Entführung von Zivilisten Ukrainer berichten von russischen Folterlagern
14.07.2023, 11:11 Uhr Artikel anhören
Eine Zelle in einer Polizeistation im ukrainischen Isjum. Ukrainer geben an, dort festgehalten und gefoltert worden zu sein.
(Foto: AP)
Russland unterhält offenbar zahlreiche Gefangenenlager in besetzten Teilen der Ukraine und im eigenen Land. Ukrainische Zivilisten berichten der Nachrichtenagentur AP, dorthin entführt und gefoltert worden zu sein. Unweit der Front hätten sie Zwangsarbeit leisten müssen.
Tausende ukrainische Zivilisten werden laut einem Bericht der Nachrichtenagentur AP von Russland in Gefängnissen festgehalten, wo sie gefoltert und zu Sklavenarbeit gezwungen werden. Es gebe in Russland und in den besetzten ukrainischen Gebieten ein System zur Inhaftierung und Misshandlung von Zivilisten, heißt es. AP hat nach eigenen Angaben mit 20 ehemaligen Häftlingen sowie mit rund einem Dutzend Angehörigen von Gefangenen gesprochen.
Die Gründe für die Festnahmen sind laut AP oft lapidar. Zivilisten seien etwa verhaftet worden, weil sie Ukrainisch gesprochen hätten oder von Nachbarn denunziert worden seien. Zu Anklagen komme es selten. Wenn doch, dann würden die Zivilisten als Terroristen oder als Menschen, die sich "der militärischen Spezialoperation widersetzen" bezeichnet.
Die Zivilisten berichten AP von psychischem Missbrauch, Folter und Zwangsarbeit. Einige Menschen seien tage- oder wochenlang festgehalten worden, andere seien schon über ein Jahr verschwunden. Ehemalige Gefangene sagen, man habe sie ohne Erklärung von einem Ort zum anderen gebracht, manchmal per Flugzeug. Den Aussagen zufolge gehört Folter zum Alltag in den Lagern.
Ex-Häftlinge berichten AP von "wiederholten Elektroschocks, Schlägen, die Schädel und Rippen brechen, und simuliertes Ersticken". Zeugen sagen, sie hätten Todesfälle beobachtet. Das deckt sich mit einem Bericht der Vereinten Nationen. Demnach sind 77 zivile Gefangene hingerichtet worden, ein Mann sei infolge von Folter gestorben. 91 Prozent der Gefangenen hätten "Folter und Misshandlung beschrieben".
"Sie fesselten meine Hände und Füße"
So auch die 50-jährige Olena Yahupova. Die Frau eines ukrainischen Soldaten sei im Oktober in ihrem Haus von russischen Soldaten aufgesucht und entführt worden, sagt sie AP. Die Russen hätten sie aufgefordert, Informationen über ihren Mann preiszugeben. "Sie fesselten meine Hände und Füße an einen Bürostuhl und schlugen mir mit einer Zwei-Liter-Wasserflasche auf den Kopf." Ihr sei eine Plastiktüte über den Kopf gestülpt und Klebeband um den Hals gewickelt worden. "Eine Person hielt meine Nase durch die Tüte zu, damit ich in der Tüte nicht einatmen konnte."
Nach einiger Zeit in Gefangenschaft sei Yahupova an einen Kontrollpunkt unweit der ukrainischen Stadt Berdjansk in der Region Saporischschja gebracht worden. Russische Soldaten hätten sie gezwungen, gemeinsam mit anderen ukrainischen Zivilisten Schützengräben auszuheben. Wer sich geweigert habe, sei erschossen worden. Nach Monaten der Zwangsarbeit habe sie fliehen können, sagt sie AP. Satellitenbilder zeigen ausgehobene Gräben an der Stelle, die Yahupova beschreibt.
Die Lehrerin Viktoriia Andrusha wurde nach eigenen Angaben ein halbes Jahr lang von Russland festgehalten. Man habe ihr vorgeworfen, im Unterricht anti-russische Propaganda verbreitet zu haben. Sie sei geschlagen und gefoltert worden, berichtet sie AP. Ihre Peiniger hätten mehrfach gedroht, sie umzubringen. Durch einen Gefangenenaustausch sei sie schließlich freigekommen.
Bau weiterer Lager geplant
Wie viele Lager es genau gibt, ist unklar. AP geht von mindestens 40 solcher Gefängnisse in Russland und Belarus aus, dazu kämen 63 Lager in den besetzten ukrainischen Gebieten. Die Vereinten Nationen sprachen in ihrem Bericht von 37 Einrichtungen in Russland und Belarus und 125 im besetzten Teil der Ukraine.
Zudem plant Russland offenbar, 25 neue Gefängniskolonien im eigenen Land und sechs weitere in der Ukraine zu errichten. Das geht aus einem Dokument der russischen Regierung aus dem Januar vor, das AP vorliegt. Auch habe der russische Präsident Wladimir Putin im Mai ein Dekret unterzeichnet, das es erlaubt, Menschen aus der Ukraine nach Russland zu schicken. Laut AP sei es dadurch einfacher geworden, ukrainische Zivilisten zu deportieren.
Nach Angaben des russischen Menschenrechtsaktivisten Wladimir Osechkin werden mehr als 4000 ukrainische Zivilisten völkerrechtswidrig festgehalten. Die ukrainische Regierung geht sogar von über 10.000 Menschen aus. 150 Zivilisten seien bislang von Russland freigelassen worden, teilte die Ukraine im Juni mit. Russland bestreitet, weitere Zivilisten festzuhalten.
Quelle: ntv.de, mdi