Drohnenpilot über Front-Alltag"Wenn ich angreife, höre ich dabei 'Carmen'"
Frauke Niemeyer
Während international über Trumps 28 Punkte debattiert wird, halten Ukrainer wie Max und Denys die Stellung. Max ist Musiker, im Krieg kommandiert er eine Drohneneinheit. Beide wollten nie zur Armee, aber "wenn Dein Land angegriffen wird, folgst Du Deinem Instinkt".
ntv.de: Wie sind Sie beide zur Armee gekommen?
Maximilian Boyko: Im zivilen Leben bin ich Software-Entwickler und habe außerdem am Konservatorium der Ukraine in Lwiw Musik studiert.
Welches Instrument?
Max: Querflöte. Als die Russen ihre Vollinvasion begannen, wollte ich mich sofort freiwillig melden. Mein Vater hat mich bekniet, erst das Studium abzuschließen. Das habe ich gemacht, bin dann aber sofort zur Armee gegangen, um meine Heimat zu verteidigen. Das war vor zwei Jahren, da war ich 24 Jahre alt und hatte den untersten Rang. Jetzt bin ich Junior-Leutnant.
Denys Andrushchenko: Ich habe ein Marketing-Unternehmen und berate ukrainische Firmen, auch aus dem Verteidigungssektor, bei Geschäften im Ausland. Ich bin 31 Jahre alt und zwei Wochen vor der Vollinvasion zum ersten Mal Vater geworden. Mein neugeborenes Kind hat mich eine Weile davon abgehalten, zur Armee zu gehen. Aber ich habe das schwer aushalten können, ich war in einem moralischen Dilemma und fühlte mich am falschen Ort. Vor einem halben Jahr habe ich mich dann freiwillig gemeldet und diene nicht an der Front, sondern in Kiew. Ich betreue zivile Partnerschaften und Rekrutierung und kann meine Fähigkeiten sehr gut für die Truppe einsetzen. Ich glaube, wir sind ziemlich typische Freiwillige.
Wie meinen Sie das?
Denys: Wir hatten vorher überhaupt nichts mit der Armee zu tun, und das ging vielen Leuten so. Viele aus meinem Freundeskreis wären nie von sich aus Soldat geworden. Wir wollten niemals kämpfen, das war überhaupt kein Thema für uns. Aber wenn dein Land plötzlich existenziell bedroht wird, ändert sich die Lage. Das ist ein totaler Schock, dann folgst Du Deinem Instinkt.
Max, wo sind Sie stationiert?
Max: Ich war schon direkt an der Frontlinie, derzeit kämpfe ich ein paar Kilometer entfernt. Von dort starte ich die Drohne und lasse sie über den Frontgürtel fliegen. Russische Infanteristen dringen aber auch immer wieder tief in unsere Stellungen vor, wir haben also oft Feindkontakt.
Denys: Für mein Empfinden werden 80 Prozent der Frontkämpfe nicht mit Infanterie geführt. Es sind Drohnenpiloten im Kampf gegeneinander, sie sind wertvolle Ziele.
Max: Das stimmt. Ich kann Fahrzeuge des Feindes angreifen, ich kann ganze Stellungen komplett zerstören. Und ich werde natürlich auch selbst angegriffen, von Drohnen, aber auch von Infanteristen. Es ist uns auch schon gelungen, angreifende Russen gefangen zu nehmen. Wir behandeln sie gut, schließlich wollen wir sie ja austauschen gegen unsere Leute.
Wie sieht Ihre Routine an der Front aus? Wie arbeiten Sie?
Max: Wir haben zu dritt eine Zwölfstundenschicht und fliegen über diesen Zeitraum abwechselnd eine Drohne. Das verlangt enorme Konzentration, du musst ja permanent auf den Bildschirm starren. Wir suchen den Frontgürtel nach russischen Infanteristen ab, die in kleinen Gruppen oder manchmal sogar allein versuchen, in unsere Stellungen vorzudringen. Wenn der Gürtel unter Kontrolle ist, fliegen wir weiter nach vorn und versuchen, feindliche Stellungen aufzuspüren. An der Drohne sind Sprengladungen angebracht, die ich dann detonieren lasse. Wir fliegen aber auch Abfangdrohnen, mit denen wir feindliche Flugkörper vom Himmel holen.
Ein Frontmediziner erzählte mir, dass viele Verwundete inzwischen mit Landdrohnen gerettet werden. Begleiten Sie das auch aus der Luft?
Max: Wie wir die Drohnen genau einsetzen, das möchte ich gern für mich behalten. Es ist eine sehr fokussierte Arbeit, darum brauche ich nach zwölf Stunden Einsatz auch zwölf Stunden Pause. Wir verlassen aber die Stellung nicht. Oft bleiben wir zwei Wochen am Stück dort, manchmal auch acht Wochen. Dabei werden wir mit Essen, Munition und neuen Geräten versorgt.
Ganz kurz: Können Sie heizen?
Max: Ein Feuer würde uns verraten, das können wir also nicht machen. Wir haben eine Gaslampe, die etwas wärmt und dann auch noch einen Mini-Generator mit Diesel. Dann gibt es noch Kissen mit Chemikalien drin. Wenn ich die knete, wärmen sie meine Hände[ML1] . Die Stellung ist auch gut getarnt. In dem Punkt hat sich im Vergleich zu früheren Kriegen eigentlich nichts verändert. Wir sitzen unter der Erde und tarnen uns mit Holz, Blättern und Erde. Wir müssen aufpassen, wenn wir die Stellung verlassen oder die Versorgung kommt, damit wir nicht enttarnt werden. Der Feind beobachtet uns die ganze Zeit, und wir tun dasselbe.
Wie groß ist Ihr Kontrollgebiet? Treffen Sie am Himmel auch auf die Drohnen Ihrer Kameraden?
Max: Dazu darf ich nicht viel sagen. Formulieren wir es mal so: Ich kann meine Drohne problemlos in einem Radius von 30 Kilometern bewegen. Mal fliege ich Aufklärungsdrohnen, um Informationen über feindliche Bewegungen zu sammeln. Wenn ich schnell angreifen muss, nutze ich eine Kamikaze-Drohne. Die explodiert und ist weg. Wenn ich unsere Infanterie begleite, nutze ich eine Drohne, die wie ein Bomber ihre Sprengladung abwirft. Mit der kann ich sehr präzise arbeiten, wie ein Scharfschütze, weil die Kamera eine so hohe Auflösung hat. Wenn ich ein vom Feind besetztes Gebäude anfliege und oben im Dach zum Beispiel ein Loch ist, kann ich die Drohne hineinsteuern und eine Granate fallen lassen. Eine offene Tür, eine offene Luke im Panzer - da komme ich überall rein.
Wie häufig finden solche Angriffe statt? Ist das tägliche Routine?
Max: Jagen ist unser Alltag. Jeden Tag greife ich Fahrzeuge an, feindliche Positionen, gegnerische Antennen, zerstöre russische Infanterie. Fast jeden Tag werden auch wir attackiert. Wenn die Russen nicht den genauen Standort unserer Stellung entdeckt haben, aber sie wissen, dass sie irgendwo im Gebiet sein muss, dann nutzen sie Artillerie und werfen Gleitbomben ab. Am gefährlichsten für uns sind derzeit aber tatsächlich die FPV-Drohnen, die über Fiberglas-Drähte gesteuert werden. Die können sehr weit fliegen, sie können lange still in der Luft stehen und sie funktionieren ohne Funkverbindung, können also nicht per Störsender abgefangen werden. Die sind ein richtiges Problem.
Wieviel Angst macht Ihnen das?
Max: Das ist sehr beängstigend. Wir versuchen, mit unserer Angst zu arbeiten, wir haben ja keine andere Option. Draußen würden wir immer einen Umweg von einem Dutzend Kilometer wählen, wenn das der sichere Weg wäre. Wir arbeiten konstant an der Tarnung unseres Unterschlupfes. Der Dienst an der Front ist nun mal unsere Pflicht, die müssen wir erfüllen. Auch wenn wir Angst haben.
Sie sind Musiker. Ich denke, das ist Ihre Leidenschaft. Hilft die Musik, hat sie irgendeinen Platz in Ihrem Kriegsalltag?
Max: Mein Instrument ist zu teuer, ich habe es zuhause gelassen. Aber Musik habe ich in unserer Stellung. Wenn ich angreife, höre ich dabei "Carmen", von Bizet. Oder italienische Opern, zum Beispiel "Die Hochzeit des Figaro". Das hilft mir, mich zu fokussieren. Ich höre das laut, die Kameraden müssen mithören, ich bin ja der Kommandeur. So kriegen sie noch etwas Kultur ab. Ich hatte nach dem Konservatorium Angebote aus dem Ausland. Ich hätte ausreisen können und Konzerte spielen. Aber das hätte ich nicht ausgehalten. Ich musste an die Front.
Mit Maximilian Boyko und Denys Andrushchenko sprach Frauke Niemeyer im Rahmen der Konferenz Defense Baltics in Litauen, ausgerichtet von der Friedrich-Naumann-Stiftung.