Politik

"Die Große Lüge" lebt Trumps Waffen schießen scharf

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Hat seine Niederlage nie öffentlich eingestanden: Ex-Präsident Donald Trump

(Foto: REUTERS)

Wahlunterdrückung hat in den USA schon lange System. Aber seit Trumps Niederlage wird sie offen betrieben und vom Obersten Gerichtshof in einem ersten Fall sogar gestützt. Den Supreme Court hatte der Ex-Präsident entscheidend neu besetzt.

Seit einem halben Jahr ist der Demokrat Joe Biden Präsident der USA. Etwa 60 Prozent der Bevölkerung finden, er mache einen guten Job. Das ist ein weit höherer Anteil, als sein Vorgänger Donald Trump je für sich verbuchen konnte. Würde neu gewählt, könnte das Ergebnis heute trotzdem anders aussehen. Das hat mit politischen und juristischen Waffen zu tun, die Trump selbst hinterlassen hat.

In den vergangenen Monaten haben mindestens 17 der 50 Bundesstaaten neue Gesetze verabschiedet, die das Wahlrecht einschränken. Vor allem benachteiligt werden Bevölkerungsgruppen, die überwiegend Demokraten wählen; untere Einkommensschichten, Schwarze und Latinos. Der gesellschaftliche Nährboden für diese Gesetze ist "The Big Lie", die "Große Lüge", die behauptet, Trump sei der Wahlsieg gestohlen worden, weil die Demokraten mit illegalen Stimmen gewannen. Im Mai sagten mehr als die Hälfte der republikanischen Wähler, Trump sei "der wahre Präsident". So legitimieren Republikaner etwa Gesetzesprojekte, die Briefwahl erschweren.

Aber es geht nicht nur um die Präsidentschaftswahl, sondern auch um die Zwischenwahlen im kommenden Jahr und damit die Kontrolle des Kongresses. Biden und die Demokraten haben im Senat nur eine denkbar dünne Mehrheit, und auch das Repräsentantenhaus könnten sie an die Republikaner verlieren. Laut der "Washington Post" werben ein Drittel aller möglichen republikanischen Kongresskandidaten, viele davon Neulinge, landesweit mit der "Big Lie" um Wähler. Dies zeige, so die Zeitung, wie sehr Trump die Partei dominiere.

Dabei ist es gar nicht die Person selbst, sondern vielmehr seine Behauptungen, die Republikaner für sich ausnutzen. Chuck Gray aus dem Bundesstaat Wyoming wirbt etwa damit, dass "Wahlintegrität" das wichtigste Thema für ihn sei. Er fordert Liz Cheney heraus. Die Abgeordnete wurde wegen ihrer Kritik an Trump aus der Führung der Fraktion im Repräsentantenhaus entfernt. Sie wurde von den Demokraten in den Ausschuss des Repräsentantenhauses berufen, der den Sturm aufs Kapitol am 6. Januar untersuchen soll.

Bundesstaaten machen, was sie wollen

Seit der Bürgerrechtsbewegung galt in den USA jahrzehntelang, dass Wahlrechtsänderungen in einer festgelegten Liste von Bundesstaaten und Wahlkreisen vom Justizministerium in Washington abgesegnet werden mussten. So sollte Diskriminierung bestimmter Wählergruppen – vor allem Schwarzer – verhindert werden. Dazu gehörten insbesondere südliche Bundesstaaten. Dort blickt der schwarze Bevölkerungsanteil besonders auf rassistisch motivierte Wahlunterdrückung zurück: Alabama, Georgia, Louisiana, Mississippi, South Carolina. Auch Arizona stand auf der Liste.

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Afroamerikanische Wahlrechtsaktivisten bei einer Demonstration in Washington D.C.

(Foto: REUTERS)

Das Voting Rights Law, das Wahlrechtsgesetz von 1965, verbietet die Diskriminierung bei Wahlen im Allgemeinen und ist weiterhin in Kraft. Aber im Jahr 2013 strich der Oberste Gerichtshof die Liste der Staaten und Wahlkreise. Die müssen seither Änderungen nicht mehr genehmigen lassen. Sie können Wahlrechtsänderungen wie jedes andere Gesetz verabschieden. Bis mögliche Beanstandungen auf dem juristischen Weg zu einem Urteil führen.

So wie in Arizona. In dem Staat an der Grenze zu Mexiko, wo viele Latinos leben und wo Biden nach Jahrzehnten republikanischer Dominanz knapp gewann, war im Jahr 2016 ein Gesetz verabschiedet worden, das es verbietet, Briefwahlunterlagen über Dritte einzureichen. Zudem wurde eingeschränkt, wo sie abgegeben werden dürfen. Aktivisten organisieren häufig Fahrdienste, um Briefwahlunterlagen gesammelt abzugeben, oder sie bringen Menschen zum Wahllokal, wenn diese selbst keine Möglichkeit haben, dorthin zu gelangen. Meist sind es einkommensschwache Wähler, die überproportional Demokraten wählen.

Ein Gericht urteilte zunächst, das Gesetz in Arizona benachteilige insbesondere Schwarze, Latinos und Indigene. Doch der Streit ging bis ganz nach oben, zum Supreme Court. Der Oberste Gerichtshof kassierte das Urteil vor wenigen Tagen wieder ein. Die Richter sahen keine Diskriminierung. "Die bloße Tatsache, dass es unterschiedliche Auswirkungen (auf Wählergruppen) gibt, bedeutet nicht notwendigerweise, dass ein System nicht allen die gleiche Chance ermöglicht, zu wählen", heißt es im Urteil. Der Versuch des Bundesstaates, Wahlbetrug vorzubeugen, sei völlig legitim.

Tatsächlich gibt es fast gar keinen Wahlbetrug in den USA. Auch bei der vergangenen Präsidentschaftswahl konnte nichts nachgewiesen werden, was auch mehrfach von verschiedenen Stellen bestätigt wurde. Aber Trump und die Republikaner nutzen die Legende der "Big Lie", um sich unliebsame Wähler vom Leib zu halten. In ihrem scharfen Widerspruch schreibt eine liberale Richterin entsprechend, das Urteil sei "tragisch". Bundesstaaten schränkten Wahlzugänge ein, "die vorhersehbar Mitgliedern von Minderheiten den gleichen Zugang zur Wahlurne versagt".

Wasser verteilen verboten

Die Entscheidung des Obersten Gerichts ist ein Sieg für die Republikaner, deren Stimmen vor allem von Weißen kommen. Und für Donald Trump: Die sechs konservativen Richter votierten dafür, Trump hatte drei von ihnen ins Amt gehoben. Mit ihnen werden die Konservativen auf Jahre, womöglich über Jahrzehnte die höchste juristische Instanz der Vereinigten Staaten dominieren.

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Der Demokrat Raphael Warnock ist der erste afroamerikanische Senator aus Georgia und einem ehemaligen Sklavenhalterstaat überhaupt. Im kommenden Jahr will er sich erneut zur Wahl stellen.

(Foto: AP)

US-Justizminister Merrick Garland hat zwar angekündigt, die neuen Wahlgesetze der Bundesstaaten auf ihre Zulässigkeit zu prüfen. Dabei liege das Augenmerk auf Diskriminierung bestimmter Wählergruppen. Aber ob das Erfolg haben wird, ist fraglich. Ende Juni reichte Bidens Regierung bereits Klage gegen Neuregelungen im Bundesstaat Georgia ein. Dort ist es neuerdings verboten, unter Wartenden Wasser und Essen zu verteilen, wenn sie vor den Wahllokalen anstehen.

Zu den Wahlunterdrückungstaktiken gehört auch, möglichst wenige Wahllokale in Gegenden zu öffnen, wo einkommensschwache Bevölkerungsschichten wohnen. Dort gibt es überproportional viele Schwarze und Latinos, die größtenteils Demokraten wählen. Häufig müssen sie deutlich länger anstehen als besser gestellte, um ihre Stimme abzugeben. Mitunter dauert es Stunden.

Georgia war früher eine Bank für die Republikaner, was vor allem damit zu tun hatte, dass die Demokraten das Wählerpotenzial der Schwarzen nicht nutzen konnten. Das hat sich in den vergangenen Jahren geändert. Bei der Präsidentschaftswahl gewannen sie den Staat und holten beide Senatorenposten.

Es ist durchaus möglich, dass Trump seinen Bezwinger im Jahr 2024 zur Revanche fordert. Urteilt der Supreme Court weiterhin zugunsten solcher Wahlunterdrückungsmaßnahmen, könnte das dem Ex-Präsidenten unter die Arme greifen. Trump würde von seinem eigenen Vermächtnis profitieren, nämlich der "Großen Lüge" und den Waffen, die er damit hinterlassen hat.

Quelle: ntv.de

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