdienste für die Proteste im Land verantwortlich gemacht. In einer in den Staatsmedien veröffentlichten Erklärung beschuldigte Irans Geheimdienst die CIA, den britischen Geheimdienst GCHQ sowie den israelischen Mossad, hinter den jüngsten Protesten zu stecken. Auch die Konzerne der Sozialen Medien Facebook, Instagram, Whatsapp und Twitter seien Teil einer Verschwörung. Bereits in den vergangenen Wochen hatte Irans Führung den Westen und Medien im Ausland dafür verantwortlich gemacht, die Proteste anzuheizen.
Unterdessen demonstrierten Regierungsanhänger bei staatlich organisierten Protesten nach dem Anschlag vom Mittwoch in der Millionenstadt Schiras. Bei dem Anschlag, den die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) für sich reklamierte, wurden 13 Menschen getötet und Dutzende verletzt. Teheran gibt seinen Erzfeinden USA und Israel sowie den Demonstranten eine Mitschuld an der Attacke und kündigte Rache an. Viele Iraner befürchten, dass Sicherheitskräfte nach dem Anschlag noch härter bei Demonstrationen durchgreifen.
Quelle: ntv.de, kst/dpa/rts/AFP