"Wir können nicht nach Hause" Ukraine-Flüchtlinge erreichen Berlin
26.02.2022, 14:03 Uhr
In Berlin gibt es rund 1300 freie Plätze für Geflüchtete, weitere sollen geschaffen werden.
(Foto: picture alliance/dpa)
Seit Beginn der russischen Angriffe auf die Ukraine fliehen rund 100.000 Menschen aus dem Land. Jetzt erreichen die ersten Deutschland - Angst und Fassungslosigkeit sind groß. Darüber, wie genau mit den Geflüchteten verfahren werden soll, entscheidet die Bundesregierung in den kommenden Tagen.
"Wir wussten, dass es der Anfang von etwas Schlimmen war", sagt Svetlana Z. Als am Flughafen nahe ihres Zuhauses im ukrainischen Charkiw am vergangenen Dienstag keine Maschinen mehr starten oder landen, ist sie sich sicher, dass die Zeit zur Flucht gekommen ist. "Es war Intuition", berichtet sie, während sie ihren zweieinhalbjährigen Sohn auf dem Arm hält.
Am Freitagabend nun steht Z. in einem Berliner Ankunftszentrum und wartet auf ihre Registrierung - Gewissheit nur darüber, dass zu Hause nichts mehr ist, wie es war. Als sich die dreiköpfige Familie zur Flucht entschließt, steigt sie in ihr altes Auto. Sie fährt nach Westen, immer weiter, zunächst nach Polen, dann weiter, bis sie schließlich in Berlin ankommt. Auf die Frage, warum sie nicht in Polen geblieben sei, was doch näher an ihrer Heimat liege, bricht sie in Tränen aus. "Wir können nicht nach Hause gehen", sagt sie. Von Verwandten vor Ort gebe es "nur schlimme Nachrichten".
Weitere 1,8 Millionen Flüchtlinge erwartet
Wie Z. sind im Zuge des russischen Großangriffs auf das Nachbarland nach UN-Schätzungen bereits 100.000 Menschen geflohen; noch weitere 1,8 Millionen Geflüchtete werden erwartet. In Deutschland sind davon bislang nur wenige angekommen. Bislang hätten im Berliner Ankunftszentrum etwa 75 Menschen vorgesprochen, sagt Sascha Langenbach vom Berliner Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF). "Wir erwarten in den kommenden Tagen wesentlich mehr." Derzeit seien es sowohl Familien als auch Alleinreisende oder schlicht Menschen aus der Ukraine, die hier gestrandet seien und nicht zurückkönnten, sagt er. Für die Menschen sei es eine "sehr bedrückende Situation". Die Fassungslosigkeit über das, was in der Heimat passiere, sei "fast spürbar zum Greifen", sagt Langenbach.
Derzeit gibt es in Berlin nach Angaben Langenbachs 1300 freie Plätze, in der kommenden Woche sollen etwa ebenso viele weitere geschaffen werden. Gewartet werde nun "auf ein Signal der Bundesregierung", wie mit den Ukraine-Flüchtlingen zu verfahren sei. Für viele wäre es demnach wesentlich einfacher, nicht ins Asylverfahren zu gehen, "wo man natürlich ein bisschen warten muss, bis man arbeiten darf", sagt Langenbach. Eine "Kontingentlösung für die Kriegsflüchtlinge" würde es den Menschen demnach wesentlich einfacher machen, "hier Fuß zu fassen", sagt er. "Wir rechnen damit, dass nach dem Wochenende eine Entscheidung gefallen sein wird."
Große Hilfsbereitschaft in Berlin
Bei einer Kontingentlösung nimmt ein Land eine bestimmte Zahl von Flüchtlingen aus einem Krisenstaat auf. Die Neuankömmlinge müssen kein Asylverfahren durchlaufen und können unter bestimmten Umständen eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis bekommen. In Berlin verstärkt sich das Landesamt nach Angaben Langenbachs unterdessen bereits mit Menschen, die Russisch oder Ukrainisch sprechen. Es gebe zudem "sehr viel Hilfsangebote, die uns erreichen", sagt er. "Das ist ein sehr positives Signal, über das wir uns sehr freuen."
Im Ankunftszentrum wartet unterdessen auch der 26-jährige Stanislaw Schalamaj. Er ist mit einer Reisetasche und einer Bettdecke per Bus von Kiew nach Warschau und dann weiter nach Berlin gereist. Was zu Hause geschieht, fällt ihm noch immer schwer zu begreifen. "Dort leben 40 Millionen Ukrainer, niemand hat sie gefragt, was sie wollen, und eine andere Armee ist einfach gekommen und hat angefangen, auf Menschen zu schießen und Menschen zu töten", sagt er. Er habe seine Eltern gebeten, mit ihm zu fliehen, aber "sie sagten, wir sind hier geboren, wir haben unser ganzes Leben hier gelebt und wir wollen einfach nicht weg", berichtet er. "Ich weiß nicht, was mich hier erwartet", fügt der 26-Jährige hinzu. "Ich weiß nicht, was in der Ukraine sein wird."
Quelle: ntv.de, Hui Min, AFP