Schily bei Maischberger "Verfassungsgeber hatte keine Massenzuwanderung im Kopf"
19.10.2023, 05:47 Uhr Artikel anhören
Schily war Mitbegründer der Grünen und trat später zur SPD über. 1998 wurde er Innenminister.
(Foto: WDR/Oliver Ziebe)
Otto Schily war im Schröder-Kabinett Bundesinnenminister, bei Maischberger äußert er sich zu den Herausforderungen, vor denen die heutige Bundesregierung steht. Die Asylpolitik würde er anders gestalten, sagt der frühere SPD-Politiker. Einen Vorschlag macht er auch.
Otto Schily ist 91 Jahre alt und war zwischen 1998 und 2005 Bundesinnenminister in der rot-grünen Regierung von Bundeskanzler Gerhard Schröder, mit dem ihn noch immer eine enge Freundschaft verbindet. Seine öffentlichen Auftritte sind inzwischen selten geworden. Sandra Maischberger spricht mit ihm in der ARD über seine Sicht auf die Probleme, die sich der heutigen Bundesregierung stellen.
Trotz der schwierigen Weltlage ist Schily Optimist geblieben. "Wir dürfen nicht nur das Böse sehen, wir müssen sehen, dass es das Gute auf der Welt gibt, das das Böse bekämpft", sagt er. Mit der Migrationspolitik der Bundesregierung geht er hart ins Gericht. Zwar sei das Asylrecht in der Verfassung verankert, jedoch hätten die Verfassungsgeber eine Massenzuwanderung nicht im Kopf gehabt, sondern an Einzelfälle gedacht. Schily schlägt vor, Asylfragen zunächst vor Ort zu behandeln. "Warum sind wir nicht in der Lage, in den Regionen, zum Beispiel in Afrika, die deutsche und vielleicht auch die EU-Auslandsvertretung so einzusetzen, dass die verfolgten Menschen dort eine Adresse haben, dort hinzugehen und zu sagen, dass sie aus ihren Ländern wegwollen? Und dann sollten wir da eine Entscheidungshilfe haben. Ich würde mich freuen, wenn eine solche Idee in den Gesprächen zwischen Koalition und Opposition mit aufgenommen wird", sagt Schily.
Gleichzeitig lobt er Bundeskanzler Olaf Scholz. "Ich habe großen Respekt vor Scholz, weil er ein Mensch ist, der nachdenkt, bevor er entscheidet."
Gysi: "In dem Moment kann man nur verurteilen"
Am Beginn der Sendung spricht Maischberger mit ihren Gästen über den Terrorangriff der Hamas und die Folgen. Gregor Gysi von den Linken hat jüdische Vorfahren, die ehemalige Grünen-Außenpolitikerin Marieluise Beck ist mit einem jüdischen Mann verheiratet. Der israelische Krieg gegen den Terror der Hamas lässt beide nicht kalt. Gysi sagt: "Das Furchtbare für mich ist: Tausende Jahre wurden die Juden und Jüdinnen überall, wo sie lebten, benachteiligt, mal mehr und mal weniger verfolgt. Sie waren immer Außenstehende. Dann hat die UNO beschlossen, den Staat Israel zu gründen. Das erste Mal hatten Juden eine gewisse Sicherheit, egal wo sie lebten, weil es einen Nationalstaat gibt, der sich um sie kümmern kann. Und dann muss man erleben, dass Juden bei uns nicht sicher sind. Das ist völlig indiskutabel. In dem Moment kann man nur verurteilen". Er ist schockiert von den Bildern der letzten Tage und angesichts der Gräueltaten der islamistischen Terroristen in Israel: "Die stechen richtig zu, die schießen unmittelbar. Das ist so furchtbar, dass man es sich kaum vorstellen kann."
"Der Staat Israel muss dafür sorgen, dass diese Angriffe aufhören", sagt Marieluise Beck. Laut Völkerrecht habe ein Staat nicht nur das Recht, sich zu verteidigen. Er habe auch die Pflicht, seine Bevölkerung zu schützen. "Die israelische Armee ist keine Terrororganisation wie die Hamas und die Hisbollah", so Beck. Für Israel gibt es nach ihrer Ansicht zwei Möglichkeiten, den Konflikt zu beenden. Die Armee könnte den Gazastreifen bombardieren, das wäre sicherer für die israelischen Soldaten, jedoch würden dann viele Zivilisten in Palästina getötet werden. Deswegen hält sie einen Einmarsch von israelischen Bodentruppen in den Gazastreifen für die bessere Lösung, auch wenn dabei sehr viele Soldaten getötet werden könnten. Niemand in Deutschland könne das Problem lösen, wie die israelische Armee ihr Ziel erreichen kann, die Hamas zu vernichten, ohne sich selber schuldig zu machen.
Hamas gehe es immer um Schüren des Hasses
Gysi bestätigt: "Das Problem des Kriegsrechts ist: Die israelische Armee darf versuchen, die Hamas auszuschalten, aber sie soll die Zivilbevölkerung schonen", erklärt er. Das Schlimme an der Hamas sei jedoch, dass sie die eigene Bevölkerung opfere.
"Es geht immer um das Schüren des Hasses", erklärt Beck das Vorgehen der Hamas. Gysi sieht das ähnlich, aber er hat eine Erklärung dafür: den stockenden Friedensprozess zwischen Israel und den Palästinensern. "Natürlich fühlen sich die Palästinenser geknechtet, gedemütigt und unterdrückt, wenn man sieht, in welchen Mauern sie leben. Das verstehe ich. Aber Hass muss man zügeln können. Und man ist nicht berechtigt, Zivilisten zu ermorden. Unter keinen Umständen." Jetzt müsse Israel geschützt werden, fordert Gysi. "Aber danach sind wir verpflichtet, ernsthaft über eine Konfliktlösung nachzudenken. Ich habe diese Morde wirklich satt, und da brauchen wir endlich eine politische Lösung."
Wie eine solche Lösung aussieht, können jedoch weder Beck noch Gysi sagen. "Eine politische Lösung des Nahostkonflikts ist weiter weg als jemals", sagt Beck. "Sie ist weggebombt worden."
Quelle: ntv.de