Eine Frage der Prioritäten USA und Türkei lassen Kobane fallen
08.10.2014, 10:24 Uhr
Von der türkischen Seite der Grenze beobachten zwei Kurden die Kämpfe in Kobana.
(Foto: AP)
Im Kampf um das kurdische Kobane verstärken die USA ihre Luftangriffe gegen die Stellungen der Terrormiliz IS. Dennoch scheint die Stadt an die Dschihadisten zu fallen. Washington gibt der Türkei die Schuld. Das allerdings ist nur die halbe Wahrheit.
Die Korrespondenten auf der türkischen Seite der Grenze zu Syrien halten den Fall der kurdischen Stadt Kobane nur noch für eine Frage der Zeit. "Derzeit deutet nichts darauf hin, dass die türkische Armee in den Kampf um Kobane eingreifen wird", sagt Dirk Emmerich, der für n-tv und RTL aus der Region berichtet. Die türkischen Soldaten, die durch den Grenzzaun die Kämpfe im Nachbarland betrachten, bleiben tatenlos.
In Washington sorgt das Verhalten der türkischen Regierung zunehmend für Frustration. "Es gibt eine wachsende Angst, dass die Türkei Zeit schindet, anstatt ein Massaker zu verhindern, das weniger als eine Meile von ihrer Grenze entfernt stattfindet", sagte ein Mitglied der US-Regierung der "New York Times". Dies sei nicht die Art, wie ein Nato-Verbündeter handele, "während sich einen Steinwurf von seiner Grenze entfernt die Hölle öffnet".
Allerdings müssen sich auch die USA unbequeme Fragen gefallen lassen. Viele Kurden in der türkischen Grenzstadt Suruc sagen, wenn die USA die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) wirklich stoppen wollten, würden sie die Dschihadisten stärker unter Feuer nehmen, berichtet Emmerich. Laut BBC sagten syrisch-kurdische Kämpfer zwar, die jüngsten Luftschläge der US-geführten Anti-IS-Koalition seien die "effektivsten" gewesen. Sie hätten jedoch viel früher kommen müssen. Ähnlich argumentiert der frühere US-Verteidigungsminister Leon Panetta. In einem Buch, das am Dienstag erschien, wirft er Präsident Barack Obama vor, im Umgang mit dem IS zu zögerlich zu sein. Obama "vermeidet die Schlacht, beklagt sich und verpasst Gelegenheiten".
Erdogan stellt Bedingungen
An Lippenbekenntnissen lassen es weder Washington noch Ankara fehlen. Keiner wolle, dass Kobane an den IS falle, sagte US-Außenamtssprecherin Jen Psaki. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan betonte, dass er die Kurden unterstützen wolle. Er stellte jedoch Bedingungen: "Wir haben den Westen gewarnt. Wir wollten drei Dinge: eine Flugverbotszone, einen Sicherheitsstreifen und die militärische Ausbildung moderater syrischer Oppositionsgruppen", sagte er. Mit anderen Worten: Erdogan will, dass die USA in den Kampf gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad einsteigen. Das lehnt Obama jedoch ab.
Auf der türkischen Prioritätenliste stehen die Interessen der syrisch-kurdischen YPG-Miliz, die in Kobane gegen den IS kämpfen, an letzter Stelle. Denn die YPG ist traditionell eng verbündet mit der türkisch-kurdischen Arbeiterpartei PKK. Erdogan hat zwar vor zwei Jahren einen Friedensprozess angestoßen, doch er sieht die PKK offenbar nach wie vor als Feind an. "So, wie die Türkei gegen die Terrororganisation Isis (IS) ist, so ist sie auch gegen die Terrororganisation PKK", sagte Erdogan. Er hat ganz offensichtlich kein Problem damit, dass die YPG-Kämpfer die Schlacht um Kobane verlieren. Der Konflikt droht damit allerdings in die Türkei zu schwappen: Bei Protesten von Kurden gegen die türkische Syrien-Politik kamen am Dienstag mindestens 14 Menschen ums Leben.
USA interessieren sich vor allem für den Irak
Auch die USA haben sich längst mit dem Fall von Kobane abgefunden. Das Ziel der USA in Syrien sei es nicht, Städte und Ortschaften zu retten, sagten mehrere Regierungsvertreter dem US-Sender CNN. Stattdessen wollten die USA die IS-Führung bekämpfen sowie Ölraffinerien und andere Infrastrukturanlagen zerstören. Ziel sei es, die Terrormiliz insgesamt zu schwächen - vor allem für ihren Kampf im Irak.
CNN zitiert die namentlich nicht genannten Regierungsmitglieder mit den Worten, den Irak zu retten sei das wichtigere Ziel. Der Grund liegt auf der Hand: Mehr als Eindämmung des IS ist in Syrien für die USA derzeit kaum zu erreichen. Denn wie die Türkei sind die USA derzeit nicht bereit, Bodentruppen nach Syrien zu schicken.
Mehr zum Kampf um Kobane auch im News Spezial um 13.30 und 14.30 bei n-tv.
Quelle: ntv.de