Historischer Beschluss Veteranentag kommt - und sorgt für Gänsehaut-Moment
25.04.2024, 19:43 Uhr Artikel anhören
Mehr Wertschätzung und Anerkennung für die Bundeswehr: Deutschland hat einen Veteranentag.
(Foto: picture alliance/dpa)
Es soll ein Tag mit Volksfeststimmung werden: Deutschland bekommt einen Veteranentag - von nun an immer am 15. Juni. Der Weg bis zur Entscheidung im Bundestag war steinig, umso offener zeigen die Soldaten im Plenarsaal, wie sehr dieser Beschluss ein Meilenstein ist.
Soldaten in Uniform, die sich gegenseitig gerührt und lange umarmen - das sieht man selten, nicht nur im Deutschen Bundestag. Auf der Besuchertribüne des Plenarsaals haben die Uniformierten gerade die Abstimmung über den Antrag für die Einführung eines Veteranentages miterlebt. "Mit überwältigender Mehrheit angenommen", bilanziert Aydan Özoğuz, Bundestagsvizepräsidentin, nach der Abstimmung. Lediglich die Linken-Gruppe hat den Antrag von Ampel- und Unionsfraktionen abgelehnt. Damit ist beschlossen, dass zukünftig der 15. Juni in Deutschland ein Ehrentag für Veteraninnen und Veteranen sein soll.
Der Abstimmungserfolg für die Antragsteller wird beklatscht, das ist üblich, doch dann erheben sich die ersten Abgeordneten, drehen sich um, applaudieren nicht mehr dem eigenen Beschluss, sondern den Gästen auf der Tribüne. Die Soldaten schauen von oben runter, die Volksvertreter von unten hoch, und das eine oder andere Nackenhaar mag sich aufstellen. "Das war ein sehr berührender Moment", wird später einer sagen, der dort oben steht. "Man hatte schon Gänsehaut, weil es ja auch eine Form der Anerkennung ist, die Soldaten, die im Einsatz gewesen sind, über lange Jahre vermisst haben." Für ihn, Michael Bartscher, Vorstandsmitglied beim Bund deutscher Einsatzveteranen, ist mit dem Beschluss von heute ein "Meilenstein erreicht".
Nach Kosovo-Einsatz fanden manche nicht zurück ins Leben
Der 15. Juni solle "ein fester Bestandteil des Kalenders werden", so heißt es kurz zuvor in der Bundestagsdebatte, ein Tag, der in der Mitte der Gesellschaft steht. Genau dort sehen sich die Veteranen der Bundeswehr bislang nicht. Weder in der öffentlichen Wahrnehmung, wenn sie von einem Auslandseinsatz zurückkehren wie etwa jüngst aus Mali oder 2021 aus Afghanistan, noch in den vorhandenen Strukturen, wenn sie mit den Folgen solcher Einsätze zu kämpfen haben.
Post-traumatische Belastungsstörungen etwa werden bei vielen Soldatinnen und Soldaten diagnostiziert, allerdings oft erst Jahre später. Wer im Einsatz das eigene Leben bedroht sah, Grausames mitansehen musste, Kameraden verloren hat, spürt nicht unbedingt sofort, wie viel Hilfe nötig sein wird, um diese Erlebnisse zu verarbeiten. "Ich habe Abi-Kameraden getroffen, die es nach Kosovo-Einsätzen kaum mehr geschafft haben, sich im Leben zurechtzufinden", zitiert der SPD-Abgeordnete Johannes Arlt in seiner Rede vor der Abstimmung einen Facebook-Eintrag.
Oft jedoch machen Veteranen die Erfahrung, dass die Gesellschaft darauf nicht vorbereitet ist, kein Netzwerk da ist, um aufzufangen, sondern viel Bürokratie, die eher Hürden schafft bei der Suche nach Hilfe. Diese zu bekommen, wird dann schwierig. Auch, wenn es um finanzielle Hilfe geht, und auch für die mitbelasteten Angehörigen. "Keine Soldatin, kein Soldat dient allein", sagt Verteidigungsminister Boris Pistorius in der Debatte. "Hinter jeder Soldatin, hinter jedem Soldaten steht eine ganze Familie, die ihn oder sie trägt, mit ihr leidet, für sie hofft." Mit dem Beschluss zum Veteranentag soll darum nicht nur mehr Sichtbarkeit in die Gesellschaft kommen, sondern auch bessere, konkretere Hilfe zur Rehabilitation, für Therapien und Beratung. Wie gut diese Maßnahmen finanziell unterfüttert werden, steht indes noch nicht fest.
Dieses Manko benennt Dietmar Bartsch von der Gruppe Die Linke und fragt, "Was ist denn an den anderen 364 Tagen?". Die Einführung des Veteranentags sei "zuallererst Symbolpolitik". Wenn dieser Tag wie geplant in der Mitte der Gesellschaft und auch zentral in Berlin gefeiert werden solle, wolle Bartsch zudem "mal vorsichtig voraussagen, dass das auch dazu führen wird, dass es erhebliche Proteste gibt". Er schlägt vor, das Geld dafür lieber zu sparen.
Für Brigadegeneral a.D. Bartscher ist das keine Option und gerade die Symbolkraft wichtig. Wenn er bei der heutigen Entscheidung von einem Meilenstein spricht, hat er auch in Erinnerung, wie wenig sich tat, nachdem schon 2012 der damalige Verteidigungsminister Thomas de Maiziere einen Ehrentag für Veteranen vorgeschlagen hatte. "Es ist seitens der Politik nicht mit Herzblut verfolgt worden", sagt Bartscher im Gespräch mit ntv.de. Man habe "nie die richtige Form gefunden, um Wertschätzung und Anerkennung zu artikulieren". Etwa, wenn Soldaten ihre Ehrung mittels Veteranenabzeichen selbst beantragen mussten. "Sie bekamen es dann zugeschickt." Zuweilen ist Deutschland wohl Meister darin, einem symbolischen Akt auch noch das letzte bisschen Strahlkraft zu entziehen.
Ein Tag "mit Volksfestcharakter"

Bei den Invictus Games 2023 in Düsseldorf, einem sportlichen Wettkampf für versehrte Soldaten, siegte das deutsche Team im Bogenschießen.
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Der 15. Juni soll zukünftig Strahlkraft entfalten, absichtlich im Frühsommer. Damit soll sich dieses Datum auch spürbar vom Volkstrauertag im November abheben und ist vor allem von den Veteranen selbst gedacht als ein Tag für Familien, "mit Volksfestcharakter". Neben der neuen sicherheitspolitischen Lage haben die "Invictus Games" aus dem letzten Jahr einen starken Impuls gegeben - ein internationaler Sportwettkampf für im Einsatz verletzte oder versehrte Soldaten. Erstmals war Deutschland 2023 Ausrichter dieser Sportspiele, die eine Woche lang in Düsseldorf ausgetragen wurden und Kräftigung für Körper und Seele von Versehrten in den Fokus rücken. Die besondere, positive Stimmung, die dort unter den Athleten und Zuschauenden herrschte, soll der Veteranentag weitertragen.
Der Veteranen-Begriff ist dabei allerdings weit gefasst und meint alle, die der Bundeswehr ehrenhaft gedient haben oder das noch tun - rund zehn Millionen Menschen in Deutschland. Diese hohe Zahl droht, die Bezeichnung beliebig zu machen und für Bartscher ist das ein "wunder Punkt". Die Generalisierung setzt jemanden, der in den 90ern ein Jahr Wehrdienst geleistet hat, gleich mit dem Kameraden, der in Afghanistan sein Leben riskierte. "Darum sind wir für eine weitergehende Differenzierung, wie sie auch in den USA, Großbritannien oder den Niederlanden vorgenommen wird." Dort gibt es den combat veteran, der am Einsatz teilgenommen hat, und den wounded veteran, der dabei eine Schädigung erlitt. "Ich denke, da wird man auf der Zeitachse auch hinkommen", hofft Bartscher, "dass wir den Veteranenbegriff weiter konkretisieren und besonderen Fokus auf diese Gruppe richten". Der heutige Tag scheint ihm dafür ein vielversprechender Anfang.
Quelle: ntv.de