US-Wahl 2020

Trump und die Folgen der Wahl "Der amerikanische Bürgerkrieg wurde nie beendet"

"Für mich ist Trumpismus etwas anders als Faschismus", sagt Hans Kundnani.

"Für mich ist Trumpismus etwas anders als Faschismus", sagt Hans Kundnani.

(Foto: AP)

Joe Biden wird in den USA mit einer heftigen Widerstandsbewegung zu kämpfen haben, prognostiziert Politikforscher und Autor Hans Kundnani vom Londoner Royal Institute of International Affairs. Im Interview mit ntv.de beschreibt er die tiefe Spaltung der US-Gesellschaft als Ursache des Konflikts. Außerdem spricht er über Fehlentwicklungen in der jüngeren Zeit - und ob man Donald Trumps Vorwurf der gestohlenen Wahl als "Dolchstoßlegende" bezeichnen kann.

ntv.de: Herr Kundnani, als 2016 Donald Trump gewählt wurde, arbeiteten Sie in Washington und waren schockiert. Blicken Sie heute beruhigter in die Zukunft, weil Joe Biden Präsident werden soll?

Hans Kundnani: Ich bin erleichtert, dass Joe Biden gewonnen hat. Das Ergebnis der Wahl hat aber gezeigt, dass Amerika tief gespalten ist und dass Trump nach vier Jahren an der Macht große Unterstützung hat. Aus dem Biden-Lager hört man oft, dass es gelungen ist, 79 Millionen Stimmen zu sammeln - mehr als jeder andere Kandidat in der amerikanischen Geschichte je bekommen hat. 73 Millionen Menschen haben aber auch Trump gewählt. Das ist das zweitbeste Ergebnis in der US-Geschichte - nach Biden. Die Vereinigten Staaten sind also in zwei ähnlich große Lager gespalten, die unversöhnlich und zunehmend verfeindet sind. Die Ursachen sind sehr alt, ich würde sagen: so alt wie die Republik selbst.

Wie lange gibt es diese Spaltung schon?

Das Problem - die zunehmende Polarisierung der US-Gesellschaft - geht zurück auf die Neuausrichtung der amerikanischen Politik in den 1960er-Jahren. Damals setzten die Demokraten unter Präsident Lyndon Johnson Bürgerrechte für schwarze Amerikaner durch und verloren dadurch weiße Wähler im Süden. Die Republikaner versuchten, diese Wähler mit einem mehr oder weniger verdeckten Rassismus für sich zu gewinnen. Sie nannten es "Southern Strategy". Die gesellschaftliche Spaltung, die damit vorangetrieben wurde, ist aber Teil einer viel längeren Geschichte, die zum Bürgerkrieg in die1860er-Jahren zurückführt. Seine Ursache lag im Rassismus. Obwohl er heute ganz andere Formen angenommen hat, möchte ich so weit gehen und sagen, dass der Bürgerkrieg nie wirklich beendet worden ist.

Müssen die Geschichtsbücher neu geschrieben werden?

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Nicht unbedingt, sie müssen einfach gelesen werden! Viele - sowohl Amerikaner als auch Nicht-Amerikaner - neigen dazu, die amerikanische Geschichte zu idealisieren und einen Mythos zu schaffen. Man wünscht sich eine Fortschrittsgeschichte. Die Wirklichkeit ist aber komplizierter - und dunkler. Das kann man in Geschichtsbüchern nachlesen: Zum Beispiel, wie die nördlichen Staaten nach dem Sieg des Bürgerkriegs den südlichen Staaten im Zuge einer Versöhnungsstrategie zugestanden, schwarzen Menschen das Wahlrecht zu entziehen. Dieser Kompromiss hatte bis in die 1960er-Jahre Bestand. Ein anderes Beispiel sind die schwarzen Amerikaner, die in den 1930er-Jahren unter Präsident Franklin D. Roosevelt aus dem Konjunkturprogramm "New Deal" ausgeschlossen wurden. Als dann vor rund 60 Jahren universelle Bürgerrechte garantiert wurden, waren sie der Auslöser für die Polarisierung der Gesellschaft, die einen neuen Höhepunkt in den bürgerkriegsähnlichen Zuständen erreicht hat, die Amerika jetzt erlebt.

Hat Biden eine Chance, die Spaltung zu überwinden?

Vieles hängt davon ab, ob seine Partei, die Demokraten, im Januar im Bundesstaat Georgia zwei weitere Sitze im Senat gewinnen und damit die Mehrheit besitzen. Geht die Mehrheit an die Republikaner, können sie vieles blockieren - genauso wie sie es einige Jahre gemacht haben, als Barack Obama Präsident war. Und wenn die Demokraten die Mehrheit im Senat gewinnen und ihre Ziele in der Klima- und Wirtschaftspolitik durchsetzen und für mehr Gerechtigkeit gegen den Rassismus vorgehen, ist es möglich, dass es die Republikaner noch wütender macht.

Eine Gemengelage, in der sich die gesellschaftliche Spaltung, von der Sie sprechen, leicht kontraproduktiv verstärken könnte.

Ja. Dabei befürchte ich, dass sich eine heftige Widerstandsbewegung gegen die Biden-Regierung bildet.

Wie könnte eine solche Widerstandsbewegung konkret aussehen?

Wenn Biden im Januar ins Weiße Haus zieht, wird er sofort härtere Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus einführen. Es ist zu erwarten, dass das konservative Lager darin eine Überdehnung staatlicher Gewalt und eine fundamentale Einschränkung amerikanischer Freiheitsrechte sieht. Die konservativen Medien, von Fox bis "InfoWars", werden die Wut weiter befeuern. Dazu passen auch die Gerüchte, dass Donald Trump selbst einen neuen Fernsehsender gründen könnte. Darüber hinaus erscheint es mir unvermeidbar, dass es auf der institutionellen Ebene bald zu einem Kampf zwischen Bidens Regierung und dem konservativ dominierten obersten Gerichtshof kommt - sei es über die Frage der Abtreibung, über das Gesundheitssystem oder andere prinzipielle Themen. Und schließlich gibt es Potenzial für Widerstand auf der Straße. Damit meine ich private Milizen wie die "Proud Boys", die neulich in Washington D.C. aufmarschiert sind: bewaffnete Gruppen mit einer unheimlichen Präsenz.

Willkommen im amerikanischen Mittelalter! Fehlt nur noch ein Gegenkönig wie es sie in mittelalterlichen Vorzeiten gelegentlich in Europa gab.

Davon ist man nicht so weit entfernt. Mit seinem jüngsten Verhalten stellt Trump die Legitimität seines Nachfolgers infrage. Selbst wenn er sich jetzt zurückzieht und eine ordentliche Übergabe ermöglicht, könnte es zu einem handfesten Problem werden, wenn ihn eine nicht unbedeutende Menge von Anhängern weiterhin als legitimen Präsidenten betrachtet, dem die gerechte Wahl gestohlen worden sein soll.

Das erinnert an die "Dolchstoßlegende", auf die US-Kommentatoren wie Timothy Snyder verwiesen haben: Sie diente vor hundert Jahren den reaktionären Kräften in Deutschland, um die Legitimation der Weimarer Republik anzuzweifeln. Die Begründung lautete: Das Kaiserreich habe den Ersten Weltkrieg nie verloren, sondern sei von Gegnern im Innern - Sozialdemokraten und Juden - von hinten überrumpelt worden.

Ja. In den letzten vier Jahren seit der Wahl Trumps wurden immer wieder Parallelen zwischen den Vereinigten Staaten heute und Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gezogen. Ich lehne solche Vergleiche ab - teile aber die Ansicht, die hinter dem Vergleich mit der Dolchstoßlegende steht, da Trump mithilfe einer Verschwörungstheorie mit dem Feuer spielt. Nicht zutreffend ist aus meiner Sicht hingegen die implizite Annahme, Trump sei ein Faschist. Für mich ist Trumpismus etwas anders als Faschismus. Zwar wohnt beiden Bewegungen Rassismus inne. Aber dem Faschismus fehlt das libertäre Element, das im amerikanischen Konservatismus sehr ausgeprägt ist. Überspitzt gesagt, wollen amerikanische Konservative weniger Staat, nicht mehr Staat wie Faschisten! Um den Trumpismus zu verstehen, ist es deshalb nicht hilfreich, die europäische Geschichte heranzuziehen. Die USA sind einen eigenen Weg gegangen, man kann vielleicht sagen, einen Sonderweg, der mit der sogenannten Erbsünde der Sklaverei begann. Aus ihm ist das Phänomen Trump letztendlich hervorgegangen.

Ist der Widerstand, den sie umreißen, wirklich neu? Haben sich die beiden Parteien in den USA nicht immer wieder Falschspiel vorgeworfen?

Nicht wie heute. Während sich die Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten weiter polarisiert hat, ist die Bereitschaft geschwunden, die knappen Wahlergebnisse anzuerkennen - der sogenannte "losers' consent". Man akzeptiert heute nur noch die Regierung der Partei, die man gewählt hat - eine andere ist grundsätzlich nicht legitim. Das ist eine sehr gefährliche Entwicklung für die Demokratie. Angefangen hat sie mit der Wahl von Barack Obama im Jahr 2008, die viele konservative Amerikaner nicht akzeptieren konnten. Trump hat seine eigene politische Karriere sogar damit begonnen, die Legitimität von Obama als Präsident infrage zu stellen. Er verbreitete damals die Vorstellung, dass Obama nicht in den Vereinigten Staaten zur Welt gekommen sei. Es war eine Verschwörungstheorie, die als "Birtherism" in die Geschichte eingegangen ist. Ab 2016 wurde wiederum Trump von vielen Demokraten als illegitim betrachtet.

Wie beurteilen Sie die Wahl im Jahr 2000, aus der George W. Bush sehr knapp als Sieger gegen Al Gore hervorging?

Die Wahl vor 20 Jahren ging sehr knapp aus - das Ergebnis hing von einigen Hunderten Stimmzetteln in Florida ab. Es dauerte 36 Tage, und es gab heftige gerichtliche Auseinandersetzungen, bevor der Sieg Bushs feststand. Trotzdem kann man im Rückblick festhalten, dass seine Wahl, sowie seine Wiederwahl 2004, von Al Gore und seinen Unterstützern anerkannt wurden. Bushs Präsidentschaft stellt somit das Ende einer Ära dar, in der sich die Verlierer an die Norm des "losers' consent" hielten.

Wäre es das Beste für die USA, Trump würde sich jetzt zurückziehen?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass er das tun wird. Es ist aber eine offene Frage, ob und wie er versuchen wird, den Widerstand gegen Biden zu führen. Die heutigen Gruppierungen im konservativen Lager verfolgen unterschiedliche Ziele - insbesondere sind sie gespalten zwischen Sozialkonservativen und Libertären. Trump könnte zu der Figur werden, die sie vereint und führt. Die zentrale Frage ist für mich, ob wieder eine einheitliche politisch-ideologische Bewegung entsteht wie die Tea Party, die sofort nach der Wahl Obamas im Jahr 2008 zusammenkam. Sie bildete den Anfang der Trump Bewegung.

Mit Hans Kundnani sprach Peter Littger

Quelle: ntv.de

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